Abschied einer Legende
Wie Béla Réthy über Jahrzehnte die Fußball-Fans spaltete
Am Mittwoch feierte ZDF-Reporter Béla Réthy nicht nur seinen 66. Geburtstag, sondern ging mit dem WM-Halbfinale zwischen Marokko und Frankreich auch in Rente. Manche kritisieren seine "Bräsigkeit", andere schätzen seinen trockenen Humor. Über einen Mann, der die Fußball-Fans über Jahrzehnte spaltete.
"Wie schnell diese Jahrzehnte vergangen sind!"
"Keine Angst, mein lieber Jörg. Wir haben die besten Zeiten mitgemacht." Es sind diese nostalgischen Erinnerungen an früher, die der Sportreporter Béla Réthy in einem Beitrag für das Buch "Immer geradeheraus" seines Freundes und ehemaligen Kollegen Jörg Dahlmann vor einigen Monaten schrieb. Wenn man diese Zeilen liest, dann kann man sicher sein, dass der Augenblick für Béla Réthy, an seinem 66. Geburtstag mit dem WM-Halbfinalspiel zwischen Marokko und Frankreich seine Karriere am Mikrofon zu beenden, keinen Moment zu spät kommt:
"Wie schnell diese Jahrzehnte vergangen sind! Als die Bundesliga noch kein Signature-Produkt war und sämtliche Emotionen hautnah von uns Reportern dargestellt werden konnten. Ohne vorherige Anmeldung bei den Pressestellen, direkt am Spielfeldrand, teilweise mit O-Tönen der Trainer während der Partie."
Es sind Erinnerungen aus einer anderen Zeit. Vielleicht einer Zeit, in der sich Béla Réthy mit seiner lockeren, ungezwungenen Art noch wohler fühlte. Als es noch nicht das sekundengenaue Tribunal in den sozialen Medien gab, das manchmal so schwachsinnig (ab-)urteilt, dass es keiner weiteren Erwähnung mehr bedarf. Ein bisschen wie früher muss es deshalb für Réthy gewesen sein, als Nationalspieler Leon Goretzka vor drei Jahren ein Interview in der Mixed-Zone überraschend unterbrach, als Réthy aus dem Off eine Frage stellte. Goretzka lächelte die Reporterschar an und meinte: "Sorry, noch mal bitte. Ich bin ehrlich gesagt etwas abgelenkt von Ihrer Stimme, weil ich die immer aus Länderspielen als kleiner Junge kenne."

Die unverwechselbaren "Oneliner"
Seine zehnte WM begleite er nun schon als Reporter, verriet der in Wien geborene und in Brasilien aufgewachsene Réthy am Tage des Eröffnungsspiels der diesjährigen Weltmeisterschaft in Katar, als bereits weit vor Ende der Begegnung die Zuschauer das Stadion verließen. Für ihn eine Situation, die er so noch nie erlebt hatte. Und Béla Réthy hat in seiner Karriere als ZDF-Sportjournalist so manchen Höhepunkt wie das EM-Finale 1996, als Deutschland im Endspiel die Tschechische Republik mit dem ersten Golden Goal der Fußballgeschichte mit 2:1 schlug, live begleiten dürfen.
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Ein anderes kurioses Highlight seiner abwechslungsreichen Laufbahn ereignete sich bei der EM 2008 im Halbfinale der deutschen Elf gegen die Türkei. Die Live-Übertragung im ZDF konnten die Zuschauer nicht über die ganze Zeit verfolgen. Denn ausgerechnet in der entscheidenden Phase wurde die Übertragung aus Wien unterbrochen. Gestöhne beim Public Viewing und Verwirrung beim Sender. Doch der Kommentator des denkwürdigen Abends, Réthy, wusste sofort, was die Stunde geschlagen hatte: "Es sind doch immer diese verrückten Momente, die einen über Nacht berühmt machen."
