Mafia Boss aus Gefängnis entlassen Giovanni Brusca auf freiem Fuß - Die „Deals“ Italiens mit Mördern

FILE PHOTO: Anti-Mafia police wearing masks to hide their identity, escort top Mafia fugitive Giovani Brusca May 21 as he leaves Palermo's police headquarters to be taken to a maximum security prison. Brusca, accused of mastermining the highway bombing that killed anti-mob judge Giovanni Falcone along with his wife and three bodyguards on May 23, 1992, and is also beleived to have succeeded Salvatore "Toto" Rina as the Mafia's boss of bosses, was arrested with his brother Vincenzo/File Photo
Boss der Cosa-Nostra-Familie Giovanni Brusca ist wieder frei.
/FW1F/Raissa Kasolowsky, Tony Gentile, Tony Gentile

Von RTL-Italienkorrespondent Udo Gümpel
Giovanni Brusca, Boss der Cosa-Nostra-Familie von San Giuseppe Jato und selbst Sohn eines Bosses, hat in seinem Leben so viele Menschen getötet, dass er sich nicht einmal daran erinnert, wie viele es waren. Es sollen so an die 150 gewesen sein, aber genau weiß er das nicht mehr, sagte er einmal in einem Verhör.

Der eiskalte Killer Giovanni Brusca

Sein bekanntestes Opfer war der Staatsanwalt Giovanni Falcone, den er, zusammen mit dessen Frau, Francesca Morvillo und drei Polizisten der Eskorte, am 23. Mai 1992 mit einer gigantischen Bombe unter der Autobahn vom Flughafen nach Palermo bei der Ortschaft Capaci in die Luft sprengte. Als die gepanzerten Autos der Richter vorbeifuhren, drückte Giovanni Brusca persönlich auf die Fernzündung.

Zum Cosa-Nostra-Killerkommando von Capaci gehörte damals auch Santino Di Matteo. Als dieser ein Jahr nach dem Anschlag verhaftet wurde, wurde er zum Kronzeugen gegen die Cosa Nostra und enthüllte den Ermittlern, wer alles zum Killerkommando von Capaci gehörte hatte.

Um auf den Mafia-Freund Santino Druck auszuüben, er sollte die Aussagen gegen Brusca und die anderen Bosse zurückziehen, entführte Giovanni Brusca dessen damals 13-jährigen Sohn Giuseppe, genannt Pino.

Doch Vater Santino Di Matteo zog die Aussagen nicht zurück und so ließ Giovanni Brusca dessen Sohn Pino nach zwei Jahren in Gefangenschaft 1995 erwürgen und in Säure auflösen: Das war eine damals bei der Cosa Nostra „übliche“ Methode, um sich der Opfer spurlos zu entledigen.

Im Video: Giovanni Brusca nach 25 Jahren aus Haft entlassen

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Kronzeugen der Mafia: Es geht nicht um Reue

Im Prozess von Caltanissetta 1997 wurden 24 der obersten Bosse der Cosa Nostra und das Killerkommando von Capaci zu lebenslanger Haft verurteilt, darunter auch der Vater von Giovanni Brusca, Bernardo. Die abtrünnigen Mafiosi, die sich der Justiz als Kronzeugen zur Verfügung gestellt hatten, bekamen geringere Strafen: Santino Di Matteo 15 Jahre Haft, Giovanni Brusca in letzter Instanz 25 Jahre Haft.

In Italien nennt man diese abtrünnigen Mafiosi, die Kronzeugen, gerne auch „pentiti“, das heißt so viel wie „Reuige“. Doch beim Strafnachlass für Kronzeugen geht es überhaupt nicht um Reue. Es ist ein kalter Deal auf gegenseitigen Vorteil zwischen dem Rechtsstaat und einem Verbrecher.

