Mutmaßlicher Peiniger (33) soll Lehrer und Familienvater sein

Mann soll Kind (13) im Netz missbraucht haben – Polizistin warnte den Täter

Mutmaßlicher Täter (33) aus Hildesheim soll Lehrer und Familienvater sein

Über Wochen soll ein Lehrer (33) die damals 13 Jahre alte Claudia* zu Nacktfotos und Videos gezwungen, sie mit den Aufnahmen erpresst haben. Seine Forderungen sollen immer drastischer geraten sein. Erst, als ein Treffen bevorgestanden habe, bei dem es zum Oralsex kommen sollte, sei das Kind zusammengebrochen und habe sich seiner Mutter anvertraut. Die ging mit ihrer Tochter zur Polizei, doch die Beamtin dort machte einen unfassbaren Fehler: Sie rief den Täter an – damit war der Mann gewarnt. Die ganze Geschichte im Video.

*Name von der Redaktion geändert

Mann soll Mädchen mit Aufnahmen erpresst haben

Sexueller Missbrauch von Kindern, versuchte Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung, Nötigung, Besitz von kinderpornografischen Schriften: Die Vorwürfe gegen den 33-Jährigen, der sich in Hildesheim vor Gericht verantworten muss, wiegen schwer. Bei dem mutmaßlichen Täter soll es sich um einen heute 33 Jahre alten Lehrer und Familienvater aus dem Raum Hildesheim handeln. Laut der Anwältin der Nebenklage, Christine Habetha, könnte es weitere Fälle geben, die auf das Konto des Mannes gehen. Ob jedoch bereits weitere Kinder identifiziert und gesonderte Ermittlungen aufgenommen wurden, wisse sie nicht. Klar ist aber, dass bisher eines dieser Mädchen Anzeige erstattet hat.

Der Mann soll im Juni 2018 über Facebook Kontakt zu der damals 13-jährigen Claudia aufgenommen und sich dabei als 17-Jähriger ausgegeben haben. Er soll sich das Vertrauen des Kindes erschlichen haben. Dann soll er Audioaufnahmen, Nacktbilder, Videos verlangt haben. Hier habe der Anklage zufolge der Teufelskreis begonnen.

Die Forderungen sollen immer drastischer geworden sein. Zudem soll er die Schülerin erpresst haben. Er habe gedroht, alles zu veröffentlichen, wenn sie ihm nicht weitere Fotos und Videos schicke. Schule, Freunde, Familie, alle würden die Fotos und Videos sehen, so die Drohung. „Er wurde dann zunehmend fordernder. Sie solle sich Gegenstände in Körperöffnungen einführen, das fotografieren.“ Der Täter habe sogar konkrete „Regieanweisungen“ gegeben, wie es die Anwältin ausdrückt. Claudia habe ihm „ihre eigene Verzweiflung mitgeteilt“, ihn gebeten, „dass er damit aufhört“, so Habetha.

Kind am Laptop
Ein junges Mädchen sitzt an einem Laptop. (Foto: Nicolas Armer, Motivbild)
deutsche presse agentur

Mann wollte sich mit Claudia am Hauptbahnhof in Hildesheim treffen

Schließlich habe der Mann Claudia sehen wollen, das erzwungene Treffen sollte am 28. Juli 2018 um 13 Uhr am Hauptbahnhof Hildesheim stattfinden – doch dazu kam es zum Glück nicht mehr. „Das war eben die Stunde, in der das Kind allen Mut zusammennahm und sich an die Mutter wandte.“ Sie habe keinen anderen Ausweg mehr gesehen und furchtbare Angst gehabt. „Wir haben es hier mit einem Kind zu tun, mit einem sexuell unerfahrenen Mädchen, die sich hier in eine Situation gedrängt sah, der sie überhaupt nicht mehr standhalten konnte, mit der sie überhaupt nicht mehr klarkam“, so die Verteidigerin.

