Irres DRS-Duell zwischen Verstappen und Leclerc

Wer bremst, gewinnt!

von Martin Armbruster

Die Formel-1-Boliden des Jahres 2022 scheinen genau zu liefern, was die F1-Bosse haben wollten. Mit den aerodynamisch abgespeckten Autos können die Fahrer einen Rivalen in aufgewirbelter Luft einfacher verfolgen und attackieren. Die Folge: Mehr Überholmanöver, dementsprechend mehr Action. Beim Saudi-Spektakel in Dschidda führt das Ganze zu einem erstaunlichen Nebeneffekt, wie der packende Fight zwischen Max Verstappen und Charles Leclerc offenbart: Wer bremst, gewinnt!

Verflixte DRS-Linie

Verstappen vor Leclerc, Leclerc vor Verstappen, dann wieder Verstappen vor Leclerc. Wie schon in Bahrain lieferten sich die arrivierten F1-Jungens (beide sind gerade einmal 24) auch in Saudi-Arabien in der Schlussphase ein atemberaubendes Duell.

Der Red-Bull-Pilot pirschte sich Runde für Runde an den führenden Leclerc im Ferrari heran. Im 42. Umlauf steckte die Bullen-Nase im Getriebe des Monegassen.

Mit mächtigem Geschwindigkeitsüberschuss donnerte Verstappen vor der letzten Kurve nur so an Leclerc vorbei – der sich gegen das Manöver allerdings auch nicht wehrte. Im Gegenteil: Der Ferrari-Mann bremste auffallend früh, schien seinen Kontrahenten fast schon vorbeizuwinken. Ein Zug mit Kalkül.

Denn: Der Titelverteidiger war in seinem RB18 dadurch als Erster über die DRS-Linie geschossen, durfte deswegen auf der Start/Ziel-Geraden den Heckflügel nicht öffnen. Leclerc dagegen drückte munter aufs DRS-Knöpfchen, kaufte sich den Weltmeister dank des Extra-Speeds direkt wieder.

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Leclerc: "Ich wollte unbedingt DRS"

Die Charakteristik der Saudi-Piste am Roten Meer, dem schnellsten Stadtkurs der Welt, stürzte Verstappen in ein Dilemma. Zwar war der Champion im letzten Sektor klar schneller und folglich in Angriffsposition. Eine Attacke vor der letzten Kurve, vor Start/Ziel, würde ihn aber immer zum Opfer eines sofortigen DRS-Gegenschlags von Leclerc machen.

Doch Max Verstappen lernt bekanntlich schnell. In Runde 43 wollte er Leclerc im letzten Knick schon gar nicht mehr überholen. Es kam zu einer geradezu absurden Szene. Weil der Ferrarista den Braten gerochen hatte, ließ er Verstappen vor Turn 27 auflaufen, beide verlangsamten und stiegen Seit an Seit kräftig in die Eisen, um bloß nicht vor dem anderen über die DRS-Linie zu huschen.

"Ich wollte unbedingt DRS. Beim ersten Mal habe ich sehr früh gebremst und das DRS bekommen und konnte ihn so in Kurve 1 wieder überholen. Beim zweiten Mal wusste Max, dass ich das tun würde, also haben wir beide sehr früh gebremst", räumte Leclerc nach dem Hitchcock-GP freimütig ein.

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Verstappen untypisch erfolgreich

Leclercs Verzögerungs-Taktik ging ein zweites Mal auf. Verstappen bremste einen Tick heftiger, konnte auf der Innenbahn zudem keinen Schwung für die Gerade holen. Der Ferrari-Pilot hatte von außen einlenkend die bessere Traktion, verteidigte die Führung.

Aller guten Dinge sind drei, dachte Verstappen wohl. Ende der 46. Runde hielt er sich auf dem Weg zur DRS-Linie noch stärker zurück – die für Verstappen so untypische Fahrweise zahlte sich aus. Leclerc fand dieses Mal kein Mittel, um hinter den „Bullen“ zurückzufallen. Als das Zank-Duo auf Start/Ziel beschleunigte, hing Verstappen dem roten Renner im Nacken. Mit Windschatten und DRS war Leclerc leichte Beute für König Max – die Entscheidung.

Das Saudi-Spektakel war sicher nicht der letzte Voll- und Halbgas-Akt der Alphatiere Verstappen und Leclerc. Das Duell könnte der Formel 1 das nächste WM-Epos bescheren.