Der funktioniert so: Du, Mafioso, packst vollständig aus. Zuerst einmal bekennst du alle Verbrechen, die du selber begangen hast. Aber bitte nur solche, die die Polizei noch nicht kannte. Du zeigst die Orte, wo die Leichen vergraben sind, wenn es solche noch gibt, wo Waffen versteckt sind, wo das Geld ist. Wenn das alles stimmt, und es neue, der Polizei nicht schon bekannte Informationen sind, dann hat der „Abtrünnige“ den ersten Schritt ins Schutzprogramm der Kronzeugen gemacht.

"Die Freilassung Bruscas ist keine Niederlage der Justiz, sondern ihr Sieg“

Im zweiten Schritt muss er seine Spießgesellen, die anderen Mafiosi verraten – allesamt, ohne jede Rücksicht auf eigene Familienangehörigen. Er muss alles verraten, was er weiß. Je mehr, desto besser.

Giovanni Brusca hat das alles getan. Seine Aussagen haben, nach Einschätzung des nationalen Antimafia-Staatsanwaltes Cafiero de Raho, „der Justiz einen enormen Dienst geleistet: Die Freilassung Bruscas ist keine Niederlage der Justiz, sondern ihr Sieg“. Bruscas Aussagen haben 160 Killer und Bosse der Cosa Nostra hinter Gittern gebracht.

Natürlich sehen das nicht alle Angehörige der Opfer von Giovanni Brusca so. Viele Menschen können es nicht verstehen, dass ein Massenmörder das Gefängnis überhaupt noch einmal verlassen darf, und dort nicht „vermodert“, wie manche es gerade in den Social Media fordern.

Proteste gegen Freilassung - Auch von Mafiosi

Zu den Menschen, die am lautesten gegen die Freilassung Bruscas protestierten, gehört nun ausgerechnet Santino Di Matteo, selbst ein Mitglied des Killerkommandos von Capaci. Santino ist Vater des von Giovanni Brusca bestialisch ermordeten Pino Di Matteo. Es darf daran erinnert werden, dass es 2002, bei der Haftentlassung des Vaters von Pino Di Matteo dieselben Proteste gab, als dieser Killer von Capaci nach nur neun Jahren Haft frei kam. Aber Santino Di Matteo hatte sich seine eigene Haftentlassung durch seine Aussagen gegen die Mit-Mafiosi eben „verdient“.

Auch wenn Brusca abscheuliche Verbrechen begangen hat, und seine Freilassung „ein Schlag in die Magengrube ist, menschlich nicht akzeptabel, sollten wir dennoch nicht vergessen, dass es mein Bruder Giovanni, sein späteres Opfer, war, der sich zeitlebens für diese Kronzeugenregelung in Italien eingesetzt hat,“ erklärte die Schwester des von Giovanni Brusca ermordeten Staatsanwaltes, Anna Falcone.

Sie vergesse nicht, so Anna Falcone, dass es die Kronzeugen aus dem innersten Kreis der Cosa Nostra waren, die der Polizei oft entscheidende Hinweise gaben: Nur so konnten mehrere tausend Mafiosi verhaftet und rechtskräftig verurteilt werden.

Die „Deals“ helfen die Krake der Mafia zu besiegen

Wenn die Cosa Nostra heute viel schwächer ist als noch vor 25 Jahren, dann hat das auch etwas mit den abtrünnigen, „reuigen“ Mafiosi zu tun, von denen es bei der kalabrischen Mafia, der ´Ndrangheta, bisher nur sehr wenige gibt, was gerade die Stärke dieser Mafia ausmacht. Die „Deals“ des Staates mit Mördern sind menschlich ekelhaft, aber helfen eben die Krake der Mafia zu besiegen.

Man vergesse dabei auch nicht, dass Giovanni Brusca auch nach seiner Freilassung für immer ein Gefangener seiner Angst sein wird. Er muss unter dauerhaftem Polizeischutz, vollkommen verdeckt leben, denn eines ist klar: Die Cosa Nostra will ihre Rechnung mit ihm begleichen.

Das sizilianische Sprichwort heißt nicht umsonst: Die Rache ist ein Gericht, das kalt serviert werden muss.