Gewichtszunahme, Todesgedanken, Panikattacken

„Nie wieder Pregabalin!“ Schmerzmittel löste bei Nadine (45) krasse Nebenwirkungen aus

von Lauren Ramoser

Millionen Deutsche nehmen Pregabalin gegen ihre Schmerzen. Doch was vermeintlich Linderung bringen soll, wird für viele Menschen zum Albtraum.
Diese Erfahrung musste auch Nadine Morgenroth machen. Die 45-Jährige ist unheilbar an der Wirbelsäule erkrankt, aktuell macht sie trotz anhaltender Schmerzen ihren dritten Pregabalin-Entzug durch. Heute steht für sie fest: Alles ist besser als dieses Medikament! Im Video erzählt Nadine, wie das umstrittene Mittel bei ihr wirkte und warum sie es jetzt für immer loswerden will.

So wirkt Pregabalin gegen Nervenschmerzen

„Das erste Mal habe ich Pregabalin 2009 oder 2010 bekommen“, erinnert sich Nadine Morgenroth im Gespräch mit RTL. Damals ist der ursprüngliche Epilepsie-Wirkstoff – auch bekannt unter dem Namen Lyrica – erst wenige Jahre auf dem Markt. Schnell wird deutlich, dass er nicht nur gegen Krämpfe, sondern auch gegen Ängste und neuropathische Schmerzen wirkt. Nadines Nervenschmerzen an der Wirbelsäule sollen langfristig damit verbessert werden.

„Am Anfang hat mir das echt gut geholfen. Man fühlt keinen Schmerz mehr, aber man empfindet auch nichts anderes mehr“, erinnert sich die Rheinland-Pfälzerin an die Wirkung. Zunächst glaubt sie, die Krankheit selbst habe sie abgestumpft. Doch mit der Zeit merkt sie, dass das Medikament ursächlich für diese Veränderungen ist. „Ich war wie betäubt und habe mich über mich selbst gewundert, dass ich keine Freude oder Trauer empfinde. Ich war phasenweise total euphorisch, himmelhochjauchzend und dann haben sich meine Gedanken wieder nur um den Tod gedreht.“ Gleichzeitig muss sie die Dosis immer weiter steigern, um gegen die wachsenden Schmerzen anzukommen.

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Trotz aller Nebenwirkungen - plötzlich wird es noch schlimmer

Lange akzeptiert sie diese Nebenwirkungen. Wie schwer Pregabalin tatsächlich in ihren Alltag eingreift, wird ihr erst bei einem weiteren Krankenhausaufenthalt bewusst. „Ich musste erneut operiert werden, weil ein weiterer Halswirbel versteift wurde. Damals lag ich auf der Intensivstation und es wurde vergessen, mir Pregabalin weiterzugeben“, erinnert sie sich.

Nadine Morgenroth macht unwissentlich und ungewollt einen Entzug. „Es war ganz heftig, niemand konnte sich erklären, was da los war.“ Die Symptome kann sie nicht eindeutig zuordnen. „Solange jemand bei mir im Zimmer war, war alles in Ordnung. Doch sobald ich allein war, habe ich richtige Panikattacken bekommen. Ich habe gedacht, dass mich die Wände erdrücken.“ Sie spricht mit den Pflegern und Ärzten darüber, doch deren Antwort ist hart: „Die haben zu mir gesagt, dass sie mich in die Psychiatrie überweisen, wenn ich mich nicht zusammenreiße.“

Der kalte Entzug fällt erst auf, als Nadine Morgenroth nach ihren gewohnten Schmerztabletten fragt. „Als man sie mir wieder gab, waren die Symptome nach einer Stunde weg.“

Monate später – von der Operation hat sie sich erholt – setzt sie das Medikament langsam ab. Über mehrere Wochen hinweg reduziert sie die tägliche Dosis. „Die Entzugserscheinungen waren da, aber nicht so krass.“ Dieses Verfahren empfehlen Ärzte, vor den Konsequenzen eines kalten Entzugs wird eindringlich gewarnt.

Doch es sollte nicht Nadine Morgenroths letzte Erfahrung mit dem Wirkstoff gewesen sein.

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Nadine merkt die Abhängigkeit - viele Ärzte glauben allerdings nicht daran

2015 steht eine weitere Operation an. Weil die Schmerzen an der Wirbelsäule schon vorher immer schlimmer werden, verschreibt eine Ärztin erneut Pregabalin – dieses Mal in Verbindung mit Tilidin, einem Schmerzmedikament aus der Gruppe der Opiate. Zu Pregbalin habe ihr die Ärztin damals mit den Worten geraten: „Nehmen Sie das, das macht nicht abhängig, es nimmt Ihnen nur die Schmerzen.“

Dieser Glaube ist auch unter Ärzten weit verbreitet. Tatsächlich ist die Studienlage nicht eindeutig, viele Pharmaunternehmen berufen sich auf Ergebnisse aus Tierversuchen. Die Erkenntnis daraus: keine Belege für Abhängigkeitspotential. Doch schon 2011 warnt die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft vor einem möglichen Abhängigkeitspotenzial des Schmerzmittels. Laut Giftnotruf der Charité in Berlin „sind die Anfragen zu Pregabalin in den letzten Jahren analog zum Verordnungszuwachs angestiegen“. Eine „systematische Untersuchung“, ob Pregabalin tatsächlich abhängig mache, gebe es laut der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft dennoch nicht. Auch wenn das für Patienten wie Nadine Morgenroth außer Frage steht.

