Auf das Wie der Mediennutzung kommt es an

Kinder daddeln zu viel! Eltern plagt das schlechte Gewissen, mich auch - zu Recht?

Jugendliche hängen am Handy.
Daddel, daddel, chat, chat - ist jetzt auch mal gut, oder?
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Ob Kinder, Teenies oder Eltern: Wir alle verbringen viel Zeit online – aber ist es wirklich zu viel?
Viele Eltern kennen diese Situation: Statt draußen etwas zu unternehmen, hängen die Kids am Handy, chatten oder schauen Videos. Eine aktuelle Umfrage zeigt auf, dass Eltern das digitale Konsumverhalten ihrer Kinder oft unterschätzen – und deswegen ein schlechtes Gewissen haben. Wie kommen wir da wieder raus? Oder gibt es dafür womöglich gar keine Lösung? Ein Erklärungsversuch.

Ersatz-Nanny verzweifelt gesucht!

In der Familienumkleide unseres Kölner Stammschwimmbades fragt mich mein sechsjähriger Sohn, ob er nach dem Schwimmen an sein Tablet dürfe. Ich murmele seufzend in seine Richtung: „Na ja, ich muss ohnehin noch ein paar dringende Sachen erledigen.“ Eine Mutter grinst mich bestätigend an.

Ja, auch das ist ein Grund, warum Medienzeit – gerade bei Eltern, die betreuungswillige Omas und Opas nicht um die Ecke wohnen haben – gerne eingesetzt wird: das Smartphone oder Tablet als Ersatz-Nanny. Sich IN RUHE um den Haushalt, Reparaturen, Wäsche, Verwaltungskram kümmern können. Dies, das, Ananas – zu tun ist schließlich immer mehr, als überhaupt zu schaffen ist.

Lese-Tipp: Wann ist mein Kind bereit für ein eigenes Smartphone?

Mal eine Stunde in Ruhe Dinge erledigen - plus ne Tasse Kaffee!

Klar, man sollte das Kind dazu animieren, zu basteln, zu malen oder mit Lego zu spielen. Zu viel Medienzeit schadet der körperlichen und seelischen Entwicklung. Aber dabei kommen immer Rückfragen auf und am besten ist man als Elternteil selbst Teil des Spiels – vorbei ist es mit der Ruhe! Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Natürlich sollten Eltern die GANZE Welt mit ihren Kindern erleben und erforschen, für sie da sein, viel mit ihnen interagieren. Und viel Bewegung ist für Kinder extrem wichtig, das steht außer Frage.

Aber es geht doch nur um diese eine Stunde! Doch diese eine Stunde wird dann gerne zu der einen Stunde – plus X. Hat man nämlich alles erledigt, will man auch mal bei ‘ner Tasse Kaffee durchpusten. Kein Wunder, dass die Mehrheit der Eltern in Deutschland einer aktuellen Umfrage zufolge ein schlechtes Gewissen ob der hohen Mediennutzung ihrer Kinder hat.

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Im Video: Psychiater warnt vor Handynutzung von Kindern

59 Prozent der Eltern befürchten: Wir erlauben zu viel

Das geht aus einer repräsentativen Online-Befragung der Betriebskrankenkasse Pronova BKK hervor, aus der die Funke Mediengruppe zitiert. 61 Prozent der Befragten ärgern sich demnach häufig oder manchmal, weil sie bei der Mediennutzung ihres Kindes oder ihrer Kinder zu viele Ausnahmen machen. Gleichzeitig befürchten 59 Prozent, dass sie ihren Kindern eine zu häufige oder zu lange Nutzung erlauben.

Gut die Hälfte gesteht auch ein, dass sie zu selten bei ihren Kindern seien, um die Nutzung von digitalen Medien zu kontrollieren. 52 Prozent sagen, sie hätten ein schlechtes Gewissen, weil sie ihren Kindern häufig oder manchmal schon im jungen Alter die Nutzung digitaler Medien erlauben, „damit sie ruhig gestellt sind“.

