Bundesverfassungsgericht fällt Grundsatzentscheidung
Ein Freispruch bleibt ein Freispruch: Mord an Frederike (17) bleibt ungesühnt

Kann man für dieselbe Tat mehrfach vor Gericht gestellt werden – auch nach einem Freispruch?
Diese Grundsatzfrage hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe jetzt ein für alle Mal beantwortet. Was das in der Praxis bedeutet, zeigt der Fall der 1981 ermordeten Frederike von Möhlmann. Die 17-Jährige war als Anhalterin mitgenommen, vergewaltigt und erstochen worden. Ein Gericht sprach den Tatverdächtigen damals aus Mangel an Beweisen frei. Jahre später, mit deutlich besserer DNA-Technik, überführten ihn die Spuren aber.
Höchst umstritten: Gesetzesreform über Wiederaufnahme von Strafverfahren nach Freispruch
Ne bis in idem (lateinisch) - nicht zweimal in derselben Sache. Nach diesem Rechtsgrundsatz, der im Grundgesetz verankert ist, darf jemand in Deutschland nicht erneut angeklagt werden, wenn er für denselben Vorwurf schon einmal freigesprochen wurde. In Artikel 103, Abs. 3 heißt es: „Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrfach bestraft werden“.
Für schwere Taten wie etwa Mord wurde dieses Gesetz aber geändert. Die Reform der Strafprozessordnung sah vor, dass schwere Fälle neu aufgerollt werden dürfen, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel auftauchen. Der Bundestag hatte das noch zu Zeiten der großen Koalition von Union und SPD beschlossen. Ob die Änderung wirklich verfassungskonform ist, galt als umstritten.
Das Bundesverfassungsgericht sagt jetzt: Nur auf Basis neuer Beweise können freigesprochene Verdächtige nicht noch einmal für dieselbe Tat angeklagt werden. Die Ende 2021 in Kraft getretene Reform der Strafprozessordnung sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
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Vergewaltigt, erstochen und Täter freigesprochen: Der Fall der Frederike von Möhlmann
Konkreter Anlass für die Prüfung durch das höchste deutsche Gericht war der Mordfall Frederike aus Niedersachsen. Ein Mann wurde verdächtigt, die 17-Jährige aus Hambühren 1981 vergewaltigt und erstochen zu haben. Das konnte dem damals 22-jährigen Ismet H. nicht nachgewiesen werden. 1983 wurde er rechtskräftig freigesprochen. Nach einer neuen DNA-Untersuchung könnte er aber der Täter sein. Ihm soll der Prozess gemacht werden, doch er legte Verfassungsbeschwerde ein.
Die Karlsruher Richterinnen und Richter stoppten den Prozess am Landgericht Verden. Der Mann kam bis auf weiteres auf freien Fuß. Das Verfassungsgericht verlängerte im Sommer die Außervollzugsetzung des Haftbefehls und kassierte Auflagen. Unter anderem hatte der Mann sich zweimal wöchentlich bei der Staatsanwaltschaft melden müssen und durfte seinen Wohnort nicht ohne Erlaubnis verlassen. Das Wiederaufnahmeverfahren müsse jetzt beendet werden, sagte die Vorsitzende Richterin Doris König in der Urteilsbegründung.
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Verfassungsrichterin über Urteil: Für Hinterbliebene "schmerzhaft"
Das Bundesverfassungsgericht hat Verständnis dafür gezeigt, dass Hinterbliebene von Opfern mit seiner Entscheidung hadern könnten. „Dem Senat ist bewusst, dass dieses Ergebnis für die Angehörigen der 1981 getöteten Schülerin und insbesondere für die Nebenklägerin des Ausgangsverfahrens schmerzhaft und gewiss nicht leicht zu akzeptieren ist“, sagte die Vorsitzende Doris König am Dienstag in Karlsruhe.
In dem Verfahren sei es aber nicht um den konkreten Fall gegangen, sondern um den Umgang mit dem grundlegenden rechtsstaatlichen Grundsatz, dass niemand zweimal wegen derselben Sache vor Gericht gestellt werden kann.
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„Der Kampf um Gerechtigkeit verjährt nicht“
Bei der mündlichen Verhandlung im Mai hatte Frederikes Schwester über ihren Anwalt emotionale Worte an den Zweiten Senat gerichtet: „Ihr Tod verjährt nicht in unserer Familiengeschichte“, sagte der ehemalige Bundesanwalt Wolfram Schädler im Namen seiner Mandantin, die nicht nach Karlsruhe gekommen war.
Jahrelang hatte ihr Vater für eine Gesetzesreform gekämpft. Unter anderem stellte er eine Petition ins Internet, die rund 180.000 Menschen unterschrieben. Der Kampf sei mit dem Tod ihres Vaters nicht vorbei, ließ Frederikes Schwester vortragen. Zeit schaffe keinen Frieden, der Schmerz werde nicht weniger. Die Familie hoffe auf Ruhe. (dpa/sbl)
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