Wenn Geburten zum Albtraum werden
„Sonst wäre Ihr Kind gestorben!“ Hebamme packt über Gewalt im Kreißsaal aus

Eine Horrorgeburt - wegen Hebammen und Ärzten?
Tatsächlich ist das die traurige Realität für Mütter, die Gewalt im Kreißsaal erlebt und deswegen ein Geburtstrauma erlitten haben. Dieses Tabuthema macht die Hebamme Eva Placzek (27) jetzt öffentlich und will mit Missständen aufräumen. Im RTL-Interview spricht sie darüber, was Frauen in Kliniken tagtäglich passiert und was nötig ist, damit die Spirale der Gewalt endet.
Hebamme und Mittäterin? Eva Placzek spricht über Gewalt im Kreißsaal
Eva soll während ihrer Ausbildung stumm in der Ecke stehen. Sie soll sich nicht zu den anderen Hebammen setzen und sich unauffällig verhalten - nur tun, was ihr gesagt wird. Das Ziel der Ausbildung: Eva soll abstumpfen! So sagt man es ihr. Doch das tut sie nicht.
„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, das hat sie als Hebammenschülerin oft gehört.
Eva Placzek erlernt damals ihren Traumberuf, den sie schon immer ausüben wollte. Doch schnell bemerkt sie auch die Schattenseiten des Hebammen-Daseins und den gewaltigen Unterschied von Theorie und Praxis. In ihrem aktuellen Buch: „Ich, Hebamme, Mittäterin“ schildert sie üble Kreißsaal-Szenen wie diese:
„(..) Plötzlich beugt sich die Ärztin nach vorne, legt sich mit ihrem Gewicht auf den Oberbauch, vorangehend die Unterarme und Ellbogen und drückt mit voller Kraft. Die Frau schreit, sie schreit um ihr Leben. Das ist kein Wehenschmerz, den sie verspürt, das ist der Schmerz purer Gewalt.“
Schnell fragt man sich als Leser, warum die damalige Hebammenschülerin diese Gewalt nicht unterbunden hat?
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„Man merkt schnell, dass etwas an unserem System falsch läuft“
Im RTL-Interview erklärt Placzek, warum sie solche Übergriffe nicht verhindern konnte.
„Der Hauptgrund, warum ich als Auszubildende nicht aufbegehrt oder mein Unbehagen ausgesprochen habe, war primär dieser äußere hierarchische Druck. Sicher, ich war jung und das hat sich auch auf mein Ansehen im Team ausgewirkt. Aber zu wissen, was Gewalt ist, dafür muss man kein bestimmtes Alter erreicht haben“, stellt Eva Placzek im Interview klar.
Es sei ihr als Berufsanfängerin insgesamt nicht möglich gewesen, die strukturellen Widerstände und die Anwendung veralteter Methoden aus dem Weg zu räumen.
Und: „Vor allem, wenn man in der Schule das Wissen bekommt und gleichzeitig die Aussage, dass man dieses Wissen so nie anwenden können wird. Dann merkt man schnell, dass etwas an unserem System falsch läuft.“
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Gemeint ist das Gesundheitssystem. „Hier haben die Veranwortlichen das alles passieren lassen“, sagt Placzek. Bei den politischen Entscheidern sieht die Hebamme heute auch die Hauptschuld für die Fehler im System, die zu Gewalt führen können. Beispiel: Eine Geburt, die zehn Stunden und mehr dauert und nicht beschleunigt wird, sei einfach für Kliniken nicht rentabel.

Hebamme berichtet von gewaltvollen Untersuchungen in Ausbildungsklinik
Eindrücklich schildert die Autorin in ihrem Buch weitere Situationen, in denen Müttern während der Geburt Gewalt angetan wird.
Beispielsweise sei in Eva Placzeks Ausbildungsklinik, die sie später verlassen hat, vor vaginalen Untersuchungen nicht um das Einverständnis der Mütter gebeten worden. In einer Szene, in der sich eine Mutter in den Wehen lauthals wehrt, sei trotzdem weitergemacht worden. Es sind Situationen wie die folgende, die sie endgültig haben zweifeln lassen:
„Die Frau will sich wehren und versucht ihre Beine zu schließen und sich wegzudrehen. Schnell greift die Hebamme ihre Beine und drückt sie nach außen weg. Ich versuche so schnell wie möglich etwas zu ertasten, damit ich diese gewaltvolle Untersuchung beenden kann“, schreibt Placzek.
