Für umstrittene Human-Challenge-Studie

Jacob ließ sich von Forschern mit Corona infizieren: "Ich würde es jederzeit wieder machen"

von Larissa Schwedes

Während Millionen versuchten, sich vor dem Coronavirus zu schützen, haben Wissenschaftler des Imperial College in London Freiwillige gezielt damit infiziert. Nun, knapp ein Jahr später, liegen die ersten Auswertungen des umstrittenen Forschungsprojekts vor. Das zentrale Ergebnis der sogenannten „Human-Challenge-Studie“: Die Inkubationsphase des Virus soll deutlich kürzer sein als zuvor angenommen – im Schnitt traten schon 42 Stunden, also knapp zwei Tage nach der Ansteckung, bei den Teilnehmern Symptome auf.
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18 der 36 Studienteilnehmer infizierten sich mit dem Coronavirus

Die Forscher träufelten 36 gesunden, jungen Erwachsenen, die keine Corona-Risikogruppe darstellten, das Coronavirus in einer Flüssigkeit in die Nase. Dabei handelte es sich um eine niedrige Dosis in einer kontrollierten Umgebung. 18 der Studienteilnehmer infizierten sich anschließend – und zwar schneller als erwartet. Die ersten Viren wurden in Form eines Rachenabstrichs mit einem PCR-Test nach median 40 Stunden nachgewiesen, im Nasenabstrich nach median 58 Stunden. Die höchste Virenlast erreichte im Rachen nach 112 Stunden und in der Nase nach 148 Stunden ihren Höhepunkt.

Studie wurde mit dem Wildtyp des Coronavirus durchgeführt

Anzumerken ist hier jedoch, dass die Studie mit dem Wildtyp des Coronavirus durchgeführt wurde, also sogar noch vor Auftreten der Alpha-Variante. Deshalb kann nicht explizit gesagt werden, ob dies auch für die aktuell vorherrschende Omikron-Variante und die aktuell nachlassende Delta-Variante gilt.

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Großteil der ausgeschiedenen Viruslast aus der Nase

Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung, die in dieser Woche als noch nicht von Experten begutachtete Preprint-Studie veröffentlicht wurde, ist, dass der Großteil der ausgeschiedenen Viruslast aus den Nasen der Probanden statt aus dem Rachen kam, wo diese schwächer ausfiel und schneller wieder abnahm. Die britischen Forscher leiten daraus ab, wie wichtig es ist, Masken auch über der Nase zu tragen.

Wissenschaftler bereiten weitere Studie mit Delta-Variante vor

Ursprünglich hatten die Wissenschaftler gehofft, mit ihrer Forschung die Entwicklung von Impfstoffen beschleunigen zu können. Doch diese kamen auch mit klassischen klinischen Tests in Rekordgeschwindigkeit zum Einsatz. Trotzdem sehen die Forscher noch für diese Pandemie großes Potenzial für ihren Ansatz, gerade bei der Testung speziell an Varianten angepasster Impfstoffe: In der aktuellen Lage, mit einer hohen Immunisierung in der Bevölkerung und vielen zufälligen Infektionen, sei es für Impfstoff-Entwickler gar nicht mehr einfach, passende Probanden-Gruppen zu finden, um die Wirksamkeit ihres Mittels nachzuweisen. „Da können Human-Challenge-Studien helfen“, sagt Studienautor Chris Chiu im Briefing.

Derzeit bereitet das Team eine weitere Runde vor, bei denen Freiwillige mit der Delta-Variante infiziert werden sollen. Ziel ist es, dabei auch Durchbruchsinfektionen herbeizuführen bei Menschen, die bereits Antikörper in sich tragen. Jacob Hopkins könnte sich vorstellen, sich wieder infizieren zu lassen. Zwar sei er nach der dreiwöchigen Quarantäne erschöpft gewesen und habe erst einmal einen ganzen Tag geschlafen. Aber: „Es war eine großartige Erfahrung. Ich würde es jederzeit wieder machen.“

Human-Challenge-Studien unter Medizinethikern extrem umstritten

Human-Challenge-Studien kamen in der Vergangenheit zum Beispiel bei der Entwicklung von Grippe- und Malaria-Impfstoffen zum Einsatz. Allerdings wurde den Probanden dabei zunächst ein potenzieller Wirkstoff verabreicht. Unter Medizinethikern sind die Studien extrem umstritten. Viele argumentieren, dass Menschen unnötig in Gefahr gebracht würden, obwohl es Alternativen gebe. Auch bei jungen Menschen gebe es schwere Verläufe, heißt es in einer Stellungnahme des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller. Peter Openshaw, einer der beteiligten Forscher in London, verteidigt das Vorgehen. Er kenne die ethischen Bedenken, sagt er am Mittwoch in einer Schalte mit Journalisten. „Aber ist es denn ethisch, diese Studien nicht durchzuführen, wenn sie Vorteile bringen?“ Es sei dankbar, dass Human-Challenge-Studien in manchen Fällen etwa Tierversuche ablösen könnten. (dpa/jos)