Maskenverweigerer erschießt Tankstellen-Kassierer
Killer von Idar-Oberstein hatte krude Gewaltphantasien: "Ich freue mich auf den nächsten Krieg"
Experten rätseln über Gründe: "Antwort zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich"
Was ist das für ein Mensch, der einen anderen umbringt, nur weil er sich mit ihm wegen einer Atemschutzmaske gestritten hat? Diese Frage stellt sich ganz Deutschland, seitdem das schreckliche Verbrechen von Idar-Oberstein bekannt wurde. Psychologen und andere Experten rätseln darüber, was den 49-Jährigen dazu veranlasst hat, den 20-jährigen Tankstellenkassierer mit einem gezielten Schuss in den Kopf umzubringen.
Killer hatte Sympathien für rechte Ideen und hielt Klimawandel für Lüge
„Auch, wenn viele Menschen sich nun eine schnelle Antwort auf die Frage wünschen, warum eine solche Tat begangen wurde: Diese ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich", erklärt die Kölner Kriminalpsychologin Lydia Benecke. Eine derartige Tat könne ganz unterschiedliche Hintergründe haben. Ihr Kollege Rudolf Egg sagt: "Niemand, der auch nur halbwegs vernünftigen Verstandes ist, wird einen ihm völlig unbekannten jungen Mann einfach deshalb erschießen, weil er sagt: ‘Du musst jetzt eine Maske aufsetzen!’" Das sei "kriminalpsychologischer Unsinn", so der Fachmann aus Wiesbaden.
Sicher ist, dass der Killer ausgeprägte Gewaltphantasien hatte. So twitterte er vor vielen Jahren: "Ich freue mich auf den nächsten Krieg. Ja, das mag sich jetzt destruktiv anhören, aber wir kommen aus dieser Spirale einfach nicht raus." Das fand die Organisation CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) heraus. Weiter recherchierten die Experten in mehreren Social-Media-Kanälen des Mannes, dass er "rechtsoffene Kanäle" teile und glaube, dass der Klimawandel eine Lüge ist.
Video: Tankstellen-Kassierer nach Maskenpflicht-Hinweis erschossen
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"Es war eine Frage der Zeit, bis der so eskaliert"
Eine Nachbarin des Killers sagte im RTL-Interview: "Es war eine Frage der Zeit, bis der so eskaliert." Dass letztlich der banale Streit um das Tragen einer Gesichtsmaske zum Gewaltausbruch führte, ist vermutlich Zufall. "Der letzte Tropfen, der das Fass der Aggressivitätsneigung zum Überlaufen gebracht hat, den kann man nicht als die Ursache ansehen", glaubt Kriminalpsychologe Egg. "Bei Personen, die ein Gewaltpotenzial haben und so unter Druck stehen, ist es fast egal", sagt er. Sie nähmen "jede Einschränkung als Anlass".
Lydia Benecke rät dazu, "akute Belastungen im Vorfeld" zu untersuchen. "Gab es berufliche oder private Probleme? Geldsorgen? Eine Trennungssituation? Längerfristige Streitereien mit relevanten Personen?", nennt sie als Beispiele.
Was wir wissen und was nicht
Was wir wissen
- Der Tatablauf: Am Samstagabend wollte der Tatverdächtige nach bisherigen Polizeierkenntnissen an einer Tankstelle in Idar-Oberstein zwei Sechserpack Bier einkaufen. Nach einem Hinweis des Verkäufers und späteren Opfers auf die Maskenpflicht, verließ der Verdächtige ohne Bier den Verkaufsraum, ging nach Hause und kehrte etwa eine Stunde später mit einem Revolver zurück. Er setzte erneut die Maske ab und schoss nach einem weiteren Disput dem 20-Jährigen „gezielt von vorne in den Kopf“, so Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann.
- Der Verdächtige: Der 49-jährige Deutsche aus Idar-Oberstein hat die Tat gestanden und sitzt wegen dringenden Tatverdachts des Mordes aus niedrigen Beweggründen in Untersuchungshaft. Nach Fuhrmanns Angaben ist er bislang polizeilich nicht in Erscheinung getreten. Am Sonntagmorgen war er auf dem Gelände der Polizei in Idar-Oberstein festgenommen worden. „Wir gehen davon aus, dass er sich stellen wollte“, sagte Triers Polizeipräsident Friedel Durben.
- Das Opfer: Der 20-jährige Student lebte der Stadtverwaltung zufolge in Idar-Oberstein. Mit seinem Job in der Tankstelle wollte er sich Geld für einen Führerschein verdienen. Nach Behördenangaben haben sich Opfer und Tatverdächtiger nicht gekannt.
* Das Motiv: Streit um die Maskenpflicht. Nach Angaben des Oberstaatsanwalts Kai Fuhrmann hat der Verdächtige sein Opfer verantwortlich gemacht für die Gesamtsituation der Corona-Pandemie, die ihn nach eigenen Aussagen stark belaste. Er lehne die Corona-Maßnahmen ab und habe “keinen anderen Ausweg gesehen“, als ein Zeichen zu setzen, so Fuhrmann über den Festgenommenen.
Was wir nicht wissen
- Der Verdächtige: Über die Lebenssituation des Festgenommenen ist fast nichts bekannt – nur, dass er als Selbstständiger in der IT-Branche arbeitet. Der Oberstaatsanwalt wollte während der laufenden Ermittlungen zunächst keine Angaben dazu machen. Noch nie sei der 49-Jährige bei der Polizei aufgefallen, auch nicht als Teilnehmer etwa einer Pandemieleugner-Demonstration, heißt es von der Staatsanwaltschaft.
- Die Waffe: Die mutmaßliche Tatwaffe, weitere Waffen und Munition fand die Polizei bei dem Tatverdächtigen zu Hause. Wie er an die Waffen kam, und woher sie stammen, ist noch unklar. „Die Waffen hat er nicht legal besessen“, so Oberstaatsanwalt Fuhrmann.
- Die Radikalisierung: Ob sich der Verhaftete etwa in sozialen Netzwerken radikalisiert hat, ist weiterhin nicht belegt. In den Theorien der Corona-Leugner sei er «bewandert», hieß es aus Ermittlerkreisen. Mehr Klarheit erhoffen sich die Ermittler vor allem von der Auswertung der sichergestellten elektronischen Geräte. (uvo, dpa, rtl)