Wenn man die freiberufliche Hebamme heute fragt, welche Form der Gewalt während ihrer Ausbildung für sie die krasseste war, lässt ihre Antwort nicht lange auf sich warten:
„Für mich war immer das Schlimmste: alle gewaltvollen Abwandlungen des Kristeller-Handgriffs!“
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„Das ist pure Gewalt, die nichts mit Geburtshilfe zu tun hat“
Doch was ist das für ein Handgriff und was ist daran falsch?
„Der Kristeller-Handgriff ist ein leichter Bauchdruck auf den Fundus (obere Kante der Gebärmutter) in der Wehe - und vor allem eigentlich ohne Schmerzen. So wird der Griff aber in der Realität leider so gut wie nie durchgeführt. Auch in den Leitlinien ist dieser leichte Fundusdruck beschrieben – und, dass er manchmal sinnvoll sein kann“, weiß die Hebamme.
„Aber im Kreißsaal wird der Griff oft mit dem ganzen Unterarm durchgeführt oder mit dem ganzen Oberkörper. Ich habe ihn auch schon mit einem Knie auf dem Bauch gesehen – ich habe alles Mögliche gesehen! Dann wird sich regelrecht auf die Frau draufgeworfen und das ist pure Gewalt, die nichts mit Geburtshilfe zu tun hat“, kritisiert Placzek.
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Oft rechtfertigt das Personal die Gewalt in der Geburtshilfe
Und wie kommt es, dass medizinische Fachkräfte, die es doch besser wissen müssten, diese Form der Gewalt anwenden?
„Der Arzt oder die Hebamme sind oft wirklich davon überzeugt, dass diese Handlungen sinnvoll sind – sie sagen dann: ‚Sonst wäre Ihr Kind gestorben‘. Jeder Außenstehende oder andere Geburtshelfer würde sagen, auf gar keinen Fall! Das ist einfach nur Unwissen und Unprofessionalität. Doch niemand kontrolliert, nach welchem Standard das Krankenhaus arbeitet“, erklärt Placzek.
Dass die Frau und das Kind danach traumatisiert sind, sei Führungskräften oft egal. Denn in deren Augen sei das Vorgehen nicht völlig veraltet und gewaltvoll, sondern gerechtfertigt. Oft sei hier auch das Credo, dass man eben „schon immer so gearbeitet“ hätte. Auch, wenn man es natürlich längst besser wissen müsste.
Hinzu kommt laut Placzek die in diesem Zusammenhang faktisch falsche Aussage, dass das Kind „sonst gestorben wäre“.
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„Man braucht solche Gewaltakte nicht“ – Placzek kämpft für menschlichere Geburtshilfe
Zu Aussagen dieser Art hat die Buchautorin eine klare Meinung:
„Man braucht solche Gewaltakte nicht. Es gibt unterschiedliche Fachkräfte und es gibt Kliniken, wo man eine größere Chance hat, auf eine gute Fachkraft zu treffen.“ Darüber sollten sich Eltern schon während des Geburtsvorbereitungskurses informieren, rät sie.
Die mittlerweile freiberufliche Hebamme kämpft weiter für eine menschlichere Geburtshilfe.
Doch nicht nur das Gesundheitspersonal, auch die Mütter sollten sich wehren und im Nachhinein häufiger den Rechtsweg gehen, wünscht sich Placzek. Zumindest, wenn sie mental dazu in der Lage sind.
„Der erste große Schritt liegt bei den Frauen und werdenden Müttern. Sicher auch bei den Fachkräften und Hebammen. Aber gerade die Frauen wissen oft gar nicht, wie viel Kraft und Macht in ihnen schlummert. Wenn wir alle mehr aufbegehren würden, dann würde sich auch schneller etwas ändern.“