Heftige Nebenwirkungen einer jahrelangen Kortikosteroid-Sucht
Cortison-Entzug: Beth roch nach nassem Hund und fühlte sich wie ein "Alien"

Bereits als kleines Kind bekommt Beth Norman Cortisoncremes gegen Ausschläge, Ekzeme und trockene Haut. Doch ihr damaliger Arzt klärt nie darüber auf, wie lange die Präparate benutzt werden sollen. So nimmt sie die Cremes weiter - bis 2020. Als erwachsene Frau beschließt Beth eigenmächtig, die Cremes abzusetzen - weil sie sicher ist, das sie alles noch viel schlimmer machen. Die Folgen sind extrem. Doch Beth hält an der Entwöhnung fest - mit Erfolg.
Der Beginn eines lebenslangen Albtraums
Beth Norman ist 31 Jahre alt und lebt in Wallington, im Süden Londons. Bereits im Alter von vier Jahren bekommt das Steroidhormon Cortison verschrieben, um ihre damals noch beherrschbaren Ekzeme zu behandeln. Sie hat Ausschläge an den Ellenbogen und in den Kniefalten, Flecken im Gesicht und Trockenheit am Oberkörper - Symptome, die sie heute als "ganz normal" empfindet. Der Beginn eines lebenslangen Albtraums: Denn als Beth versucht, die Cremes abzusetzen, verschlimmern die damit verbundenen Entzugserscheinungen ihre Probleme, die Haut wird rot und juckt, ein übler Geruch entsteht. Typische Symptome bei topischer Kortikosteroid-Sucht.
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Cortison muss korrekt eingesetzt werden
Cortison ist ein körpereigenes Steroidhormon, das als Medikament bei einer großen Anzahl von Krankheiten eingesetzt wird. Seine entzündungshemmenden Eigenschaften machen es zu einem der meistgenutzten Medikamente weltweit. Beispielsweise unterdrückt Cortison Allergien und lindert die Symptome von immunologischen Reaktionen. Bei schweren Fällen von Neurodermitis hilft ebenfalls häufig nur noch Cortison. Gesundheitsexperte Dr. Christoph Specht sagt: „Cortison ist ein ganz wichtiges Medikament, egal ob als Spritze, Tablette oder auf der Haut aufgetragen.“ Allerdings sagt er auch: „Man muss nur wissen, wie man es einsetzt“. Deswegen gehöre eine Behandlung immer dauerhaft in die Hand eines Arztes.
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Große Probleme treten erstmals 2019 auf
Darin liegt bei Beth wohl das Problem. Denn die E-Commerce-Koordinatorin sagt: Weder ihr noch ihren Eltern wurden jemals Ratschläge gegeben, wie lange sie die Hautroutine beibehalten sollten. So setzt Beth die Anwendung bis ins Erwachsenenalter fort. Große Probleme treten dann erstmals im August 2019 während einer Reise nach Irland auf. Beth stellt fest, dass die Medikamente ihren Hautzustand nicht mehr so gut unter Kontrolle hielten wie zuvor. Sie hat zudem vergessen, ihre spezielle Duschcreme mitzunehmen, die die Trockenheit verringern soll - und ihre Hautsituation beginnt ohne diese Creme schnell zu eskalieren.
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Schmerzen, Abschälen und Nässen der Haut
„Meine Haut war unglaublich empfindlich, meine Kleidung fühlte sich wund an und strahlte eine Hitze aus wie bei einem Sonnenbrand, auch wenn ich nur bequem saß oder lag“, erzählt Beth gegenüber Jam Press. „Patienten mit topischer Steroidsucht reagieren auf das Absetzen topischer Kortikosteroide mit Rötungen, brennenden Schmerzen, Abschälen und Nässen der Haut, meist ausgehend vom initialen Ekzem“, bestätigt das Ärzte-Magazin ‘PraxisDepesche’.
