Die Problem-Akte PregabalinTausende Tote! Arzt warnt vor gefährlichem Wirkstoff in Schmerzmitteln

ILLUSTRATION - Eine Frau spricht am 09.12.2016 in einer Arztpraxis in Hamburg mit ihrem Arzt (gestellte Szene). Foto: Christin Klose | Verwendung weltweit
Aus Mangel an Alternativen verschreiben Ärzte immer häufiger Pregabalin - ein oftmals tödliches Problem.
RK, picture alliance / dpa Themendie, Christin Klose
von Lauren Ramoser

Es ist die Schock-Nachricht aus England: Tausende Tote durch ein verbreitetes Schmerzmedikament.
Doch was steckt hinter den Enthüllungen der Sunday Times über das Medikament Pregabalin? Wir haben mit dem Allgemeinmediziner Dr. Christoph Specht über den zweifelhaften Erfolg der Tabletten gesprochen. Und darüber, warum das Problem noch viel größer ist, als viele annehmen.
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Die Problem-Akte Pregabalin - Tausende Tote in Großbritannien

3.400 Menschen sind laut Sunday Times allein in den vergangenen fünf Jahren an den Folgen von Pregabalin gestorben. Verschrieben wird es Millionenfach – und zwar auch in Deutschland. Mediziner Specht geht aktuell von rund vier Millionen Verschreibungen pro Jahr aus. Damit landet Pregabalin in den Top 30 der am häufigsten verschriebenen Medikamente. Sind all diese Patienten – unbewusst – in Gefahr?

Ursprünglich wurde das Medikament als Krampflöser im Kampf gegen Epilepsie vor 20 Jahren zugelassen. „Damals ein Nischenmedikament“, ordnet Dr. Specht ein. Doch das ändert sich. Denn mit den Jahren kam die Erkenntnis über zwei weitere Wirkungen dazu, die heute im Fokus der Verschreibungen stehen.

Zum einen wirkt Pregabalin angstlösend, viel wichtiger noch ist aber seine Wirkung gegen neuropathische Schmerzen - also chronische Schmerzen, verursacht durch Nervenschäden. Passieren kann das etwa durch Herpesinfektionen, Gürtelrose oder auch Diabetes.

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Wogegen verschreiben Ärzte Pregabalin - und warum?

Bei solchen neuropathischen Schmerzen sind die Nerven an sich geschädigt. „Sie feuern ständig, und somit sind die Schmerzen ständig da“, sagt Specht. „Und über Schmerzen klagen sehr viele Menschen.“ Für Patienten wird der Schmerz zum Dauerproblem. Viele suchen dann eine einfache Lösung für ein komplexes Problem.

„Kein Schmerzmedikament ist auf Dauer geeignet“, sagt der Mediziner. Räumt für Ärzte aber ein: „Gerade beim neuropathischen Schmerz hat man nicht viel Auswahl in der Medikation.“ Sprich: Es gibt nur wenige Medikamente, die betroffenen Patienten Hilfe versprechen.

Dennoch mahnten Forscher der Uni Marburg schon 2019 vor der breiten Verschreibung des Medikaments. „Offenbar werden die Medikamente häufig bei allgemeinen chronischen Schmerzen verschrieben, unabhängig davon, ob eine neuropathische Diagnose vorliegt“, fasst Medizinerin Dr. Annika Viniol, Leitautorin der Marburger Studie, zusammen.

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Woran sterben die Pregabalin-Patienten genau?

Die Liste an ausgewiesenen Nebenwirkungen ist lang, eine Auswahl:

  • Benommenheit und geistige Beeinträchtigung

  • Sehstörungen

  • Nierenversagen

  • Herzinsuffizienz

  • Suizidale Gedanken und suizidales Verhalten

Alles beängstigend, aber nicht allein für die Zahl der Toten verantwortlich. „Gerade die Wechselwirkung mit anderen Medikamenten halte ich für sehr gefährlich“, sagt Specht. Das seien vielfach auch harte Drogen. Nicht das Medikament selbst führt also in den meisten Fällen zum Tod – sondern die Kombination mit anderen Mitteln und Substanzen.

Entgegen erster Annahmen der Industrie macht Pregabalin zusätzlich abhängig. In der Sunday Times erzählt Michelle Cottam über die Erfahrungen ihres Sohnes Alex. Zunächst habe Pregabalin ihm geholfen, sich normal zu fühlen. „Doch mit der Zeit hat das Medikament seinen ganzen Alltag bestimmt. Es hat ihn komplett verändert, es war wie eine Sucht.“ Alex kämpfte gegen eine Depression, nahm die Tabletten, um mit seiner Angststörung besser zurechtzukommen. Nach zweijähriger Einnahme ist er ungewollt an einer Überdosis gestorben.

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Sollte man Pregabalin einfach verbieten?

Das Mittel zu verbieten, hält der Allgemeinmediziner dennoch nicht für die Lösung. Die Alternativen in der Behandlung seien nicht gegeben und, so hart es klingt: „Bei der großen Menge der Verordnungen ist für mich überhaupt nicht verwunderlich, dass es zu Todesfällen kommt.“

Aber sind bei der großen Gefahr durch Wechselwirkungen dann nicht vor allem Mediziner gefragt, die Medikamentenlisten ihrer Patienten genau zu überwachen? „Doch“, sagt Specht. „Und deswegen glaube ich auch, dass Pregabalin zu leichtfertig verschrieben wird.“

Worauf ihr und eure Ärzte achten solltet

Für Patienten gilt laut Specht: „So wenig wie möglich, so kurz wie möglich.“ Er beobachte immer wieder, dass gerade Schmerzmedikamente leichtfertig genommen werden. „Bei Schmerzen sollte man nicht immer gleich zu den Schmerzmitteln greifen – außer man kann sie wirklich akut behandeln und dann sind sie wieder weg“, erklärt der Mediziner.

Zudem ist wichtig, die eigenen Medikamente im Blick zu haben und Ärzte bei Neuverschreibungen darauf aufmerksam zu machen. Auch das Lesen von Beipackzetteln ist wichtig – Warnungen und Hinweise müssen ernst genommen werden.

Hier findest du Hilfe in schwierigen Situationen

Solltest du selbst von Suizidgedanken betroffen sein, suche dir bitte Hilfe. Versuche, mit anderen Menschen darüber zu sprechen! Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch die Möglichkeit, anonym mit anderen Menschen über deine Gedanken zu sprechen. Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich. Wenn du schnell Hilfe brauchst, dann findest du unter der kostenlosen Telefon-Hotline 0800 1110222 Menschen, die dir Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.

Solltest du Probleme mit Abhängigkeit von Medikamenten haben, findest du bei verschiedenen Anlaufstellen Hilfe. Einige kostenlose Angebote haben wir hier aufgelistet.