Bevor es eskaliert84 Prozent Trefferquote! „Lizzy“ sagt häusliche Gewalt voraus

Die Gefahr erkennen, bevor es noch schlimmer wird.
Das ist der Job von Lizzy, einer KI. Sie soll Betroffene vor aktueller und zukünftiger Gewalt durch den Partner schützen. Wie geht das? Und warum soll die Polizei ihr bisheriges Vorgehen ändern?
Aktuelle Risiko-Analyse kaum verlässlicher als ein Münzwurf
Wie erkennt man, dass jemand – in erster Linie Frauen – unter häuslicher Gewalt leidet? Welche Fragen muss man stellen, um das Risiko frühzeitig zu erkennen? Und was ist, wenn die Betroffene auf bestimmte Fragen gar nicht antworten will oder kann?
Beschäftigt die Polizei sich mit einem Fall häuslicher Gewalt, ist eine sogenannte Gefährdungsanalyse vorgeschrieben. Wie die abläuft, reicht Ba Linh Le, Mitbegründerin von Frontline, dem Unternehmen hinter Lizzy, aber nicht: „Leider passiert die Gefährdungsanalyse zu oft nach dem Bauchgefühl statt mit einem wissenschaftlich fundierten Fragebogen, so dass Risiken falsch eingeschätzt werden und Betroffene nicht die Unterstützung erhalten, die sie brauchen.“ Die Folgen: potenziell tödlich.
Doch selbst, wenn Fragebögen genutzt werden, seien diese überholt: „Die in Deutschland genutzten Tools stammen aus den 80er- und 90er-Jahren aus Nordamerika”, so Le. „Sie sind nicht auf den hiesigen Kontext zugeschnitten und liefern entsprechend schlechtere Ergebnisse. Studien zeigen: Die Trefferquote liegt bei nur rund 57 Prozent, sieben Prozentpunkte höher als ein Münzwurf.”
Nicht nur körperliche Angriffe sind Gewalt
Mit Lizzy soll das besser laufen. Gemeinsam mit den Opfern füllen die Einsatzkräfte vor Ort eine kurze Umfrage aus, bei denen es auch um weniger offensichtliche Anzeichen von Missbrauch geht. Das Tool errechnet dann eine Echtzeit-Risikostufe.
Und die ist sehr aussagekräftig, wie Le versichert: „Lizzy kann mit einer Trefferrate von 84 Prozent die Wahrscheinlichkeit von körperlicher Gewalt in den nächsten drei Monaten einschätzen.“ Darüber hinaus gebe es auch Modelle, die anzeigen, ob die Gefahr von sexueller, finanzieller und emotionaler Gewalt besteht – also etwa, ob die Betroffene von ihrem Partner manipuliert, erniedrigt oder stark abhängig gemacht wird.
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Bleibt bei Lizzy wirklich alles anonym?
Entwickelt wurde Lizzy zusammen mit Kriminologen der Universität Oxford und auf Grundlage deutschlandweit repräsentativer Daten, die im Jahr 2023 mit der Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums erhoben wurden. Die künstliche Intelligenz lernt ständig weiter. Können sich Betroffene da auch darauf verlassen, dass alle ihre Angaben anonym bleiben?
„Es werden keine persönlichen Daten wie Name oder Adresse erfasst“, erklärt Le. „Die Angaben lassen sich nicht auf eine Person zurückführen, außer jemand hätte gleichzeitig Zugriff auf interne Daten von Beratungsstellen oder Schutzunterkünften, was streng geschützt ist.“
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Gefährdungsanalysen „niemals Glaskugeln“
Dass Lizzy eine Situation auch mal nicht richtig einschätzt, kann nicht ausgeschlossen werden. „Gefährdungsanalyse-Tools werden niemals Glaskugeln sein“, stellt Le klar. Es gehe jedoch darum, den Prozess so verlässlich und präzise wie möglich zu gestalten. „Die Frage sollte daher sein: Wie viel öfters wird Lizzy im Vergleich zu anderen Tools oder Methoden richtig liegen?“
Momentan ist die KI bei Beratungsstellen, Frauenhäusern und Schutzunterkünften in acht Bundesländern in Einsatz. „Wir sind zudem in Gesprächen mit vereinzelten Landespolizeibehörden, damit die Polizei in Zukunft damit arbeiten kann“, so Le. Parallel arbeitet das Unternehmen an einem Modell, das sich auf das Risiko von Stalking konzentriert – denn das sei von Frauenhäusern besonders oft abgefragt worden, erklärt die Expertin.
Seid ihr von häuslicher Gewalt betroffen?
Gibt es auch in eurem Leben häusliche Gewalt? Unter der kostenlosen Nummer 08000 - 116 016 oder unter www.hilfetelefon.de findet ihr Menschen, mit denen ihr darüber sprechen könnt.