Was ist das Fowler-Christmas-Chapple-Syndrom?
Elle (30) leidet an seltenem Syndrom: "Ich wachte eines Tages auf und konnte nicht mehr Pipi machen"

Wir haben viel getrunken, ein bekanntes Gefühl macht sich in der Blase breit und wir wissen: Zeit, auf Toilette zu gehen! Was wir als Kinder anfangs nur schwer kontrollieren konnten, ist irgendwann ein selbstverständlicher Teil unseres Alltags. Bei Elle Adams (30) aus London ist das eigentlich nicht anders. Bis sie im Oktober 2020 das Bedürfnis des Wasserlassens verspürt, das stille Örtchen besucht – aber nichts passiert. Das Krasse: Egal wie viel sie trinkt, sie kann einfach nicht pinkeln! Dass eine seltene Erkrankung dahintersteckt, weiß sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Blase wird immer voller: Elle Adams (30) hat das seltene Fowler-Christmas-Chapple-Syndrom
Obwohl ihre Blase irgendwann immer voller wird und kaum noch Urin aufnehmen kann, tut sich bei Elle Adams nichts, wenn sie auf Toilette geht. Ihre Blase streikt. Die 30-Jährige hat das Fowler-Christmas-Chapple-Syndrom. Das finden Ärzte im Dezember 2021 heraus, ganze 14 Monate, nachdem die 30-Jährige zum ersten Mal Probleme beim Wasserlassen hat. Die Diagnose „hat ihr Leben verändert“, wie sie gegenüber der britischen Nachrichtenagentur „SWNS“ erzählt.
Einen ganzen Liter Urin finden die Mediziner in Adams’ Blase – und das, obwohl die Blase von Frauen normalerweise nur ungefähr 500 Milliliter aufnehmen kann.
Die Ärzte versorgen die Influencerin daraufhin mit einem Notfallkatheter, einem Schlauch, der in ihre Blase eingeführt wird, damit der Urin abgeleitet werden kann. Im urologischen Zentrum wird ihr anschließend erklärt, wie sie die Prozedur auch selbst zu Hause durchführen kann, denn: Aufgrund des seltenen Syndroms steht seitdem fest, dass Elle Adams für den Rest ihres Lebens einen Katheter benutzen muss. Ein normaler Toilettengang ist für sie nicht mehr möglich.
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Experte klärt auf: DAS hat es mit dem seltenen Fowler-Christmas-Chapple-Syndrom auf sich
Doch was genau steckt hinter dem Fowler-Christmas-Chapple-Syndrom, das dafür sorgt, dass Betroffene nicht mehr „normal“ auf Toilette gehen können? Der Allgemeinmediziner und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht erklärt im RTL-Interview: „Das ist eine extrem seltene Krankheit und auf jeden Fall eine Dauergeschichte. Nur wenige Menschen sind betroffen, auch wenn die Dunkelziffer vermutlich höher sein wird, alleine schon aufgrund der verschiedenen Ausprägungen. Am meisten trifft es tatsächlich Frauen, ungefähr ab der ersten Regelblutung bis hin zur Menopause.“
Die Ursachen seien bisher nicht bekannt. „Man weiß nicht woher das Syndrom kommt oder woran es liegt. Das kann einfach kommen. Diskutiert werden aber hormonelle Ursachen“, so der Mediziner.
Problematisch sei, dass es bei etwa der Hälfte der Frauen auch zu polyzystischen Ovarien kommen kann, also einer Zystenbildung an den Eierstöcken, die im schlimmsten Fall die Fertilität negativ beeinflusse.
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Wie unsere Blase normalerweise arbeitet und was das Problem beim Fowler-Christmas-Chapple-Syndrom ist
Eigentlich passiert in unserem Körper folgendes: „Unsere Nieren produzieren Urin, der anschließend die Harnleiter herunter in die Blase läuft. Die Blase fungiert als eine Art Tank und lagert den Urin zwischen. Wenn wir dann zur Toilette gehen, wird der Urin über die Harnröhre nach außen transportiert und die Blase somit entleert.“
Und natürlich wissen wir: Damit sich unsere Blase nicht ständig von selbst entleert, gibt es einen Verschluss, der das Ganze aufhält. „Dieser liegt am unteren Teil der Blase, am Übergang zur Harnröhre. Er ist muskulär und im Normalzustand zu. Öffnen wir ihn auf Toilette, setzt der Pinkel-Reflex ein – mittlerweile in der Regel willentlich, als kleines Kind eher unwillentlich –, die Muskulatur entspannt sich und wir können urinieren.“
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Beim Fowler-Christmas-Chapple-Syndrom liegt das Problem beim Öffnen des Verschlussmuskels. Dr. Specht sagt: „Der funktioniert nicht richtig. Das heißt, das Signal, dass man eigentlich locker lassen könnte, kommt nicht beim Muskel an. Der Verschluss ist ständig zu. Das ist unangenehm, denn man hat so die ganze Zeit das Gefühl einer vollen Blase.“ Irgendwann bleibe einem nichts anderes mehr übrig, als zum Arzt zu gehen. Das ist nämlich nicht nur unangenehm, sondern könnte auch dafür sorgen, dass sich Infektionen breitmachen.
"Alles, was ich mir wünschen kann": Elle Adams Lebensqualität hat sich mittlerweile verbessert

Auch bei Elle Adams treten die Probleme aus dem Nichts auf: „Ich war kerngesund. Ich hatte keine anderen Probleme. Als ich nicht mehr pinkeln konnte, war ich sehr besorgt“, wie „SWNS“ berichtet.
Im Krankenhaus wird ihr im Januar 2023 bei einer Operation eine Sonde eingesetzt, die ihr Leben verändert. Über sie werden seitdem elektrische Impulse per Sakralnervenstimulation abgegeben, um die gelähmte Verschlussmuskulatur entsprechend zu stimulieren. „Es ist nicht lebensverändernd, aber es hilft. Ich muss viel weniger katheterisieren und nach zwei Jahren Hölle ist das alles, was ich mir wünschen kann.“ Der 30-Jährigen gehe es gut und sie bemerke einen deutlichen Unterschied in ihrem Gesundheitszustand und in ihrer Lebensqualität. Auf ihrem Instagram-Account macht sie immer wieder auf die seltene Erkrankung aufmerksam.
Dr. Specht erklärt, dass man – auch wenn es rein theoretisch jede Frau treffen kann– nicht in Panik verfallen solle: „Das Syndrom tritt nicht in der Masse auf und ist sehr einzelfallig und selten.“
Trotzdem könne eine Harnverhaltung, dass man nicht mehr auf Toilette gehen und Wasserlassen kann, häufig vorkommen, etwa nach Operationen, wenn sich der Körper in einem Alarmzustand befindet.