Einblicke bei der Bundespolizei
Teil 1: Ausbildung zum Personenbegleiter Luft: „Wir schieben ab“

Bundespolizisten wehren sich gegen Kritik
Rückführungen sind das politische Thema der Stunde und die Bundespolizei, die diese Aufgabe im Namen der Bundesrepublik umsetzen soll, gerät dabei automatisch mit in den Fokus der Öffentlichkeit. Kaum eine andere Stelle des Staates erfährt von ihren Gegnern härtere Kritik: Abschiebungen seien grausam und unmenschlich, es käme zum Einsatz von Polizeigewalt, so die Vorwürfe. Zwei junge Bundespolizisten wollen mit Vorurteilen aufräumen und erzählen, warum sie sich freiwillig dafür entschieden haben, Menschen aus Deutschland rückzuführen.
RTL begleitet Lehrgang und Abschiebung
Um die hochkomplexe Koordination von Rückführungen zu verstehen, haben RTL-Journalisten über Monate hinweg Gespräche mit Verantwortlichen im Bundespolizeipräsidium geführt, den Arbeitsalltag bei einer Rückführung begleitet und einen Lehrgang für „Personenbegleiter Luft“ besucht. Die meisten Gesprächspartner wollen und müssen anonym bleiben, zwei junge Bundespolizisten, Leonie und Cedric, haben sich jedoch bewusst dafür entschieden, Journalisten Einblicke in ihren Alltag zu gewähren, auch ihr Ausbildungsleiter Jochen steht den Journalisten als Gesprächspartner zur Verfügung. „Viele Bürgerinnen und Bürger haben ein falsches Bild davon, wie Rückführungen eigentlich ablaufen und welche hohen Anforderungen an uns durchführende Beamtinnen und Beamten gestellt werden“, so Bundespolizistin Leonie. Für die 23-jährige Beamtin und ihren gleichaltrigen Kollegen ist der Gang in die Öffentlichkeit nicht ohne Gefahr, denn wer als „Abschiebehelfer“ bekannt wird, setzt sich einem enormen persönlichen Risiko aus. Bundespolizisten wurden in der Vergangenheit an ihren Privatadressen aufgesucht und bedroht, weil Personen beispielsweise mit der Abschiebung eines Familienmitglieds nicht einverstanden waren. Auch kam es schon vor, dass Radmuttern an Dienstfahrzeugen gelockert wurden, um so gegen Abschiebungen zu protestieren. Eine Form des Protests, die Leben kosten könnte. Ein Großteil der Beamtinnen und Beamten erzählten daher nur ihrem engsten Familien- und Freundeskreis von ihrem Arbeitsalltag. „Vieles, was im Rahmen einer Rückführung passiert, geschieht daher jenseits der öffentlichen Wahrnehmung“, so Bundespolizist Cedric. Was die meisten Bürgerinnen und Bürger nicht wüssten: Rückführungen durchführen darf nicht jeder.
Hohe Anforderungen an Beamtinnen und Beamten
„Die Grundvoraussetzungen für die begleitenden Beamtinnen und Beamten sind u. a. ein besonders hohes Maß an Empathie und sehr gute Englischkenntnisse“, so Jochen, Ausbildungsleiter für die Personenbegleiter Luft. „Über diese erste Vorauswahl entscheiden Führungspersonen aus den eigenen Dienststellen.“ Nur besonders geeignete Beamtinnen und Beamten dürften dann den Weiterbildungslehrgang besuchen. „Hier prüfen wir diese Kompetenzen und entwickeln sie weiter.“ Der Lehrgang dauert drei Wochen und findet das ganze Jahr über wiederholt statt. „Auch viele Menschen aus meinem persönlichen Umfeld wussten gar nicht, dass wir extra geschult werden, wenn wir Rückführungen begleiten möchten“, erzählt Leonie. Die 23-jährige ist seit zwei Jahren bei der Bundespolizei in Hamburg. Normalerweise ist sie am Hauptbahnhof auf Streife oder zur Unterstützung auf St. Pauli oder bei Fußballspielen. „Ich möchte Menschen die Rückkehr in ihr Heimatland so angenehm wie möglich gestalten.“ Die Dienststelle des ebenfalls 23-jährigen Bundespolizisten Cedric ist am Frankfurter Flughafen, wo er und seine Kollegen für die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs sowie den Schutz der Sicherheit des Luftverkehrs zuständig sind. „Neben der Kontrolle der Einreise gehört die kontrollierte und manchmal eben auch begleitete Ausreise aus Deutschland auch zu den Aufgaben der Bundespolizei.“ Aus diesem Grund habe er sich für die Weiterbildung zum Personenbegleiter Luft entschieden.