Zu diesem Zeitpunkt war Réthy aber natürlich bereits in aller Munde - und das hatte viel mit seiner ganz speziellen Art am Mikrofon zu tun. Manchmal wirkte er etwas fahrig und gedankenverloren, an anderer Stelle dann wieder geistesgegenwärtig und blitzgescheit. Seine "Oneliner"-Pointen waren beliebt und unverwechselbar. "Platini sitzt auf der Tribüne und sieht richtig guten Fußball - seitdem die Franzosen weg sind", war so einer. Oder: "Da liegt der Ball auf dem Dach der BayArena. Aber der DFB, so wie ich ihn kenne, hat sicher noch einen zweiten dabei."
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Verkehrsfunk-Eilmeldung aus einzigartigem Grund
Häufig mit einer feinen Spitze versehen, wie in diesem Fall, als Deutschland 1:5 in Rumänien unterging: "Die höchste Niederlage seit 50 Jahren - und Sie können sagen, dass Sie dabei waren." Oder diesem, über Israels Stürmer Revivo von Fenerbahce Istanbul: "Auch für ihn ist der Ernst des Lebens zurückgekehrt - seit einigen Wochen ist Werner Lorant sein Trainer!"
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Doch manchmal wirkte Réthy sprachlich auch sehr bemüht: "Natürlich kommen die Angriffe der Spanier nicht mehr so flüssig daher - zu hoch der Flüssigkeitsverlust." Oder bei diesem hier: "Der eingewechselte Spieler Folha heißt auf Deutsch Blatt, das es ja jetzt auch zu wenden gilt." Und so gab es nicht wenige Zuschauer, die Béla Réthys Art des Kommentierens nicht mochten und die jede Chance zur offenen Kritik ergriffen, wenn er - was leider auch nicht selten passierte - mit Namen, Daten oder Fakten mal danebenlag. So schrieb das "Hamburger Abendblatt" vor einigen Jahren nach einem CL-Endspiel wenig schmeichelhaft: "Was Réthy zu dem munteren Finale zwischen dem alerten FC Barcelona und der Senioren-Truppe von Juventus Turin daherschwafelte, war beschämend für die Zunft. Die ganze Bräsigkeit einer arrivierten Mikro-Persönlichkeit mäanderte aus seiner Stimme in die Wohnzimmer."
So darf es auch nicht verwundern, dass SPD-Politiker Kevin Kühnert zur WM 2018 populistisch einen auf dem Punkt liegenden Elfmeter verwandelte, als Russland einem ARD-Journalisten die Einreise zur Weltmeisterschaft verweigerte: "Chance vertan. Mit einer Einreisesperre gegen Béla Réthy hätte Putin wirklich Punkte in Deutschland sammeln können." Später beim Turnier fasste der ZDF-Reporter Réthy die Leistung der deutschen Elf während der Vorrunde dann übrigens in einem einzigen Satz treffend zusammen, als er beim Spiel gegen Südkorea sagte: "Das ist hier alles keine Zeitlupe, das sind reale Bilder."
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"Béla war oft ein wenig zerstreut, aber ein herrlicher Typ"
Jörg Dahlmann erzählt in seinem Buch, für das Béla Réthy den oben zitierten "Einwurf" schrieb, auch noch eine Geschichte aus einer anderen Zeit - damals, als es noch keine Handys gab. In diesen frühen Tagen beim ZDF war Dahlmann mit seinem Kollegen Thomas Hermann auf der Rückfahrt aus Nürnberg, als das Signal des BR3-Verkehrsfunks erklang: "Eine dringende Meldung: Thomas Hermann und Jörg Dahlmann mögen sich bitte bei Béla Réthy melden!"
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Dahlmann erinnert sich, dass es solche Eildurchsagen damals ansonsten nur für Geisterfahrer gab. Aber was war der Grund für die ungewohnte Meldung? Ganz einfach: Réthy hatte seine Unterlagen für eine Wasserballveranstaltung in Spandau bei den beiden im Auto liegen lassen. Dahlmann heute: "Béla war oft ein wenig zerstreut, aber ein herrlicher Typ."