Tragödie in WienMutter tötet Baby – was treibt Eltern zu einer solchen Tat?

Wie kann eine Mutter so etwas tun?
Es ist ein schrecklicher Fall aus der österreichischen Hauptstadt Wien, der für Entsetzen sorgt. Eine Mutter soll ihr eine Woche altes Baby getötet und es anschließend in einer Mülltonne entsorgt haben. Da stellt sich die Frage: Was kann Eltern dazu treiben, ihre eigenen Kinder zu töten? Im Video erfahrt ihr die Hintergründe zur Tat.

„Aus der Welt [...] scheint es für die Täterinnen und Täter keinen Ausweg mehr zu geben”

Der aktuelle Fall aus Wien wirft viele Fragen auf. Leider sind Kindermorde auch in Deutschland kein Einzelfall. Allein im Jahr 2022 wurden laut polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 146 Kinder getötet. Hinzu kamen für 2022 weitere 66 versuchte Tötungen von Kindern unter 14 Jahren. Wie viele davon ihren eigenen Eltern zum Opfer fielen, erfasst die Statistik zwar nicht, doch dass es auch Eltern unter den Tätern gibt, daran besteht bedauerlicherweise kein Zweifel.

Für Eltern sei die Tötung des Kindes oftmals der letzte Ausweg, erklärt die Psychiaterin Claudia Klier im Interview mit dem Standard. Sie forscht an der Med-Uni Wien und damit direkt in der Stadt, in der sich der jetzige Fall ereignet hat. Ihr Forschungsschwerpunkt sind Infantizide, wie man die Kindestötung auch nennt.

„Häufig gehen [solche Tötungen] auf Gewalterlebnisse, psychische Erkrankungen und ein zu wenig ausgeprägtes Unterstützungsnetz zurück. Aus der Welt, so wie sie ist, scheint es für die Täterinnen und Täter keinen Ausweg mehr zu geben. Es ist dasselbe Phänomen wie beim Suizid: Niemand kann mir helfen, und das Kind kann ich nicht in dieser Lebenssituation belassen. Von außen denkt man sich, es gibt Auswege, aber der Betroffene sieht diese Möglichkeit in seinem Tunnelblick nicht.”

Mütter und Väter haben unterschiedliche Tatmotive

In einer ihrer Studien fand Klier heraus, dass die Beweggründe für eine Kindstötung je nach Geschlecht unterschiedlich sein können. Wenn Väter zu Tätern werden, seien es in der Regel Persönlichkeitsstörungen, in Kombination mit Alkohol oder Betäubungsmitteln. Bei Frauen hingegen seien es eher psychotische Erkrankungen oder schwere Depressionen, die meist in der Schwangerschaft nicht wahrgenommen werden. Auch Existenzängste könnten ein solches Tötungsdelikt begünstigen, so die Studie weiter.

Auch ließe sich erkennen: Je jünger das Kind, desto eher würden Mütter zur Täterin, sagt die Psychiaterin. „Die Neugeborenentötung verüben nur Frauen. Sie sind es auch sonst, die in unserer Gesellschaft immer noch viel Zeit mit dem Kind verbringen, möglicherweise unter psychischen Erkrankungen nach der Geburt leiden und in diese Überforderungssituation kommen. Die Kinder, die Mütter töten, sind im Schnitt jünger; je älter das Kind ist, desto häufiger ist der Vater der Täter.”

Kuscheltier.JPG
„Tötungsdelikte kommen in allen Gesellschaftsschichten vor”, erklärt Kriminologin Ulrike Zähringer. (Symbolbild)
Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

„Man darf sich diese Menschen nicht als gefühllose Monster vorstellen“

Das sieht auch Ulrike Zähringer so. Die Kriminologin forscht für das kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen. In einem früheren Interview sprach sie mit uns zu einem ähnlichen Fall. „Tötungsdelikte kommen in allen Gesellschaftsschichten vor”, erklärt sie. Zähringer schätzt, dass jedes Jahr etwa 15 Kinder im Alter bis einschließlich 13 Jahren von ihren eigenen Vätern umgebracht werden. Manche Männer würden aus falsch verstandener Fürsorge töten. Sie seien der Meinung, dass es den Kindern so schlecht geht, dass es besser wäre, wenn sie tot seien.

Auch Rachegedanken können Auslöser für eine solche Tat sein. Laut Zähringers Studie ist Rache aber nur in Ausnahmefällen das Motiv des Täters. Viel häufiger komme es vor, dass Väter nach einer Trennung ihre Rolle als glücklicher Familienvater in Gefahr sehen. „Das hat mit dem Verlust einer Idealvorstellung von Familie zu tun“, erklärte die Kriminologin. „Man darf sich diese Menschen nicht als gefühllose Monster vorstellen.“ Viele der Täter, die die Forscher später im Gefängnis besucht und befragt haben, bereuten ihre Taten schrecklich und trauerten um ihre Kinder.

Entscheidende Frage könnte nicht gestellt worden sein

Im aktuellen Fall aus Wien soll sich die Mutter laut Polizei schon vor der Tat in einem psychischen Ausnahmezustand befunden haben. Hierbei sollen auch Suizidgedanken mit im Spiel gewesen sein, weswegen die 30-Jährige ärztliche Hilfe gesucht haben soll.

Laut Psychiaterin Klier werde eine entscheidende Frage oft nicht gestellt: „Haben Sie je daran gedacht, Ihrem Kind etwas anzutun? Wir wissen aus den Daten, dass mehr als 50 Prozent der Eltern, die ihr Kind getötet haben, im Jahr vor der Tat wegen psychischer Probleme einen praktischen Arzt oder Facharzt aufgesucht haben. Es ist also nicht so, dass sie nicht Hilfe gesucht hätten.”

Laut Klier könnten viele Fälle vermieden werden. Dazu sei es notwendig, die Suizidprävention weiter auszubauen, weil viele Täter Selbstmordgedanken hätten. Auch Anti-Gewaltarbeit sei insbesondere bei Männern notwendig, um diesen frühzeitig deeskalierenden Maßnahmen beizubringen. Elementar wichtig, sei es zudem frühzeitig über psychische Erkrankungen aufzuklären, die vor oder während einer Schwangerschaft auftreten könnten.

Hier findet ihr Hilfe in schwierigen Situationen

Solltet ihr selbst Depressionen haben, suchtkrank oder von Suizidgedanken betroffen sein, sucht euch bitte umgehend Hilfe. Versucht, mit anderen Menschen darüber zu sprechen! Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch die Möglichkeit, anonym mit anderen Menschen über eure Gedanken zu sprechen.

Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich. Wenn ihr schnell Hilfe braucht, dann findet ihr unter der kostenlosen Telefon-Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 Menschen, die euch Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können. (ude)