Exil-Iranerin Saghar Kia spricht mit Freundin aus dem Iran

"Wenn einer von uns getötet wird, bekommen wir Motivation, weiter zu kämpfen“

Seit fünf Wochen reißen die Proteste gegen die Islamische Republik Iran und ihren autoritären Regierungskurs nicht ab. Auslöser war der Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini, die die Zwangsvorschriften für das Tragen eines Kopftuchs nicht eingehalten haben und in Polizeigewahrsam gestorben sein soll. Als Zeichen der grenzenlosen Solidarität kamen am Samstagnachmittag in Berlin bis zu 80.000 Menschen mit einem Ziel zusammen: Sie wollen sich mit den systemkritischen Protesten im Iran solidarisieren und den Menschen im Iran zeigen, dass sie gesehen werden. Eine von ihnen ist Saghar Kia (34). Die Mutter einer Tochter ist vor fünf Jahren aus dem Iran geflohen. Heute lebt sie mit ihrem Mann Reza in Nürnberg in fränkischer Sicherheit. Doch ihre Familie muss weiter jeden Tag die Menschenverachtung des islamischen Herrschaftssystems erleben, wie die schwierige Kontaktaufnahme in den Iran ganz besonders zeigt.

Saghar Kia (34) floh vor  fünf Jahren mit ihrer Tochter aus dem Iran nach Deutschland
Saghar Kia (34) floh vor fünf Jahren mit ihrer Tochter aus dem Iran nach Deutschland
RTL

Mullah-Regime stellt Internet im Iran ab

„Den Kontakt in den Iran zu halten, ist momentan schwierig“, sagt Saghar Kia im RTL-Interview. Wegen der systemkritischen Proteste habe das Mullah-Regime das Internet stark eingeschränkt. Ihre Familie zu erreichen sei jedes Mal eine echte Herausforderung, erzählt die 34-Jährige. Oftmals schreibe sie ihren Verwandten eine Nachricht über Messenger wie WhatsApp ohne zu wissen, ob die Nachricht jemals durchgeht oder gar ihre Familie überhaupt lebt. Jedes Mal, wenn der zweite Haken beim Messenger erscheine, also die Nachricht angekommen und gelesen wurde, falle Saghar Kia ein Stein vom Herzen. Der zweite Haken bedeute, dass ihre Familie noch lebe. Während sie in deutschen Medien die meist gewaltvollen Proteste im Iran verfolgt, bangt Saghar Kia in Sicherheit um das Leben ihrer Familie und Freunde.

Lesetipp: „Demonstranten müssen brutale Rache fürchten“ – Exil-Iraner im RTL-Interview

 Flensburg, Schleswig-Holstein, Solidaritätsdemonstration für die Frauen im Iran Transparent mit Foto von Frau Mahsa Amini und Demonstranten, deneben in tot Text: Beenden Sie das Blutvergießen im Iran. Schützen Sie den Protest . mahsaamini OpIran. Aufnahme vom 03.10.2022, Flensburg, Innenstadt *** Flensburg, Schleswig Holstein, solidarity demonstration for the women in Iran banner with photo of Mrs. Mahsa Amini and demonstrators, deneben in dead text Stop the bloodshed in Iran Protect the protest mahsaamini OpIran photo taken 03 10 2022, Flensburg, city center
Der Tod von Mahsa Amini sorgte für eine Protestwelle im Iran.
www.imago-images.de, IMAGO/Willi Schewski, IMAGO/Willi Schewski

Mahsa Amini: Wie eine Iranerin zum Freiheitssymbol wurde

Der Tod der 22 Jahre alten iranischen Kurdin Mahsa Amini Mitte September war der Auslöser einer so noch nicht da gewesenen Welle der Proteste im Iran. Die Sittenpolizei hatte die Studentin festgenommen, weil sie die Zwangsvorschriften für das Tragen eines Kopftuchs nicht eingehalten haben soll. Die Frau starb am 16. September in Polizeigewahrsam. Seit ihrem Tod demonstrieren weltweit Tausende gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie das islamischen Herrschaftssystem. Mahsa Aminis Name und Gesicht sind zum Symbol geworden: Für den Wunsch nach Freiheit im Iran und gegen das Mullah-Regime, das sämtliche Freiheitsrechte rigoros beschneidet.

Lesetipp: „Baraye" wird zur Hymne der Demonstrierenden im Iran

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Video: Schülerinnen im Iran singen Protestlied

Saghar Kia über den Iran: "Es ist eine Revolution"

Dass die ganze Welt auf den Iran blicke, würden die Menschen im Iran mit großem Interesse verfolgen, sagt Saghar Kia. Nur mit dem Druck der weltweiten Öffentlichkeit hätten die Protestierenden im Iran überhaupt eine Chance, sagt sie. Das bestätigt auch eine Bekannte von Saghar Kia, die sie während des Interviews mit dem Telefon erreichen kann.