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„Ich dachte, es läge daran, dass ich nicht die üblichen Produkte hatte, auf die ich mich damals verließ, aber in den nächsten Monaten bemerkte ich sporadische Schübe mit schwereren Symptomen, die ich vorher noch nie erlebt hatte.“ Da sie zu dieser Zeit unter großem Stress steht, glaubt Beth, dass ihre psychische Verfassung zu ihrem Hautproblem beitragen könnte, und unterzieht sich auf Anraten ihres Hausarztes einer Therapie – leider erfolglos.
Auch eine Ernährungsumstellung bringt nichts
Leider werden ihre Schübe immer schlimmer, je weiter es ins Jahr 2020 geht. „Eine Handvoll Hausärzte, mit denen ich sprach, rieten mir zu verschiedenen Arten von Weichmachern, Antihistaminika und stärker wirksamen Steroidcremes“, erzählt sie. „Von März bis Juli probierte ich alle ihre Vorschläge aus und änderte meine Ernährung, indem ich verarbeitete Lebensmittel reduzierte und wegließ.“ Sie bittet außerdem um eine Überweisung zum Dermatologen – aber die Warteliste ist durch die Corona-Pandemie sehr lang. „Die Erkenntnis, dass ich vielleicht niemanden habe, an den ich mich wenden kann, war geradezu erschreckend.“
Ihre Haut fühlt sich an wie "gummiartige Spielknete"
Anfang Juli 2020 beschließt Beth, die Steroide vollständig abzusetzen, weil sie glaubt, dass sie alles nur noch schlimmer machen. Innerhalb weniger Tage war sie mit rotem Ausschlag auf einer dann papierdünnen Haut bedeckt und hat starken Juckreiz. Einen Monat später breitet sich der Ausschlag auf ihrem Körper aus und verursachte intensives Jucken, Brennen und Stechen sowie Hautnässen. Noch schlimmer ist, dass sich die Haut seltsam anfühlt und riecht. Beth beschreibt sie im September 2020 als "gummiartige Spielknete" mit einem Geruch von "nassem Hund". Sich selbst nennt sie nur noch "Alien". Sie sucht online in Selbsthilfe-Gruppen Hilfe und stellt schnell fest, dass sie die Symptome eines Cortison-Entzuges durchmacht.
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Dermatologe und sogar Notaufnahme - niemand kann ihr helfen
Im Oktober 2020 kann sie endlich einen Dermatologen aufsuchen. Aber auch hier gibt es keine befriedigenden Antworten. Sie weiß nicht, ob oder wann sich ihr Zustand bessern wird. Sie geht sogar in die Notaufnahme eines örtlichen Krankenhauses - auch hier wird ihr in ihren Augen nicht wirklich geholfen. Doch sie beschließt weiter zu machen. Unterstützung findet sie in der Online-Gemeinschaft und bei ihrem Partner Blake, mit dem sie noch nicht einmal ein Jahr zusammen war, als ihre Symptome erstmals auftraten.
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Im Dezember 2020 wird sie schwanger - und obwohl sie sich Sorgen macht, wie ihre Haut auf die Hormonschwankungen reagieren wird und das Gefühl hat, die Aufregung werde ihr nicht guttun, vetraut sie weiterhin auf ihr Bauchgefühl und nimmt keine Steroidmedikamente. Sie erzählt: "Ich werde nie ganz begreifen, wie ich es geschafft habe, so weit zu kommen, vor allem während der Schwangerschaft, und wie stark und belastbar ich bin."

Elf Monate ohne Cortison: "Ich fühle mich jetzt besser!"
Doch der Kampf gegen die Cortison-Sucht zahlt sich aus. "Ich habe zwar immer noch täglich mit den Symptomen zu kämpfen, aber sie sind besser zu bewältigen und ich fange an, mich wieder selbst zu spüren. Ich fühle mich jetzt wie ein völlig anderer Mensch, zum Besseren." Sie fügt trotzig hinzu: "Ich habe es jetzt 11 Monate lang ohne Steroide ausgehalten, ohne dass mein Hautproblem wirklich medizinisch anerkannt wurde, während ich gleichzeitig sechs Monate lang ein Baby in mir getragen habe." Jetzt konzentrieren sich Beth und Blake voll und ganz darauf, ihr Baby kennenzulernen - und sind zuversichtlich, dass sie Cortisonsucht endgültig überwinden wird. (ija)