„Die haben ihn einfach sterben lassen”

Marc-Andrés (24) Familie kämpft für späte Gerechtigkeit

von Philipp Hampl, Florian Klumpp und Daniel Kandora

„Einmal im Leben hat er Hilfe gebraucht und ihm wurde nicht geholfen.”
Es wäre nur ein Notruf gewesen, da ist sich seine Familie sicher. Nur ein Notruf und der Sohn und Bruder wäre vielleicht noch am Leben. Aber Marc-André ist tot. Seine Familie will, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

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Er wollte zur Spezialeinheit

Marc-André ist ein ehrgeiziger Mensch. Bis zur Position des Polizeikommissars hat er es bereits geschafft, war Kampfsportler und topfit. Doch der 24-Jährige will noch weiter kommen und unbedingt zu einer Hamburger Spezialeinheit. Im Oktober 2021 findet dafür ein Lehrgang in der Recknitztal-Kaserne in Mecklenburg-Vorpommern statt. Kilometerlange Märsche, Training in voller Montur – es sind anstrengende Übungen für die Auszubildenden.

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Doch damit noch nicht genug: Auch mitten in der Nacht werden Marc-André und seine Mitstreiter an ihre Grenzen getrieben – und auch darüber hinaus. Immer wieder wird der 24-Jährige ermahnt, die Übungen richtigzumachen. Auf Originalaufnahmen der Polizei, die ihr oben im Video sehen könnt, ist dann zu sehen, wie Marc-André irgendwann einfach nicht mehr kann, kaum alleine aufstehen kann. „Und wieder hoch! Lasst ihn, lasst ihn alleine!”, ist von einem der Ausbilder zu hören.

Marc-André wollte schon als kleines Kind zur Polizei.
Marc-André wollte schon als kleines Kind zur Polizei.
Stern TV/i+u

Sie brechen die Übung nicht ab

Seiner Familie fällt es heute immer noch sichtlich schwer, die drei Jahre alten Videoaufnahmen anzuschauen. „Keiner, kein Ausbilder hat was gemacht. Die haben ihn einfach sterben lassen”, sagt seine Schwester. Denn obwohl Marc-André am Boden liegt, brechen die Ausbilder die Übung nicht ab.
Erst viel später und als die Truppe wieder auf dem Kasernengelände ist, wird ein Rettungswagen gerufen – zu spät, meint seine Familie. „Da krampfte Marci aber schon. Er hat um sich geschlagen und hat gesagt: Ihr wollt mich umbringen”, sagt seine Mutter Heike unter Tränen. Eine Beruhigungsspritze hilft nicht, Wiederbelebungsversuche scheitern. Um kurz nach fünf Uhr morgens wird Marc-André für tot erklärt.

Die Eltern von Marc-André sind immer noch sichtlich mitgenommen von den Ereignissen.
Die Eltern von Marc-André sind immer noch sichtlich mitgenommen von den Ereignissen.
Stern TV/i+u
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Jetzt wird wieder ermittelt

Ein erstes Todesermittlungsverfahren 2022 wird eingestellt, weil eine eindeutige Todesursache nicht festgestellt werden kann. Einer Beschwerde des Anwalts der Familie wiederum stimmt die Generalstaatsanwaltschaft zu und lässt die Ermittlungen wieder aufnehmen. Wenn sich Marc-André nach seinem ersten oder zweiten Zusammenbruch hätte richtig erholen können, wäre er „sehr wahrscheinlich nicht tödlich erschöpft” gewesen – so die Generalstaatsanwaltschaft.

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Inzwischen richten sich die Ermittlungen tatsächlich gegen fünf Polizeibeamte, die für die Nachtübung verantwortlich waren, wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. „Wir hoffen, dass die Schuldigen verurteilt werden, sodass sie nicht mehr ausbilden können”, meint der Papa von Marc-André, als er am Grab seines Sohnes steht. „Dass da ein bisschen mehr auf den Mensch geguckt wird, als nur auf die Übung.” (dka)