Arzt: „Sie sind jung – Ihre Entscheidung!“
Statt empfohlener 24-Stunden-Überwachung: Mutmaßlich mehrfach verletzte Patientin wird heimgeschickt
Es kann uns alle jederzeit treffen: Ein kurzer Moment, und schon finden wir uns im Krankenhaus wieder. Dann wollen wir uns gut versorgt und sicher fühlen. Doch was „Team Wallraff“-Reporterin Zarah bei ihrem Pflegepraktikum im St. Vincenz-Krankenhaus in Limburg undercover beobachtet, erweckt bei ihr einen anderen Eindruck: Nach einem Autounfall wird auf eine junge, mutmaßlich mehrfach verletzte Patientin eingewirkt, nicht die eigentlich vorgesehenen 24 Stunden zur Überwachung im Krankenhaus zu bleiben, sondern sich selbst nach Hause zu entlassen – obwohl auch deutlich später noch ernste innere Verletzungen auftreten könnten und sie vor Schmerzen kaum aufstehen kann. Liegt das an dem chronischen Mangel an Personal und Betten? Im Video sehen Sie, was der behandelnde Arzt der Frau sagt.
Unfallchirurgin: "Völlig inadäquat"
Wenn nicht genug Personal da ist, müssen in Krankenhäusern ganze Stationen geschlossen und Patientinnen und Patienten umverteilt werden. Als Pflegepraktikantin hat Zarah den Eindruck, im St. Vincenz werde ein regelrechtes „Patienten-Tetris“ betrieben. Und nicht nur das: Im Fall der jungen Frau, die Opfer eines Autounfalls wurde, erklärt eine Pflegerin Zarah, man wolle eine stationäre Aufnahme ganz vermeiden. Normalerweise sei vorgesehen, Patientinnen und Patienten in einem solchen Fall für einen gewissen Zeitraum in der Klinik zu behalten, doch der Assistenzarzt erklärt der verunsicherten Patientin: „Brauchen wir 24 Stunden Überwachung nicht mehr“ – sie sei jung und man habe umfangreiche Untersuchungen durchgeführt. Sehr wohl bräuchten sie aber eine Unterschrift, mit der die Frau bestätigt, dass sie das Krankenhaus gegen ärztlichen Rat vorzeitig verlassen will. Schließlich verlässt die Patientin, die auf Zarah sichtlich überfordert wirkt, das Krankenhaus – unter Schmerzen und auf Krücken.
Günter Wallraff zeigt die Aufnahmen Dr. Sara Aytac, Oberärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie. Ihre eindeutige Meinung: Diese Vorgehensweise sei „völlig inadäquat“. Die Patientin sei psychisch überhaupt nicht in der Lage, außerdem: „Sie wird nicht auf die Beine gestellt, es wird nicht überprüft, ob sie das überhaupt kann. Unabhängig von der Tatsache, dass es einen Grund gibt, warum man solche Sachen 24 Stunden überwacht, weil es durchaus zum Beispiel durch Verletzungen der weichen Oberbauchorgane erst im weiteren Verlauf zu Blutungen kommen kann.“
Das sagt das St. Vincenz-Krankenhaus
Das St. Vincenz-Krankenhaus schreibt hierzu: „Werden Patienten aufgrund des Unfallhergangs als potentiell mehrfachverletzt (‚polytraumatisiert‘) eingeschätzt, im Verlauf jedoch schwere Verletzungen ausgeschlossen, werden diese Patienten gemäß Empfehlung stationär aufgenommen und 24 Stunden beobachtet. Es ist nicht unüblich, dass Patienten, die gar nicht oder lediglich leicht verletzt sind, nach der umfassenden Untersuchung darauf drängen, das Krankenhaus vor Ablauf der 24 Stunden zu verlassen. Gemäß den Leitlinien geschieht eine Entlassung dieser leicht oder gar nicht verletzten Patienten in jedem Fall nach einer ausführlichen Aufklärung über mögliche Risiken.“
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Wegen Zeitmangel: Pfleger tragen ausgedachte Vitalwerte ein
Auch eine andere Situation, die zeigt, wie gravierend der Mangel an Pflegekräften teils ist, macht Zarah fassungslos: Eigentlich müssten bei einem Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma alle 30 Minuten Puls und Blutdruck gemessen werden. Doch ein Pfleger verrät ihr: „Die Zeit hast du nicht. Du kannst nicht alle dreißig Minuten bei dem im Zimmer stehen und messen, das schaffst du nicht, also tragen wir dann einfach irgendwas ein.“ Und tatsächlich schreibt er kurz darauf Werte in die Dokumentation, die er sich selbst ausgedacht hat. Dass er das eigentlich nicht darf, weiß er selbst, mahnt Zarah jedoch trotzdem zur Verschwiegenheit: „Du hast nichts gesehen und nichts gehört.“
Extrem fahrlässig, wie Dr. Aytac erklärt: „Im Falle einer Kopfverletzung ist auch dort die Zeit das Entscheidende. Das kann sich innerhalb von wenigen Minuten drastisch verschlechtern bis hin zum Versterben.“ Das St. Vincenz-Krankenhaus schreibt hierzu: „Fälle, in denen in einer Fieberkurve ausgedachte Werte eingetragen worden sein sollen, sind uns nicht bekannt.” (rka)