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Polizistin warnte den mutmaßlichen Täter

Die Mutter tat nach der Offenbarung ihrer Tochter das einzig Richtige: Am 27. Juli 2018 fuhr Nicole B. mit ihrem Kind sofort zur Polizeidienststelle in Bad Doberan, um Anzeige zu erstatten. Doch die Beamtin machte einen fatalen Fehler: Sie rief bei dem mutmaßlichen Täter an. Zwei Mal. Sagte ihm, er solle das Mädchen nicht mehr belästigen und die Fotos und Videos löschen.

„Und da habe ich gedacht: Das hat die jetzt nicht gemacht“, sagt Nicole B. im RTL-Interview. „Das hat die jetzt nicht getan. Die hat dem jetzt nicht gesagt, der soll die Beweise vernichten.“ Anschließend habe die Polizistin noch erklärt: „Wir sollen das ruhig löschen, er würde da nichts machen, das hätte er ihr versichert, hätte er ihr versprochen. Es dauert eine Weile, aber dann geht’s uns besser.“

Hatte der Täter sogar Gelegenheit, Beweise zu vernichten?

Auch die Anwältin der Familie macht dieses Vorgehen fassungslos. Die Polizistin sei überhaupt nicht zuständig gewesen, habe ihre Kompetenzen überschritten. „Sexualstraftaten werden durch Fachkommissariate bearbeitet und es wäre ein Leichtes gewesen auch für diese Polizeibeamtin, sich sofort an ein Fachkommissariat zu wenden, um einen entsprechend geschulten Vernehmungsbeamten hinzuzuziehen.“

Die Kontaktaufnahme zum mutmaßlichen Täter sei gravierend und falsch gewesen, so Habetha. „Ihre Intention war eine Gefährderansprache, er möge das unterlassen, er solle ja nichts ins Netz stellen. Besser, intensiver kann man einen mutmaßlichen Täter gar nicht warnen und natürlich stellt sich da die Frage, ob da nicht schon Medienträger vernichtet worden sind, anderweitig untergebracht worden sind.“

Mann aus Hildesheim soll Mädchen im Netz missbraucht haben
Hatte der Täter aus Hildesheim sogar Gelegenheit, Beweise zu vernichten? (Foto: Motivbild)
sis kno lvo exa, dpa, Silas Stein

Polizistin auf Fehlverhalten hingewiesen - kein Disziplinarverfahren

Auf RTL-Anfrage äußerte sich die Pressestelle des Polizeipräsidiums Rostock schriftlich: „Die Beamtin hat den Opferschutz an erster Stelle gesehen. Dennoch ist seitens des Polizeipräsidiums Rostock anzumerken, dass sie nicht korrekt gehandelt hat und durch das Telefonat gegebenenfalls die Beweissicherung in Gefahr gebracht hat.“ Die Beamtin sei „in Form einer fachlichen Unterweisung auf ihr Fehlverhalten hingewiesen und sensibilisiert“ worden, heißt es darin weiter. „Dennoch ist an dem Verhalten nichts Strafrechtliches zu erkennen. Disziplinarmaßnahmen wurden dementsprechend nicht eingeleitet.“

Die Polizistin hatte das Fachkommissariat in Rostock erst nach den möglicherweise folgenschweren Anrufen informiert. Ermittlungen wurden aufgenommen, der mutmaßlichen Täter ausfindig gemacht, sein Haus am 13. Dezember 2018 durchsucht. Knapp fünf Monate nach der Anzeige! Dabei sei - trotz aller mutmaßlichen Löschungen - Kinderporno-Material auf Datenträgern gefunden worden. Fotos, die Mutter Nicole B. und Claudia sichten mussten. „Ich habe gedacht, es nimmt gar kein Ende.“ 80 bis 120 Bilder seien es gewesen, auf rund zwölf habe sie ihr Kind identifiziert.

Tante: Claudia hat sich seit dem Vorfall sehr verändert

Und der Beschuldigte? Ein Geständnis soll er dem Wissen der Anwältin nach bisher nicht abgelegt haben. Alle Fragen müssen nun vor Gericht geklärt werden. Seit dem 21. April läuft unter Ausschluss der Öffentlichkeit das Verfahren gegen den Mann. Bis zu einem Urteil in der Sache gilt die Unschuldsvermutung.

