Smartphone-Nutzung frisst nicht nur Zeit Belangloses im Sekundentakt! Scrollen Kinder sich um den Verstand?

„Kannst du das Handy mal weglegen?“
Ein Satz, den viele Eltern kennen. Kurz bei Tiktok oder Snapchat reinschauen und hängenbleiben – und schon wieder ist eine Stunde der Lebenszeit weg. Experten sehen Folgen für den Einzelnen, Gesellschaften und die Zukunft dieser Welt. Wird es Zeit für mehr Dumbphones?
Die Nutzungszeit ist extrem hoch
Ein Smartphone wird auch in diesem Jahr wieder bei etlichen Kindern unterm Weihnachtsbaum liegen. Die Deutschen verbringen inzwischen 72 Stunden pro Woche im Netz, wie die kürzlich vorgestellte „Postbank Digitalstudie 2025“ ergibt. Bei den 18- bis 39-Jährigen sind es sogar fast 86 Stunden. Handys haben zig Funktionen: Filme werden geschaut, es wird gezockt, kommuniziert, fotografiert und geshoppt. Experten betonen, es sei deshalb Unsinn, das Smartphone an sich zu verteufeln. Ihr Augenmerk richtet sich vor allem auf soziale Medien.
Business-Modell: Menschen im System halten
Das Geschäftsmodell sozialer Medien ist es, die Nutzer möglichst lange im System zu halten. Dafür setzen die Plattformen auf fortwährende Dopamin-Kicks, erklärt der Entwicklungspsychologe Sven Lindberg. „Kurzvideos bieten das im Extrem.“ Die Gewöhnung an Reize im Sekundentakt sorge dafür, dass ein Buch oder eine Giraffe im Zoo weit weniger attraktiv wirke. Der Effekt nutze sich nicht ab, stattdessen entstehe ein Nicht-aufhören-können ähnlich wie am Spielautomaten, sagt Lindberg. „Wir sehen in Studien einen Zusammenhang zwischen jüngerem Alter und einer stärkeren suchtähnlichen Nutzung der sozialen Medien“, bestätigt der Kognitionsforscher Christian Montag.
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Schlaf und Kreativität leiden
Eine der deutlichsten Folgen der überbordenden Handynutzung ist laut Lindberg der Schlafmangel. Dieser habe bei Kindern kurzfristige Folgen für die Lernfähigkeit und langfristige für die Hirnreifung. Zudem geht die Zeit auf sozialen Medien für andere wichtige entwicklungspsychologische Aufgaben verloren. Lindberg spricht von einem „weltweiten Sozialexperiment unvergleichlichen Ausmaßes“.
Ein Gefühl, das durch soziale Medien ausstirbt, ist die Langeweile. Sie mag nerven, macht aber kreativ. Studien zeigen laut Montag, dass Gedankenwandern eine Voraussetzung für Kreativität ist. „Wenn ich in jeder freien Minute von meinem Smartphone absorbiert werde, ist es schwer, in einen reflexiven Modus zu kommen.“ Einem an das ständige Geblinker sozialer Medien gewöhnten Gehirn kann es auch viel schwerer fallen, sich ausdauernd etwa dem Lesen eines Textes zu widmen.
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Werden wir dümmer?
Statistiken weisen auf einen Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien und dem Bildungserfolg hin. Eine längere Nutzungszeit sozialer Medien sei mit schlechteren Noten verbunden, sagt Montag. Zudem gebe es Evidenz, dass Smartphone-Verbote in Bildungseinrichtungen zu besseren Noten führen können. Um einem Problem auf den Grund zu gehen, müsse man Argumente destillieren und langen Debatten folgen können, sagt Medienwissenschaftler Ralf Lankau. „Es ist eines der größten Probleme, dass kritisches Denken verlernt wird.“ Das kann Experten zufolge sogar den Demokratien gefährlich werden. Für Menschen wie US-Präsident Donald Trump mit simplen, knalligen Statements seien soziale Medien die perfekte Bühne, sagt der Forscher Philipp Lorenz-Spreen. „Soziale Medien zündeln an Gesellschaften, um Geld zu verdienen“, warnt er.
Erste Länder reagieren
Zunehmend regt sich Widerstand. Erste Länder unterbinden die Nutzung sozialer Medien bei Kindern und Jugendlichen. Das EU-Parlament fordert ein EU-weites Mindestalter von 16 Jahren. In einem Bericht fordern die Abgeordneten zudem, mehr gegen Suchtfaktoren zu tun. Lankau rät, Heranwachsenden bis 14 kein Handy mit Internetzugang zu geben. In teuren Internaten bekämen Kinder oft nur sogenannte Dumbphones mit extrem eingeschränkten Funktionen. Auch viele Eltern im Hightech-Zentrum Silicon Valley seien extrem restriktiv. „Es ist Elitismus, das stark zu beschränken.“ (abl/dpa)
Verwendete Quellen: dpa


