Erschöpfung, Gelenkschmerzen, psychische Probleme

Post Covid: Das schwer greifbare Krankheitsbild stellt überfüllte Ambulanzen vor große Herausforderung

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Nicht mehr klar denken können, ständig müde sein - sind das Spätfolgen einer Corona-Infektion?
Westend61, Imago

Ständig erschöpft, das Gedächtnis scheint nicht mehr richtig zu funktionieren, die Gelenke schmerzen immer wieder: Viele leiden noch Monate nach einer Corona-Infektion regelmäßig unter diesen Symptomen – alleine in Hessen sind es ca. 40.000 Menschen. Post Covid heißt dieses diffuse Krankheitsbild, das Patienten und Mediziner vor eine große Herausforderung stellt. Als Post-Covid bezeichnet man Beschwerden, die drei Monate nach der Ansteckung fortbestehen und mindestens zwei Monate lang andauern. Schätzungen zufolge sollen etwa 10 Prozent der Deutschen nach einer Infektion betroffen sein.

Lange Wartelisten - freie Termine oft erst 2023

Die Nachfrage ist groß, die extra eingerichteten Post-Covid-Ambulanzen wie an der Frankfurter Uniklinik vollkommen ausgelastet. Vor allem die Einordnung der Symptome und der sogenannte Erstkontakt seien „extrem aufwendig“, erklärt Infektologin Maria Vehreschild, leitende Professorin an der Ambulanz für Post-Covid-Patienten in Frankfurt. Nicht nur hier gebe es lange Wartelisten für betroffene Patienten, teilweise seien die Termine bis 2023 ausgebucht.

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"Diffuses" Krankheitsbild ist das Problem

Das Problem mit den Post-Covid-Patienten ist, dass die Krankheit so wenig greifbar ist. „Die Liste der Symptome ist lang und divers“, sagt Vehreschild: Atemnot, Husten, Kurzatmigkeit liegen bei einem Atemwegsinfekt auf der Hand, aber die Patienten klagen auch über kognitive Einschränkungen, Gelenkschmerzen, psychische Probleme oder Erschöpfung. Auch alle anderen Organe können betroffen sein. Das schwer greifbare Krankheitsbild könne sehr frustrierend für die Patienten sein, ergänzt Vehreschild.

22.07.2022, Hessen, Frankfurt/Main: Maria Vehreschild, Leiterin der Infektiologie am Frankfurter Universitäts-Klinikum, steht im Gang eines der Gebäude. Zusammen mit einem Kollegen ist sie auch Leiterin der Long-Covid-Ambulanz. (zu dpa: «Lange Wartelisten für Patienten mit Covid-Spätfolgen in Hessen») Foto: Frank Rumpenhorst/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Gefragte Frau: Gemeinsam mit ihrem Kollegen Gernot Rohde leitet Infektologin Maria Vehreschild die Long/Post-Covid-Ambulanz an der Uniklinik Frankfurt.
fru, dpa, Frank Rumpenhorst

Von Post Covid betroffen sein könne jeder, sagt Vehreschilds Kollege an der Frankfurter Uniklinik Pneumologe Gernot Rohde. Zwar sähen die Mitarbeiter „eine gewissen Korrelation mit der Schwere der Erkrankung“, aber auch junge, gesunde, sportliche Menschen seien dabei. Rohde bestätigt die Problematik des Krankheitsbilds. Nicht immer sei eindeutig, dass die geschilderten Symptome Folgen der Infektion mit Covid-19 seien. Manchmal gebe es starke Überschneidungen mit dem chronischen Fatigue-Symptom. Auch hier treten unter anderem Erschöpfung, anhaltendes Grippe-Gefühl und kognitive Einschränkungen auf.

Allgemeinmediziner Dr. Specht: "Empfindlichkeiten spielen entscheidende Rolle"

RTL-Interview mit Dr. Christoph Specht.
Allgemeinmediziner und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht sieht die Psyche als entscheidend für die Heilung nach einer Infektion.
RTL

Auch wenn die Beschwerden auf die Infektion mit dem Coronavirus zurückzuführen seien, sei das kein Grund zur Beunruhigung, so Allgemeinmediziner Dr. Christoph Specht im RTL-Interview: „Fast jede Viruserkrankung kann auch Langzeitverläufe zeigen. Sehr bekannt ist das von der Grippe. […] So wäre es verwunderlich, wenn ausgerechnet Corona keine Langzeitverläufe hervorbringen könnte.“ Vielen Menschen falle es schwer, in der aktuellen Lage, die Symptome richtig einzuordnen und auch die Empfindlichkeiten eines jeden spielen eine entscheidende Rolle.

Lese-Tipp: Long Covid - wann Sie bei welchen Symptomen zum Arzt gehen sollten

Immer mehr Kinder mit Long-Covid-Verdacht

Doch unumstritten bleibt die große Nachfrage in den Post-Covid-Ambulanzen. Auch Kinderärzte haben aufgerüstet, erste Patienten sind zum Beispiel im Kinderzentrum am Klinikum Kassel in Behandlung. Auch hier seien Termine erst Ende des Jahres zu bekommen. Bei anhaltendem Verdacht würde man dort die Kinder stationär aufnehmen. Die Mediziner in Kassel gehören einem Netzwerk von zehn Kinderkliniken deutschlandweit an, die sich der Erforschung und Behandlung von Long Covid bei Minderjährigen widmen.
Die Internetseite „Long Covid Deutschland“ stellt Patienten mit Verdacht auf Spätfolgen, deutschlandweit Adressen von Post-Covid-Ambulanzen – größtenteils an Unikliniken, aber auch bei niedergelassenen Ärzten – zur Verfügung.

Kassenärzte: Ambulanzen sind profitables Geschäftsmodell für Unikliniken

Dass die Ambulanzen vorrangig an Unikliniken platziert sind, sieht die Kassenärztliche Vereinigung jedoch kritisch: Auch eine Universitätsklinik koche „nur mit Wasser“, in den Ambulanzen finde „keine kurative Behandlung“ statt, daher stelle sich die Frage, „ob das überhaupt sinnvoll ist: Aus KV-Sicht haben wir es hier eher mit einem Geschäftsmodell der Unikliniken zu tun. Diese profitieren davon, dass gerade medizinische Laien oft glauben, Unikliniken könnten in der Regelversorgung irgendetwas besser als die Regelversorger.“ Inzwischen hätten aber auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte umfangreiche Erfahrungen mit Long-Covid, so die Stellungnahme der Kassenärzte.

Prof. Jürgen Graf, Ärztlicher Direktor des Frankfurter Universitätsklinikums argumentiert für seine Einrichtung: „Das ist einer der großen Vorteile der Universitätsmedizin: dass die, die behandeln und dabei viele Patienten sehen, gleichzeitig auch wissenschaftlich tätig sind.“ Die Patienten könnten sich an einigen Stellen auch entscheiden, an Studien der Bundesregierung – zum Beispiel zu Luftnot nach einer Infektion – teilzunehmen. (dpa/gmö)