Doch egal, welches Urteil am Ende fällt: Die seelischen Narben bei Claudia werden dadurch nicht ausgelöscht. „Von dem offenen Mädchen, das sie einmal war, ist sie ein sehr zurückgezogenes Mädchen, junge Frau geworden, die ein massives Vertrauensproblem hat, alles hinterfragt und sehr ängstlich geworden ist“, sagt ihre Tante, Yvonne B. vor Gericht.

Mann am Computer
Täter suchen online nach jungen Opfern. (Fot: Motivbild)
kjh htf vfd dnl cul jol kde sab , dpa, Karl-Josef Hildenbrand

Cyber-Kriminologe gibt Eltern Tipps: So schützen Sie Ihre Kinder

Claudias Mutter machte sich lange schwere Vorwürfe. „Meine Gedanken waren auch: Mist, wo hast du jetzt Fehler gemacht? Wo lag jetzt dein Fehler? Was hast du falsch gemacht, dass ihr das passieren konnte? Da habe ich lange mit zu kämpfen gehabt und mit mir gehadert und viele Nächte darüber nachgedacht“, erzählt Nicole B. Sie habe ihre Tochter immer wieder auf die Gefahren des Internets hingewiesen, ihr eingebläut, keine Fotos von sich zu schicken, nicht mit Fremden zu schreiben. „Die Gefahr ist mir bewusst gewesen, deshalb war das auch ein Thema bei uns.“ Doch besonders eine Frage habe an ihr genagt: „Warum hat sie kein Vertrauen zu mir gehabt? Warum hat sie mir das nicht schon früher erzählt?“

Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger ist Cyber-Kriminologe und kennt Fälle wie den von Claudia. Seine Dissertation hat er zum Thema Cyber-Grooming geschrieben. Cyber-Grooming, das bedeutet, dass sich fremde Erwachsene im Netz Minderjährigen nähern - oft mit Missbrauchsabsichten, oft unter falscher Identität. Eltern gibt er vier Tipps an die Hand:

  • Du musst Experte werden! "Wenn der Sohn kommt und "Fortnite" spielen will, müssen Sie sich selber zwei Wochen hinsetzen und das Spiel ausprobieren", erklärt Rüdiger. Das Gleiche gelte auch für alle Apps, die sich das Kind runterladen will. Denn nur dann könne man wirklich mitreden, Gefahren einschätzen und auf einem ganz anderen Niveau miteinander reden. Irgendwann hat man dann ein gewisses Grundverständnis für die Regeln dieser Programme erworben.
  • Du musst Erklärbär sein! Hier geht es darum, dem Kind mögliche Gefahren aufzuzeigen, es zu sensibilisieren und ihm klarzumachen, dass sich hinter jedem vermeintlichen Kinderprofil auch ein Täter verstecken kann, der Böses im Schilde führt. Es helfe auch, wenn Eltern eigene Erfahrungen digitalen Risiken einfließen ließen. Wichtig sei, dass sie als kompetente Ratgeber zur Verfügung stehen, an die sich die Kinder mit ihren Fragen wenden können.
  • Du musst Vertrauensperson sein! "Eltern sollten am Anfang klar kommunizieren: Wenn etwas passiert, dann komm zu uns und wir helfen dir und gehen zur Polizei." Und keine Sorge: Wir werden dir dein Handy nicht abnehmen. Denn das, so Rüdiger, sei die größte Sorge vieler Kinder und Jugendlicher.
  • Vorbild sein! Wenn Mama fröhlich Fotos ihrer Kinder bei Instagram, Facebook und Co. oder auch als Profilbild bei Whatsapp postet, vermittelt sie, dass es normal und in Ordnung ist, Fotos im Netz rauszugeben.

Weitere ausführliche Tipps, wie Sie ihr Kind im Netz schützen können, finden Sie hier.