Hummels und Co. vor dem Aus? Wer löst das Sturm-Problem?
Das sind Hansi Flicks größte Baustellen beim DFB-Team

von Tobias Knoop
Die EM 2021 ist für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft Geschichte, die Ära Jogi Löw nach 15 Jahren beendet. Nach seinem selbst bestimmten Abschied vom FC Bayern übernimmt Hansi Flick als neuer Bundestrainer. Nicht erst das enttäuschende Abschneiden bei der EURO hat gezeigt, dass auf den 56-Jährigen in seinem neuen Job einige große Baustellen warten. Wir listen die wichtigsten Fragen und Baustellen auf, die Flick lösen muss.
Setzt Flick weiter auf Hummels und Müller? Kommt Reus zurück?

Pünktlich zur EM-Endrunde holte Joachim Löw gut zwei Jahre nach ihrer Ausbootung Mats Hummels und Thomas Müller zurück in den deutschen Kader. Ertrag brachte das kaum. Müller blieb auch bei seiner dritten Teilnahme an einer EM ohne Tor. Beim Achtelfinal-Aus gegen England spielte er nicht nur mehrere haarsträubende Fehlpässe, sondern vergab in der Schlussphase auch die beste Torchance des DFB-Teams relativ kläglich.
Hummels startete mit seinem Eigentor gegen Frankreich denkbar schlecht ins Turnier, stabilisierte sich aber und gehörte unter dem Strich noch zu den besseren deutschen Spielern. Seine Zukunft in der DFB-Elf ließ der BVB-Star nach dem England-Spiel explizit offen. Er wolle "erst einmal ein paar Tage abschalten".
Treten Hummels und Müller nicht von sich aus zurück, wäre es eine Überraschung, wenn Flick künftig auf sie verzichten würde. Insbesondere Müller, den Flick beim FC Bayern nach seiner schwierigen Zeit unter Niko Kovac wieder aufpäppelte und zur Top-Form führte, hat hervorragende Aussichten auf weitere Einsätze als Stamm- und Führungsspieler.
Völlig offen ist, ob Marco Reus noch einmal in die Nationalmannschaft zurückkehrt. Auf die Teilnahme an der EM verzichtete der Dortmunder Kapitän freiwillig. "Nach einem sehr intensiven Jahr für mich persönlich und dem Erreichen der Ziele beim BVB bin ich zum Entschluss gekommen, meinem Körper Zeit zu geben, um sich zu erholen", erklärte Reus seine Entscheidung bei Instagram.
Dass der 32-Jährige im DFB-Team sportlich verzichtbar wäre, konnte bei der Endrunde keiner seiner deutlich jüngeren Konkurrenten beweisen. Zumal sich Reus am Ende der abgelaufenen Saison beim BVB in absoluter Top-Form präsentierte.
Zuckerbrot und Peitsche - kriegt Flick Sané weider hin?
Vor der WM 2018 überraschend ausgebootet, bei der EM mit enttäuschenden Leistungen: Leroy Sané bleibt eines der großen Sorgenkinder des deutschen Fußballs. Die Diskrepanz zwischen seinem unbestritten großen Potenzial und der Art und Weise, wie er dieses abruft, ist beim Flügelstürmer des FC Bayern nach wie vor viel zu groß.
Auch Hansi Flick hat schon entsprechende Erfahrungen mit Sané gemacht. In seiner ersten Saison in München brauchte der 25-Jährige nach seinem 50-Millionen-Wechsel von Manchester City eine längere Anlaufzeit.
Flick gewährte sie ihm geduldig, lobte Sané immer wieder öffentlich, verzichtete aber auch nicht darauf, den früheren Schalker auch mal mit leiser Kritik anzustacheln - Zuckerbrot und Peitsche, gewissermaßen.
Der Lohn: Im zweiten Halbjahr unter Flick wurden Sanés starke Darbietungen regelmäßiger. Als neuer Bundestrainer sei der Ex-Bayern-Coach "ein guter Fang", sagte Sané bei "Sport1" schon bevor Flicks Wechsel offiziell bestätigt wurde.
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Kroos weg, Gündogan auch bald? Wer bildet das Mittelfeld?
106 Mal stand Toni Kroos für die deutsche Nationalmannschaft auf dem Platz, "ein weiteres Mal wird es nicht geben", teilte der 31-Jährige Anfang Juli mit. Hansi Flick wird also von Beginn seiner neuen Aufgabe beim DFB an auf den Spielmacher von Real Madrid verzichten müssen.
Auch Ilkay Gündogan, der in drei von vier EM-Spielen zusammen mit Kroos die Mittelfeld-Zentrale bildete, erwägt Medienberichten zufolge einen Rücktritt. Es zeichnet sich allerdings ab, dass der ManCity-Star unabhängig von seiner Entscheidung künftig nicht mehr erste Wahl in der DFB-Auswahl ist.
Stattdessen könnte Flick in erster Linie auf Joshua Kimmich und Leon Goretzka setzen, die unter ihm schon beim FC Bayern erfolgreich in der Schaltzentrale agierten. "Die neuen Chefs" nannte der "kicker" die beiden Münchner, die zukünftig auch abseits des Platzes (noch) mehr Verantwortung übernehmen sollen.
Wie löst Flick das Sturm-Problem?
Die dürftigen Darbietungen bei der EM zeigten neben einigen weiteren besorgniserregenden Defiziten erneut, dass Deutschland ein veritables Problem im Mittelsturm hat.
Timo Werner blieb bei seinem einzigen Startelfeinsatz gegen England blass, Kevin Volland stand nach seiner überraschenden Nominierung lediglich zehn Minuten auf dem Platz.
Auch im DFB-Unterbau ist weit und breit kein vielversprechender Neuner für Flick in Sicht. Lukas Nmecha avancierte auf dem Weg zum EM-Titel der U21 zwar zum Torschützenkönig. Auf Vereinsebene spielte der 22-Jährige zuletzt aber lediglich in der international zweitklassigen belgischen Jupiler League.
Einen echten Torjäger kann sich Flick nicht backen. Er wird also auf das vorhandene Personal zurückgreifen und die bei der EURO in vielen Phasen fehlende Torgefahr durch eine Änderung von System und taktischer Herangehensweise verbessern müssen. (sport.de)