Je länger die Einnahme, desto schwerer die Entzugserscheinungen – ein Teufelskreis, schließlich wird der Wirkstoff zur langfristigen Behandlung von Nervenschmerzen eingesetzt.

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Pregabalin macht aggressiv - doch für Nadine gibt es keine Alternative

Nadine Morgenroth nimmt seit 2009 immer wieder Pregabalin. Jetzt will sie das Schmerzmittel endgültig absetzen.
Nadine Morgenroth nimmt seit 2009 immer wieder Pregabalin. Jetzt will sie das Schmerzmittel endgültig absetzen.
Privat

Nadine Morgenroth lässt das Medikament wieder langsam auslaufen, kommt jahrelang ohne aus. „Ich habe mir geschworen: nie wieder Pregabalin.“ Doch 2021 ändert sich die Situation. Ärzte diagnostizieren eine adhäsive Arachnoiditis, eine unheilbare Erkrankung des Wirbelkanals im Rücken. Aus Mangel an Alternativen setzen die Ärzte nach einer Operation Ende 2023 erneut Pregabalin gegen die starken Nervenschmerzen ein.

Mittlerweile nimmt sie den Wirkstoff zum dritten Mail. „Seit einiger Zeit merke ich, dass es nicht mehr hilft. Ich merke wieder die Wesensveränderungen, bin aggressiv, tieftraurig und depressiv. Ich habe ständig Gedanken, die sich um den Tod drehen. Und ich könnte nur noch essen“, beschreibt die 45-Jährige. All diese Symptome sind gängige Nebenwirkungen des Medikaments. Über eine starke Gewichtszunahme klagen viele Patienten. „Ich habe seit Beginn der Einnahme acht bis zehn Kilo zugenommen“, sagt Nadine Morgenroth. „Ich habe Fressattacken, stehe nachts auf und mache mir ein Schnitzel oder esse eine ganze Packung Schokoriegel.“

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Nebenwirkungen nicht mehr auszuhalten: „Das ist ein absolutes Dreckszeug.“

Sie trifft eine folgenschwere Entscheidung: „Ich halte das nicht mehr aus. Ich fahre das Medikament aktuell wieder runter.“ Vor den erwartbaren Schmerzen ohne die Einnahme von Pregabalin hat sie dennoch Angst. „Dafür beginne ich eine neue Schmerztherapie. Aber mir braucht keiner mehr kommen mit Pregabalin, das ist ein absolutes Dreckszeug.“ Sie fordert: „Aus eigener, jahrelanger Erfahrung kann ich sagen: Pregabalin gehört vom Markt genommen.“

Nicht alle Betroffenen erleben die Schattenseiten des Wirkstoffs. „Ich kenne auch Patienten mit der gleichen Krankheit, die keine Probleme mit Pregabalin haben“, sagt sie. Zweifel an der Wirkung sind dabei schon länger bekannt. Bereits 2019 konmmen die Autoren einer Studie der Uni Marburg zu dem Schluss: „Den offensichtlich eher schwachen therapeutischen Wirkungen und dem vergleichsweisen kleinen Anwendungsgebiet stehen [...] stetig steigende Verschreibungszahlen in den vergangenen Jahren gegenüber“, so die Medizinerin Dr. Annika Viniol von der Philipps-Universität. Heißt: Eine ausreichende, bestätigte Wirkung als Gegengewicht zur langen Liste an Nebenwirkungen gibt es nicht.

Nadine Morgenroth freut sich trotz all der Ungewissheit auf ihr Leben nach Pregabalin. Vor allem darauf, „dass ich wieder der Mensch werde, der ich eigentlich bin“, sagt sie. Doch sie erlebt auch, was viele Pregabalin-Patienten kennen dürften: Für zahlreiche Krankheiten, die Nervenschmerzen auslösen, gibt es kaum Alternativen. Nadine Morgenroth will jetzt medizinisches Cannabis ausprobieren und hofft auf alternative Behandlungsmethoden.

Hier findest du Hilfe in schwierigen Situationen

Solltest du selbst von Suizidgedanken betroffen sein, suche dir bitte Hilfe. Versuche, mit anderen Menschen darüber zu sprechen! Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch die Möglichkeit, anonym mit anderen Menschen über deine Gedanken zu sprechen. Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich. Wenn du schnell Hilfe brauchst, dann findest du unter der kostenlosen Telefon-Hotline 0800 1110222 Menschen, die dir Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.

Solltest du Probleme mit Abhängigkeit von Medikamenten haben, findest du bei verschiedenen Anlaufstellen Hilfe. Einige kostenlose Angebote haben wir hier aufgelistet.