Wolfgang Bosbach (CDU): "Die allermeisten wollen nicht im System bleiben"

Hartz-IV-Sanktionen bei "stern TV am Sonntag"

Bei "stern TV am Sonntag" diskutierten die Teilnehmer darüber, ob Sanktionen gegen Hartz-IV gerechtfertigt sind oder nicht.
Bei "stern TV am Sonntag" diskutierten die Teilnehmer darüber, ob Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger gerechtfertigt sind oder nicht.
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von Marko Schlichting

Ab Mittwoch, 1. Juni, werden die meisten Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger abgeschafft. Aber ist das wirklich richtig? Darüber diskutierten am Sonntagabend die Gäste bei "stern TV am Sonntag" bei RTL.

Gerade einmal fünf Euro für Lebensmittel pro Tag

Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen. Außer, er ist Hartz-IV-Empfänger. Denn Menschen mit Grundsicherung können mit Sanktionen belangt werden. Das heißt, ihnen können Leistungen gestrichen werden, wenn sie sich weigern, Weiterbildungen anzunehmen oder wenn sie Termine beim Jobcenter versäumen.

Sandra Schlensog kritisiert das – die „Hartz-IV-Rebellin“, wie sie von verschiedenen Medien genannt wird, lebt mit ihrem 13-jährigen Sohn von der Grundsicherung. Sie ist 44 Jahre alt. Mit 16 hat sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau absolviert. Heute stockt sie ihre Hartz-IV-Hilfe mit einem Minijob auf. Trotzdem bleiben der kleinen Familie nach Abzug aller Fixkosten gerade mal 340 Euro im Monat zum Leben. Das sind fünf Euro täglich für Lebensmittel, sagt sie.

"Es geht um fördern und fordern"

Auch sie hat Sanktionen erlebt. Da habe sie einen einzigen Termin beim Jobcenter nicht wahrnehmen können, wegen einer Knieverletzung ihres Sohnes. Schlensog ist gemeinsam mit dem ehemaligen CDU-Politiker Wolfgang Bosbach Gast bei „stern TV“. Der wundert sich über die verhängten Sanktionen, denn schließlich sei Sandra Schlensog schuldlos ihrem Termin ferngeblieben.

Bosbach findet es richtig, Hartz-IV-Empfängern Leistungen zu kürzen, wenn sie sich schuldhaft verhalten haben. „Die Betroffenen müssen sich darum bemühen, ihren Lebensunterhalt auf dem Arbeitsmarkt wieder zu verdienen. Wenn es schuldhaft an diesen Bemühungen fehlt, müssen sich daran auch Konsequenzen abzeichnen“, sagt der ehemalige Politiker. Allerdings werde nur eine ganz kleine Zahl von Hartz-IV-Empfängern überhaupt mit Sanktionen belegt. Laut Bosbach sind das ein Prozent, laut Schlensog bis zu drei.

Sandra Schlensog (44) lebt mit ihrem 13-jährigen Sohn von der Grundsicherung.
Sandra Schlensog (44) lebt mit ihrem 13-jährigen Sohn von der Grundsicherung.
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Zahl der Sanktionierten sinkt während Corona

Recht haben gewissermaßen beide: Wie die Bundesagentur für Arbeit angibt, wurden vor der Pandemie (2017-2019) ungefähr drei Prozent aller Hartz-IV-Empfänger sanktioniert, in 2020 und 2021 ungefähr ein Prozent.

Doch in einigen Regionen in Deutschland kann das Verhältnis anders aussehen: So listet die Landesarbeitsagentur in Sachsen-Anhalt für 2021 rund 9.800 Sanktionen für ca. 119.000 Hartz-IV-Empfänger. Das sind rund acht Prozent. Vor der Corona-Pandemie war die Zahl jedoch deutlich höher. 2019 wurden in Sachsen-Anhalt 35.000 Mal Sanktionen ausgesprochen, also gegen 29 Prozent der Hartz-IV-Empfänger in diesem Bundesland. Das meldete die Deutsche Presseagentur am 14. Mai.

Wolfgang Bosbach (CDU) spricht sich für Hartz-IV-Sanktionen aus.
Wolfgang Bosbach (CDU) spricht sich für Hartz-IV-Sanktionen aus.
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Die Prozentangaben sind natürlich ungenau, denn gegen einzelne Hartz-IV-Empfänger können mehrfach Sanktionen verhängt worden sein. Und: Diese Zahlen kannten die Gäste bei „stern TV am Sonntag“ nicht.

Trotzdem kann man Wolfgang Bosbach nicht widersprechen, wenn er erklärt: „Die Aufgabe der Verwaltung ist Beratung und Fortbildung, aber nicht das Verteilen von Sanktionen. Aber wenn die Arbeitsverwaltung sieht, dass es an eigenen Bemühungen fehlt, dann müssen wir an die denken, die das System finanzieren. Die von morgens bis abends arbeiten gehen, die Steuern zahlen, und die möchten, dass die Menschen, die arbeitsfähig sind, auch in Arbeit gehen.“

"Das steht mir bis hier oben"

Sandra Schlensog will die Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger völlig abschaffen. „Es ist ein politischer Missbrauch, sie aufrecht zu erhalten“, sagt sie. Die Arbeitsagenturen sollten sich vielmehr um die Menschen kümmern, die arbeiten wollen und können. „Die anderen ziehen wir mit durch.“ Die Hartz-IV-Rebellin stört, dass wegen sanktionierter Grundsicherungsempfänger alle Hartz-IV-Empfänger als faul bezeichnet werden.

Nun soll sich alles ändern. Ab Mittwoch (1.6.) fallen in Deutschland fast alle Sanktionen gegen Langzeitarbeitslose weg. Sie sollen nur noch dann bestraft werden, wenn sie einen Termin beim Jobcenter nicht einhalten. In einer Abstimmung bei Stern TV am Sonntag finden 90 Prozent der Teilnehmer diese Regelung falsch, bei Langzeitarbeitslosen sind es zwei Drittel.

Eine Ehre, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen

Wolfgang Bosbach kann sich das Ergebnis so erklären: "Die allermeisten wollen nicht in diesem System bleiben. Die wollen in eine Beschäftigung gehen und nicht auf das Hartz-IV-System angewiesen sein. Das hat nicht nur etwas mit Geld, sondern auch mit der Ehre zu tun, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen."