Kann der Hauptverdächtige jetzt einfach verschwinden?
Fall Maddie: Staatsanwalt gibt nicht auf – trotz Freilassung von Christian B.

Er ist das Gesicht eines der größten Kriminalfälle Europas – und bald ein freier Mann.
Christian B., Hauptverdächtiger im Fall Maddie McCann, verlässt voraussichtlich nächste Woche (Mitte September) die Haft. Für die Ermittler beginnt damit jetzt eine Zitterpartie: Wird der verurteilte Sexualstraftäter wieder zuschlagen? Kann er einfach untertauchen? Und was bedeutet seine Freilassung für die Suche nach Maddie?
„Ein freier Mann wie Sie und ich“
Nach sieben Jahren Haft kommt Christian B. auf freien Fuß. „Grundsätzlich ist jemand, der seine Haftstrafe abgesessen hat, wieder ein freier Mann wie Sie und ich“, sagt Oberstaatsanwalt Christian Wolters im RTL-Interview. Doch die Sorge bleibt: Laut psychiatrischem Gutachten gilt der 48-Jährige als hochgefährlicher Sexualstraftäter mit erheblichem Rückfallrisiko. Seine früheren Taten: schwere Vergewaltigung, sexueller Missbrauch von Kindern.
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Staatsanwalt fordert Fußfessel für Christian B.
Um die Gefahr zu mindern, hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig strenge Auflagen beantragt: Führungsaufsicht, Meldepflichten – und eine elektronische Fußfessel. „Das ist bei verurteilten Sexualstraftätern, die auch schwerere Straftaten begangen haben, durchaus üblich. Wir hoffen, dass das Gericht das in dem Fall auch so sieht“, betont Wolters. Die Fußfessel wäre die härteste Maßnahme, die rechtlich möglich ist. Doch auch sie hat Schwächen: „Wir sehen zwar in Echtzeit, wo er sich aufhält, aber bis Kräfte vor Ort sind, dauert es“, erklärt der Oberstaatsanwalt.
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Außerdem können die Daten der Fußfessel nur deutschlandweit ausgewertet werden. Deshalb bestehe das Risiko, dass Christian B. das Land verlässt. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, dass er vor Auslandsreisen die Genehmigung des Gerichts braucht – doch ob er sich daran hält, sei fraglich. „Die Gefahr, dass jemand abtaucht, besteht immer. Und im freien Europa ist die sicherlich größer als früher“, warnt Wolters. Innerhalb Europas zu verschwinden, sei „relativ einfach“.
Keine Therapie, keine Resozialisierung
Resozialisierung, eigentlich das Ziel jeder Haftstrafe, habe bei ihm kaum stattgefunden. „Das ist zugegebenermaßen bei Christian B. jetzt alles ein bisschen zu kurz gekommen“, räumt Wolters ein. Der 48-Jährige war in Haft oft isoliert, ohne Ausgänge oder Lockerungen. „Das wird also wirklich so ein Kaltstart werden. Wir wissen im Moment auch nicht, wo Christian B. seinen Wohnsitz nehmen wird, ob er eine Wohnung hat, ob er irgendwo mit einzieht. Also auch da müssen wir uns überraschen lassen.“

Im Gefängnis habe er nie an einer Therapie teilgenommen. Sein Schweigerecht schützt ihn nicht nur vor Gericht, sondern auch gegenüber Psychiatern. „Denn wenn man da Angaben macht, dann können die von dem Sachverständigen auch bei Gericht eingeführt werden. Und dann ist es quasi fast so, als hätte man es dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft selber gesagt.”, erklärt Christian Wolters.
Maddie-Ermittlungen laufen weiter
Für die Staatsanwaltschaft bleibt er der Hauptverdächtige beim Verschwinden von Madeleine McCann. „Die Ermittlungen im Fall Maddie gehen ungeachtet der Entlassung weiter. Das hat keinerlei Einfluss darauf“, betont Wolters. „Es ist nicht so, dass wir hier ein Verfahren gegen Christian B. führen, nur um Christian B. zu überführen, sondern wir führen ein Verfahren, um aufzuklären, was mit Maddie McCann gewesen ist.”
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Seit sieben Jahren suchen die Braunschweiger Ermittler nach den entscheidenden Informationen. Im Juni 2025 gab es die letzte große Suchaktion in Portugal – Häuser, Brunnen, Wälder wurden mit Baggern und Bodenradar durchkämmt. Wolters stellt im Interview mit RTL klar: „Es ist nicht so, dass wir Lust haben, einfach in Portugal irgendwo ein bisschen Land umzugraben, sondern wenn wir Maßnahmen führen, dann, weil wir ganz konkrete Anhaltspunkte haben.“

„Ein komisches Gefühl”
Der Frust ist spürbar. „Wenn man natürlich selber der Meinung ist, man hat da den Richtigen, dann ist das natürlich immer ein komisches Gefühl und mag in gewisser Weise auch unbefriedigend sein, wenn man am Ende den Nachweis nicht führen kann. Man muss das aber sportlich sehen”, sagt Wolters. Und weiter gilt es, den Beweis zu finden, der für eine Anklage im Fall Maddie reicht. „Wir haben genau eine Möglichkeit, vor Gericht zu gehen. Deshalb wollen wir so gut aufgestellt sein wie möglich.“
Die Ermittlungen gehen weiter, doch Christian B. kommt frei. Ob er außerhalb der Gefängnismauern straffrei bleibt, ist ungewiss. „Das wäre für alle zu wünschen – auch für ihn, aber vor allem für mögliche Opfer“, sagt Wolters. Worte, die wie eine Warnung wirken.
Verwendete Quellen: eigene RTL-Recherche