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Soziale Medien entsprechen unserer sozialen Natur

Kinder ruhig stellen – klingt so, als würde man sie betäuben. Im Umkehrschluss müssen wir davon ausgehen, dass Erwachsene sich auch ständig betäuben, wenn sie zu lange bei Social Media abhängen. Und vielleicht tun wir das sogar?

Die allermeisten von uns empfinden es ja auch so: In den sozialen Medien verbringen wir unglaublich viel Zeit, in der Regel ziehen wir nicht wirklich einen Nutzen daraus. Verschenkte Zeit also. Aber wir sind eben soziale Wesen: Was um uns herum und in der Welt passiert, interessiert uns brennend. Und wie andere Menschen die Dinge sehen und einschätzen ebenso. Das ist normal, das liegt in unserer Natur.

Ihre Meinung ist gefragt!

Die Ergebnisse der Umfrage sind nicht repräsentativ!

Eltern reden sich die Nutzungszeit klein

Aber Hand aufs Herz: Selbst wir Erwachsenen haben noch kein vernünftiges Rezept gefunden, wie wir optimal mit all den Verlockungen umgehen sollen, die das Netz so mit sich bringt. Und übertreiben es oft genauso wie die schon älteren Kinder ab zehn Jahren, die spätestens als Pubertierende mehr am Tablet oder Handy hängen, als wir es jemals für möglich gehalten hätten.

Vor allem Teenager zwischen 14 und 17 Jahren verbringen den befragten Eltern zufolge pro Woche 15 Stunden vor den Bildschirmen – nur knapp neun Stunden ihrer Freizeit nutzen sie für Offline-Aktivitäten wie Sport. Und es kommt noch härter: „Befragungen von Kindern zeigen oft viel höhere Nutzungszahlen. Eltern neigen dazu, sich die Bildschirmzeit ihrer Kinder kleinzureden“, sagte der Sozialpädagoge Clemens Beisel der Mediengruppe.

Medienzeitalter hat andere Anforderungen

Es gibt Experten, die argumentieren: Um auf das moderne Informationszeitalter vorbereitet zu sein, darf es ein bisschen mehr Zeit sein als die gängigen Empfehlungen von WHO und Co. Durch die Corona-Pandemie hat sich die Sicht auf die digitalen Medien ohnehin verändert: Wir haben gelernt, dass wir mit ihnen lernen, kommunizieren und arbeiten können.

Auch Medienpädagogin Dr. Iren Schulz, Coach bei der Initiative „SCHAU HIN! Was dein Kind mit Medien macht“, argumentiert, dass eine einfache Zeitbegrenzung nicht unbedingt sinnvoll ist. Wichtiger sei es, auf die Qualität der Bildschirmzeit und auf einen ausgewogenen Medienmix zu achten.

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Wie wäre es mit selber machen?

Qualität ist also wichtiger als Quantität! Heißt: Wir sollten als Eltern nicht nur den Konsum aktiv begleiten, sondern auch die Nutzung lenken: Spiele spielen – okay! Wie wäre es damit, mal eines zu programmieren? Videos schauen oder Hörspielen lauschen – okay! Wie wäre es, selbst welche zu machen? Texte lesen, super. Vielleicht selbst einen auf dem Rechner schreiben und veröffentlichen?

Ja, zugegeben: Zerstreuung entspannt, ob nun bei Facebook, X oder Instagram - oder eben bei TikTok und Snapchat. Aber wenn wir schon ALLE sooo viel Zeit im Digitalen verbringen, wäre die Regel „Nur berieseln ist doof, selbst machen rules" wahrscheinlich für alle die erstrebenswertere, (fast) goldene Mitte. Und Applaus für selbst Gemachtes kommt doch immer gut – vom Online- wie vom Offline-Publikum.