Rollstuhlfahrerin (51) versteht die Welt nicht mehr

"Schwachsinn!" Hartz-IV-Empfängerin schildert, worin das wahre Bürgergeld-Problem besteht

Frau mittleren Alters beim Waldspaziergang im Rollstuhl, deu_tschla | woman in a wheelchair on a forest path, deu_tschla
Eine Rollstuhlfahrerin (51) hat seit zwei Jahrzehnten Probleme einen Job zu finden. Firmen zahlen ihrer Erfahrung nach lieber die Ausgleichsabgabe. (Symbolfoto)
Erich Teister, picture alliance

„Totaler Schwachsinn“, sagt Hartz-IV-Empfängerin Sabine B. zur aktuellen Kritik am Bürgergeld. Wenn sie hört, dass Politiker wie CSU-Chef Markus Söder fürchten, dass sich Arbeit mit dem Bürgergeld nicht mehr lohnt, versteht sie die Welt nicht mehr. Die Rollstuhlfahrerin fragt sich, was 53 Euro mehr im Monat an ihrem Leben schon verbessern können. Doch auch sie findet, dass das Bürgergeld nicht die wahren Probleme von Langzeitarbeitslosen anpackt, dabei wäre genau das zum Beispiel in ihrem Fall dringend notwendig, erklärt sie im Gespräch mit RTL.
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Rollstuhlfahrerin (51) sucht festen Job – Behinderung steht ihr im Weg

Ihren vollen Namen will die 51-Jährige öffentlich lieber nicht lesen, denn sie hat ihren großen Wunsch nach einem festen Job noch immer nicht aufgegeben. Doch solange es mit dem Sprung aus der Arbeitslosigkeit nicht funktioniert, ist für Sabine B. der 1. FC Köln das Größte. Wenn er gewonnen hat, geht es ihr gut. Wenn die Geißböcke verloren haben, fühlt sie sich schlecht und selbst ihre geliebte Katze kann sie nicht aufheitern.

Doch um zu den Heimspielen des 1. FC Köln ins Stadion zu kommen, braucht sie im Rollstuhl oft fast zwei Stunden länger als andere Fans. Das nimmt die Kölnerin aber bei Wind und Wetter in Kauf. Sie hat einen langen Atem.

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Rollstuhlfahrerin seit 21 Jahren arbeitssuchend: „Ich würde lieber arbeiten“

Sabine B. hat sich mittlerweile damit arrangiert, dass Großstädte wie Köln noch lange nicht barrierefrei sind und ihr dadurch das Leben schwer machen. Seit ihrer Geburt sitzt sie im Rollstuhl, denn sie leidet an infantiler Cerebralparese – einer Erkrankung des menschlichen Nerven- und Muskelsystems, in ihrem Fall wegen Sauerstoffmangel bei der Geburt. Sabine B. hat sich mit der Krankheit abgefunden, mit ihren Folgen aber nicht.

„Mit einer Behinderung hat man auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Chancen. Das merke ich seit 21 Jahren. Ich lebe vom Staat und bin nicht stolz darauf“, beschreibt B. Wenn sich andere im Fußballstadion beschweren, dass sie montags wieder zur Arbeit müssen, kann sie das nicht nachvollziehen. „Ich würde lieber zur Arbeit gehen“, antwortet sie darauf entschieden.

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Hartz-IV-Empfängerin (51) über Bürgergeld: „Ich bekomme dann 53 Euro mehr“

Umso mehr stört es sie, wenn Hartz-IV-Empfänger wie sie grundsätzlich als faule Schmarotzer dargestellt werden. Dieser Eindruck entsteht ihrer Ansicht nach aktuell auch in der Diskussion rund um das neue Bürgergeld, das 2023 kommen soll. Stimmen aus der CSU und der Union warnen, Arbeit würde sich dann „nicht mehr lohnen.“

„Wenn das Bürgergeld nächstes Jahr kommt, wird sich für mich nicht viel ändern. Der Name ist anders und ich bekomme 53 Euro mehr, das war’s“, sagt Sabine B. resigniert. Tatsächlich erhalten alleinstehende Hartz-IV-Empfänger aktuell bisher 449 Euro im Monat vom Staat. Hinzu kommt noch die Übernahme der Miet- und Heizkosten. Mit dem Bürgergeld sollen es 502 Euro werden.

„Im Moment rinnt einem das Geld durch die Hände. Die Inflation und die Folgen des Krieges machen es uns allen schwer. Ich werde auch mit dem Bürgergeld wohl weiterkämpfen müssen und sparsam mit Strom und Energie umgehen“, so B., die seit mittlerweile zwei Jahrzehnten keinen festen Job hat und somit als langzeitarbeitslos gilt.

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Rollstuhlfahrerin (51): "Politiker sollten sich lieber mit dem Thema Inklusion beschäftigen"

Im Jahresdurchschnitt 2021 waren laut der Bundesagentur für Arbeit etwa eine Million Menschen langzeitarbeitslos. Dafür gibt es unterschiedliche Ursachen. Im Fall von Sabine B. steht ihre Behinderung im Vordergrund, da ist sie sich sicher. „Politiker sollten sich statt mit mehr Geld lieber mit dem Thema Inklusion in der Arbeitswelt beschäftigen. Denn wer zum Beispiel im Rollstuhl sitzt, hat auf dem ersten Arbeitsmarkt so gut wie keine Chance, egal wie fleißig man ist. Das Jobcenter steht der Situation hilflos gegenüber“, sagt Sabine B. Tatsächlich gibt es für Unternehmen in Deutschland eine Beschäftigungspflicht von Schwerbehinderten und anderweitig körperlich beeinträchtigen Menschen.

Für jeden nicht besetzten Pflichtarbeitsplatz müssen die Arbeitgeber monatlich eine Ausgleichsabgabe von 140 bis 360 Euro zahlen. Der Erfahrung von Sabine B. nach, zahlen die meisten Firmen diesen Betrag lieber aus der Porto-Kasse, anstatt zum Beispiel Rollstuhlfahrern eine Chance zu geben.

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Hartz-IV-Empfängerin: „Bürgergeld wird Probleme von Langzeitarbeitslosen nicht lösen“

Politiker sollten ihrer Ansicht nach besser an diesem Zustand etwas grundlegend verändern, als die Grundsicherung umzubenennen und den Geldbetrag geringfügig zu erhöhen, um dann Arbeitslose gegen Geringverdiener auszuspielen.

„Das geht gar nicht“, schildert B. und fordert: „Die Gründe für Langzeitarbeitslosigkeit liegen an ganz anderen Stellen, so wie bei mir. Deswegen wird das Bürgergeld die Probleme von Langzeitarbeitslosen nicht lösen. Ich will aber, dass sich ihre Situation langfristig verbessert.“