„Wir haben viel Freude und innerlich viel Kraft und Mut bekommen, als wir gesehen haben, wie viele Menschen auf der ganzen Welt solidarisch sind mit uns“, berichtet sie direkt aus Teheran. Dass Menschen verschwinden oder sogar im Auftrag des Regimes getötet werden, sei mittlerweile traurige Realität. Doch: „Wenn einer von uns getötet wird, bekommen wir mehr Motivation, weiter zu kämpfen“, erzählt Saghar Kias Bekannte am Telefon. „Wir haben ein Ziel und wir hoffen, dass wir unser Ziel erreichen.“ Alle Iranerinnen und Iraner, die sich nach Freiheit sehen, seien zwar traurig, aber auch sehr mutig. Die internationale Solidarität aus Deutschland gebe den Menschen vor Ort jedoch Mut und Motivation.

Video: Ohne Kopftuch angetreten! Sorge um iranische Kletterin

Protest im Iran geht durch alle Bevölkerungsschichten

Obwohl es ihr Leben kosten könnte, trauen sich immer mehr Menschen im Iran aufzustehen und ein Zeichen zu setzen. So kletterte die iranische Sportkletterin Elnaz Rekabi bei den Asienmeisterschaften ohne das für sie eigentlich vorgeschriebene Kopftuch. Drei Tage lang hörte man nichts von ihr, ehe die 33-Jährige bei Instagram ein Lebenszeichen von sich gab. Nach ihrer Rückkehr in den Iran gab es Spekulationen, dass diese unter Zwang erfolgt sei und sie unter striktem Hausarrest stehe. Die Angst vor Racheaktionen des menschenverachtenden Regimes sind riesengroß.

Doch es geht nicht nur um das Kopftuch, sagt Saghar Kia im RTL-Interview.. „Es gibt die Menschen, die mit Kopftuch auf die Straße gehen und andere eben ohne Kopftuch. Es ist eine Revolution. Das ist das eine Ziel, dem wir mit großer Hoffnung eine Chance geben“, so die 34-Jährige im RTL-Interview. „Ich habe Wut und manchmal schreie ich, weil ich mich so fühle, als könne ich hier nichts machen. Ich bin schon sehr weit weg, aber mein Herz ist da und ich sehe, wie mutig andere sind, die auf die Straße gehen“, beschreibt Saghar Kia ihre Gedanken.

 Solidaritäts-Demonstration gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran, Tiergarten, Siegessäule, Großer Stern, Berlin Großdemo gegen das Regime der Mullahs im Iran. Auslöser der Demonstrationen war der Tod der 22-jährigen Masha Amini. 22.10.2022, Berlin-Mitte, Tiergarten, News, *** Solidarity demonstration against the oppression of women in Iran, Tiergarten, Siegessäule, Großer Stern, Berlin Large demonstration against the regime of the mullahs in Iran Triggered by the death of 22 year old Masha Amini 22 10 2022, Berlin Mitte, Tiergarten, News,
Vor der Siegessäule in Berlin versammelten sich am Freitag bis zu 80.000 Menschen und demonstrierten gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran.
www.imago-images.de, IMAGO/Jürgen Held, IMAGO/Jürgen Held

Entscheidung in Freiheit: Saghar Kia ist zum Christentum konvertiert

Seit sie in Deutschland in Sicherheit lebt, hat sich für die Mutter einer 15-jährigen Tochter vieles geändert. Im Iran sollte sie vor 18 Jahren noch zwangsverheiratet werden – in Deutschland hat Saghar Kia eine Ausbildung als Pflegerin abgeschlossen. Die 34-Jährige ist wie ihr Mann vom Islam zum Christentum konvertiert und studiert mittlerweile sogar Theologie. Das Recht frei über seine Zukunft entscheiden zu können, darum ginge es im Kern auch im Iran. „Ohne Freiheit kann ich nicht leben“, sagt sie im RTL-Interview. „Ich denke, diese Freiheit ist sehr kostbar. Was die Menschen in Deutschland haben und sich manchmal nicht bewusst sind, gibt es vielen Ländern nicht. Das ist für mich kostbar.“

Saghar Kia (34) und ihrem Mann Gholamreza "Reza"" Sadeghinejad (43)
Saghar Kia (34) und ihr Mann Gholamreza "Reza" Sadeghinejad (43) nehmen täglich Kontakt zu Verwandten auf - meist vergeblich.
RTL

Saghar Kia: Mein Traum ist Demokratie für den Iran

Hoffnungslosigkeit ist der größte Feind einer jeden Regierung und eine Revolution ist ein langwieriger Prozess. Die Iranerinnen und Iraner sind sich dessen voll bewusst: „Es ist eine feministische Revolution. Wir wissen, dass es heute und morgen nicht passieren kann. Wir wissen, dass es ein langer Weg ist, aber wir sind schon mittendrin. Wir kämpfen und wir werden nicht aufhören“, berichtet Saghar Kias Bekannte aus dem Iran immer wieder.

Saghar Kia hat indes nur einen Wunsch: „Ich wünsche mir, also mein Traum ist, auch der Iran könnte in einer Demokratie leben, was jetzt gerade nicht möglich ist.“ Sie setze alle Hoffnungen „in die feministische Revolution“, wie sie die Proteste auch nennt. „Wir wissen, dass es ein langer Weg ist, aber wir sind schon mittendrin. Wir kämpfen und wir werden nicht aufhören.“ Wichtig sei, so Saghar Kia, vor allem, dass die Protestierenden gesehen werden. Dass die Menschen auf der Straße im Iran registrieren: „Wir sind nicht allein. Die denken an uns, die sind auf unserer Seite.“ (kra)