„Mit“ oder „wegen“ ist die Frage
Trotz Omikron mehr Patienten: Wie viel Zufall steckt in der Statistik?

Die Regelung schien vernünftig: Statt der Inzidenz, von der man sicher war, dass sie im Herbst und Winter zangsläufig wieder steigen werde, sollte die Hospitalisierungsrate den Verantwortlichen zeigen, wann, wo und welche Maßnahmen in einer Region ergriffen werden müssen. Doch schnell wurde klar: Das Meldewesen in Deutschland gibt das nicht her, zu sehr hinken die Angaben über die Krankenhauseinweisungen hinterher. Die Inzidenz wurde doch wieder das Maß aller Dinge. Doch seit die Omikron-Variante auch in Deutschland die Herrschaft über das Pandemie-Geschehen übernimmt, stellt sich die Frage: Wie aussagekräftig sind die Fallzahlen noch, wenn diese Variante zwar ansteckender ist, aber weniger schwere Verläufe generiert?
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Fauci: Hospitalisierungsrate ist "das Wichtigste"
Im „Wieder was gelernt“-Podcast von ntv erläutert Journalist Christian Herrmann, warum der Blick in die Zahlen sehr präzise sein muss: Die Zahl der Einweisungen entkoppele sich nämlich von der Inzidenz. Der medizinische Corona-Berater von US-Präsident Joe Biden, Anthony Fauci, hatte Ende Dezember in einem Interview mit dem Sender MSNBC darauf hingewiesen: Die entscheidende Frage sei, wie krank die Menschen nach einer Infektion mit dem Coronavirus werden, erklärt er dort.
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Man dürfe die Fallzahlen nicht ignorieren, aber wenn eine Infektion weniger schwer verlaufe, sei Hospitalisierungsrate eben „das Wichtigste“. Die Frage sei, was erreicht werden solle, so Fauci. „Wollen wir verhindern, dass sich Menschen infizieren oder wollen wir verhindern, dass sie an einem schweren Verlauf erkranken?“
Krankenhaus-Einweisungen müssten mit Omikron sinken
Klar ist mittlerweile: Vor Omikron sind selbst Ungeimpfte besser geschützt. Bei einer Infektion hätten sie „24 Prozent weniger Risiko, ins Krankenhaus zu müssen als jemand, der ungeimpft mit Delta infiziert wird“, erklärte Virologe Christian Drosten Anfang Januar im NDR-Podcast. Für die vielen Ungeimpften in Deutschland eine gute Nachricht – vor allem für die 3 Millionen Ungeimpften über 60 Jahre. Am besten geschützt sind aber auch laut aktuellsten Studien nach wie vor die Geboosterten. Einer dänischen Studie von Ende Dezember zufolge sogar davor, sich überhaupt mit der Variante zu infizieren, wie Herrmann in seinem Podcast anführt. Die Krankenhaus-Einweisungen müssten demnach mit Omikron sinken, oder?
Warum steigt die Rate trotzdem an?
Doch die Zahlen, die beispielsweise aus der Omikron-Blaupause Großbritannien gemeldet werden, zeichnen ein anderes Bild: Obwohl 83 Prozent aller über 12-Jährigen auf der Insel vollständig geimpft sind, fast zwei Drittel auch schon einen Booster erhalten haben und Omikron ja selbst bei Ungeimpften anscheinend weniger schwer verläuft, hat das Land dort in den vergangenen Wochen sprunghaft angestiegene Hospitalisierungsraten zu verzeichnen. Anfang Dezember wurden im Durchschnitt knapp 800 Menschen pro Tag mit einer Infektion ins Krankenhaus gebracht, nur vier Wochen später waren es mit 2.300 beinahe viermal so viele. Wie kann das sein?
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Gebrochenes Kinder-Bein mit Corona
In Großbritannien steigt die Zahl der Hospitalisierungen zwar, die der schweren Fälle aber stagniert. Dieses Phänomen lässt sich auch in den USA beobachten. Dort hatten Berichte über steigende Hospitalisierungen von Kindern zu noch größeren Sorgen in der Bevölkerung geführt, wie Hermann im Podcast ausführt.
Pandemie-Experte Fauci erklärt das Phänomen demnach so: Erstens würden sich aktuell so viele Menschen anstecken, dass es automatisch mehr Kinder gebe, bei denen eine Infektion schwer verlaufe, auch wenn das in ihrer Altersgruppe nach wie vor sehr selten sei. "Der andere wichtige Punkt ist, dass viele Kinder nicht 'wegen', sondern 'mit' Corona im Krankenhaus liegen", sagte der Corona-Berater von US-Präsident Biden.
"Was bedeutet das? Wenn ein Kind ins Krankenhaus kommt, wird automatisch ein Corona-Test gemacht. Wenn sie positiv getestet werden, tauchen sie in den Hospitalisierungszahlen auf, obwohl eigentlich ihr Bein gebrochen oder ihr Blinddarm entzündet ist."
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Zahl der mechanisch beatmeten Patienten stabil
Im Omikron-Hotspot London bestätige sich diese Beobachtung ebenfalls, erläutert Hermann im ntv-Podcast. Auch dort sei schon früh aufgefallen, dass viele Patienten nicht mehr "wegen", sondern nur noch "mit" Corona im Krankenhaus lagen. Bis heute sorge sie für hohe Hospitalisierungszahlen in der britischen Hauptstadt, aber die Zahl der Patienten, die mechanisch beatmet werden müssten, befinde sich nach wie vor auf dem Niveau von September. Ist das jetzt ein Grund zur Entspannung?
Der Journalist glaubt das nicht: Je höher die Infektionsraten, desto mehr schwere Verläufe seien zu beobachten - das zeigen auch die aktuellen Zahlen aus der Weltmetropole. Und schließlich gebe es zeitgleich die Beobachtung, dass Patienten, die "mit" Corona in die Statistik eingehen, später noch "wegen" Corona schwer erkranken. (ija)
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