Gewaltbereitschaft von Gegnern der Corona-Maßnahmen steigt
Kommunalpolitiker attackiert Impfgegner: „Sind kein Freiwild für Psychopathen“
Brandenburg: Warnungen vom Verfassungsschutz
Haiko Tollmien ruft im Radio zum Impfen auf. Kurz darauf explodiert der Briefkasten des Kommunalpolitikers. Tollmien ist sich sicher: Ein Einschüchterungsversuch von Impfgegnern. Kein Einzelfall, denn die Drohungen gegen Politiker, aber auch gegen Schulleiter und Ärzte häufen sich. Der Verfassungsschutzpräsident schließt auch Gewalt gegen Personen nicht aus.
Tollmien: "Es gibt keine Hemmschwelle mehr"
Als wir Haiko Tollmien in seiner Heimat Sallgast im Süden Brandenburgs besuchen, wirkt er nachdenklich. Der Umgang miteinander in der Gesellschaft, die zunehmende Gewaltbereitschaft, all das frustriert ihn. Nachdem Unbekannte abends seinen Briefkasten in die Luft sprengten, stellt sich der Kommunalpolitiker die Frage: Wo ist die Grenze? „Diesmal war es der Briefkasten, was ist es das nächste Mal? Es gibt faktisch keine Hemmschwelle mehr“, sagt Tollmien.
Noch ermittelt die Polizei, doch Tollmien ist sich sicher, dass Gegner von Impfungen und Corona-Maßnahmen dahinter stecken. Denn kurz vorher hatte der Landkreis neue Maßnahmen beschlossen. Und der CDU-Politiker hatte zusätzlich im Radio zum Impfen aufgerufen. Deshalb sei er ins Visier geraten von Menschen, „denen die Sicherungen durchgegangen sind in dem Moment.“ Doch Bedrohungen oder sogar Gewalt gegen Politiker will Tollmien nicht akzeptieren: „Wir sind kein Freiwild und auch keine Fußabtreter für irgendwelche Psychopathen oder anderweitig fehlgeleitete Mitbürger. Es hat seine Grenzen, es kann so nicht weitergehen.“
Anonyme Vorwürfe gegen Berliner Schulleiter
Vor allem bekannte Politiker werden während der Pandemie immer wieder angegangen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach oder auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer erhielten Morddrohungen. Abgeordnete des hessischen Landtages oder auch der nun ehemalige Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, fanden rohes Fleisch in ihren Briefkästen, deklariert als „blutiger Widerstand“ gegen die Impfpflicht.
Doch nicht nur Politiker müssen sich Bedrohungen und Vorwürfen stellen, auch Ärzte und sogar Schulleiter. An der Berliner Fritz-Karsen-Schule erhielt Schulleiter Robert Giese eine anonyme Mail, nachdem er die Aula der Schule spontan als Impfzentrum zur Verfügung stellte. Dieses „dämliche Schreiben“, wie Giese es bezeichnet, wimmelte voller Falschbehauptungen. „Das Ärgerliche an dieser Mail ist natürlich, dass hier Dinge unterstellt werden, dieser Schule und auch den Mitarbeitern, dass sie Kinder quasi zwangsweise ohne Zustimmung der Eltern zum Impfen führen würden. Und quasi dafür sorgen würden, dass die Kinder gegen ihren Willen und den Willen der Eltern geimpft würden“, erklärt der Schulleiter.
Nicht nur entspricht das nicht den Tatsachen, Giese unterstützt auch die Vorgaben der Ständigen Impfkommission, dass sich das Angebot vor allem an Kinder mit Vorerkrankungen richtet. Doch ähnliche Mails hatte der Schulleiter auch schon wegen der Einhaltung des Maskenpflicht erhalten. Sorge bereiten sie ihm nicht: „Ich fühl mich jetzt davon nicht bedroht. Ich habe das Gefühl, es mit Leuten zu tun zu haben, die aus welchen Gründen auch immer nicht rational denken“, sagt Giese.
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Verfassungsschutzchef Haldenwang hält Gewalt für "nicht unwahrscheinlich"
Doch die Frage ist: Wie viel Gefahr geht tatsächlich von Impfgegnern aus? Wann handelt es sich um leere Drohungen und wann entscheiden sich wütende Fanatiker doch zu Handeln? Der Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang sieht die Entwicklungen im Corona-Protest-Milieu jedenfalls zunehmend mit Sorge und schließt auch weitere Angriffe nicht aus. Gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagte er: „Über Gewalt zu reden und sie zu begehen, ist ein Unterschied. Aber denken Sie nur an das Tötungsdelikt in Idar-Oberstein, wo jemand aus der spontanen Situation heraus eine Waffe holte und in der Tankstelle einen anderen Menschen erschoss. Solche irrationalen Gewaltausbrüche aus Wut- oder Ohnmachtsgefühlen halte ich auch in der Zukunft für nicht unwahrscheinlich.“
Auch Kommunalpolitiker Haiko Tollmien gibt zu: „Das bringt einen schon ein bisschen ins Nachdenken.“ Aufgeben will er jedoch nicht. Er ist überzeugt, dass Politik, Kirche und die Zivilgesellschaft, also auch jede einzelne Familie durch ihre Erziehung, gemeinsam eine Gesellschaft aufbauen müssen, in der die Gewaltbereitschaft wieder abnimmt, auch wenn das Jahrzehnte dauert. Einschüchtern lässt er sich von den Bedrohungen ohnehin nicht. „Wenn wir wieder zur Normalität zurückfinden wollen, dann geht das nur mit Impfung. Anders kriegen wir diese Sache nicht in den Griff.“ (mch)