Wegen scharfer Abtreibungsgesetze

Texas: Ärztin verweigert Ausschabung - Frau trägt toten Fötus wochenlang in sich

von Christina Warnat

Schon bevor der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten (Supreme Court) das liberale Recht auf Abtreibung in den USA gekippt hat, waren Schwangerschaftsabbrüche in Texas durch das hochumstrittene „Herzschlag Gesetz“ (sog. „Heartbeat Act“) extrem erschwert. Wozu es führen kann, wenn Abtreibungen illegalisiert werden, zeigt auch das Beispiel von Marlena Stell. Ihr Baby starb in der neunten Schwangerschaftswoche. Doch lange wollte keine Ärztin und kein Arzt eine Ausschabung bei ihr vornehmen – aus Angst vor den möglichen Konsequenzen.

Kopfgeld für alle, die "Abtreibungshelfer" verpfeifen

Im Mai 2022 wäre ihr Baby geboren worden, twittert Marlena Stell. Sie ist überzeugt, dass es ein Junge war, Milan sollte er heißen. Doch Milan starb noch im Mutterleib, in der neunten Schwangerschaftswoche war beim Ultraschall kein Herzschlag mehr zu sehen. Das war Ende August letzten Jahres. Eine Katastrophe für Marlena und ihren Partner AD DeSilva. Die beiden hatten sich bereits auf ein Geschwisterchen für Tochter Adelina gefreut. Eine schwere Zeit für die junge Familie – und sie sollte noch schwerer werden, wie die Kosmetikerin bei YouTube und im Interview mit CNN berichtet.

Denn in Texas galt zu dem Zeitpunkt das strengste Abtreibungsgesetz in den USA. Der Gesetzesentwurf für das sogenannte „Heartbeat Act“ war am 19. Mai 2021 verabschiedet worden und trat im September in Kraft. Das Gesetz erlaubte Abtreibungen nur solange, bis ein Herzschlag darstellbar ist, also in etwa bis zur sechsten Schwangerschaftswoche. Ein Zeitpunkt, zu dem viele Frauen nicht einmal wissen, dass sie schwanger sind. Ein Großteil aller Abtreibungen fand daher nach der sechsten Woche statt, weshalb die Gesetzesänderung de facto einem Verbot gleichkam. Um illegale Abtreibungen vollständig auszumerzen, beinhaltete das Gesetz zudem eine Art Kopfgeld-Klausel.

Privatpersonen konnten all jene verklagen, die bei einem Schwangerschaftsabbruch geholfen haben - etwa Taxifahrer, die eine Frau zur Klinik bringen, Eltern, die ihre Tochter finanziell bei der Abtreibung unterstützen oder Beschäftigte des Gesundheitswesens. Als „Belohnung“ hatte der Staat Texas bis zu 10.000 US-Dollar ausgelobt. Das Gesetz fördere Denunziantentum, so damals kritische Stimmen. Entsprechend riesig war die Empörung im Land - und auch die Verunsicherung bei vielen Ärztinnen und Ärzten, die jederzeit mit einer Klage rechnen müssen. Selbst, wenn sie nachweisen können, dass der Fötus tot war und die Klage abgewiesen wird, bleiben sie im Zweifel auf den Anwaltskosten sitzen. „Sie werden also verlieren“, stellt Dr. Lillian Schapiro, die seit dreißig Jahren als Frauenärztin in Atlanta praktiziert, im Gespräch mit CNN fest. „Das ist der abschreckende Effekt. Sie sehen sich dem Schreckgespenst eines möglicherweise endlosen, ruinösen Rechtsstreits konfrontiert, den sie nicht aufhalten, nicht vermeiden und nicht abwenden können.“

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Frauenärztin: Verschleppte Ausschabung kann für Mutter lebensbedrohlich sein

So ist auch zu erklären, dass Stells Ärztin eine Ausschabung verweigerte. Das Verfahren, eine sogenannte Kürettage, wird auch bei Abtreibungen lebender Föten eingesetzt. „Sie sagte, wegen des neuen Gesetzes, das verabschiedet worden ist, müssen Sie einen weiteren Ultraschall machen lassen, damit ich überhaupt etwas für sie tun kann“, sagt sie im Interview. Dabei ging es der Frau körperlich bereits sehr schlecht. „Die Schmerzen wurden so stark, dass ich kaum gehen konnte.“

Marlena habe die Untersuchung durchführen lassen, die einer Retraumatisierung gleichgekommen sei. „Es war herzzerreißend. Man weiß bereits, was man sehen wird“, beschreibt sie ihre Gefühle. „Es ist, als würde man es zweimal durchleben, wenn dir gesagt wird, dass du keine Mutter wirst.“ Nach der Behandlung folgte ein weiterer Schock, denn ihre Gynäkologin habe den Eingriff trotz des zweiten Ultraschalls nicht durchführen wollen. Insgesamt zwei Wochen vergingen, ehe sie einen Arzt fand, der die Ausschabung endlich vornahm. „Es fühlt sich so an, als könnte ich nicht trauern oder mich damit abschließen, weil ich es (das Baby, Anm. d. Red.) noch in mir trage.“

Eine psychische Belastung. Aber auch die gesundheitlichen Risiken sind gravierend. „Sie könnte eine Infektion bekommen, die sie unfruchtbar macht und dazu führt, dass sie nie wieder Kinder bekommen kann“, erklärt Dr. Lillian Schapiro. „Wenn das Baby im Mutterleib stirbt, werden Gewebeteile freigesetzt, die in den Blutkreislauf der Mutter gelangen können. Das kann zu Organversagen und zum Tod führen.“ Nach diesen Erlebnissen haben Marlena und ihr Partner den Gedanken an ein zweites Kind weit weg geschoben. Zu groß sei die Angst vor den möglichen Konsequenzen. Beide überlegen nun, Texas zu verlassen.