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Bedarf an geschulten Beamten wird hoch bleiben
Mit Beginn der Flüchtlingswelle im Jahr 2015 gab es bundesweit rund 600 dieser speziell geschulten Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei. Inzwischen sind es mehr als 2.000. „Aktuell sind wir jetzt beim 93. Lehrgang beim Spezialisierungsbereich Rückführungen angekommen“, erzählt Ausbildungsleiter Jochen. „Und der Bedarf wird hoch bleiben.“ Pro Lehrgang werden meistens um die 15 Personen ausgebildet. Neben Bundespolizistinnen und -polizisten sind auch externe Teilnehmer dabei, beispielsweise Mitarbeiter von Zentralen Ausländerbehörden, aber auch Polizisten aus den Bundesländern und dem europäischen Ausland. In Leonies und Cedrics Gruppe beispielsweise zwei Polizisten aus Italien. Was auffällt: einige der Beamtinnen und Beamten im Lehrgang haben selbst Migrationshintergrund, haben beispielsweise Wurzeln in Afghanistan oder Sri Lanka. „Diese Kollegen verfügen natürlich über unschätzbare Sprach- und Kulturkenntnisse, die bei so einem Einsatz helfen können, gerade auch, um Situationen zu deeskalieren“, so Ausbildungsleiter Jochen. Und Deeskalation sei oberste Prämisse: „Es ist menschlich und verständlich, dass sich die Rückzuführenden in einer Ausnahmesituation befinden und dementsprechend emotional reagieren.“ In rund 80 Prozent der Fälle könnten die Beamtinnen und Beamten jedoch allein durch Worte und gutes Zureden die aufgeheizte Situation wieder beruhigen. „Sobald man den Rückzuführenden in die Augen schaut und mit ihnen sehr ruhig und empathisch umgeht, ist eigentlich in den meisten Fällen alles gut“, so Jochen. Wer keinen menschlichen Umgang mit den Abzuschiebenden hinbekomme, müsse den Lehrgang verlassen.
Ein wichtiger Teil der Ausbildung liegt daher auf der interkulturellen Kompetenz und Kommunikation: welche Unterschiede gibt es in Bezug auf Körpersprache oder die Lautstärke der Stimme? „Etwas, was in Deutschland unhöflich und bedrohlich wirkt, kann in anderen Teilen der Welt völlig normal sein“, erzählt Bundespolizist Cedric. Wichtig sei daher die permanente kommunikative Ansprache des Rückzuführenden. „Wir klären unser Gegenüber über alle Schritte, die wir gemeinsam gehen, auf. Wenn wir jemanden beispielsweise fixieren müssen, weil er Widerstand leistet, dann erklären wir der Person, dass wir dies zu seiner oder ihrer eigenen Sicherheit machen, um mögliche Verletzungen zu verhindern.“ Kollegin Leonie ergänzt: „Es gibt keine Abschiebung um jeden Preis. Das Wohlergehen der Rückzuführenden steht über allem anderen.“
„Ich kann die Verzweiflung des Anderen durchaus verstehen.“ – Bundespolizistin Leonie
Auf einer menschlichen Eben sei die Verzweiflung der Rückzuführenden zu verstehen. Auch hierauf werden die Personenbegleiter Luft in Rollenspielen vorbereitet, einer der Ausbilder übernimmt dann die Rolle des Abzuschiebenden. „Manche wehren sich mit Händen und Füßen, setzen Gewalt und alle vorhandenen Körperflüssigkeiten gegen die Beamten und das Umfeld ein.“ Piloten von Linienflugzeugen würden dann auch mal die Mitnahme verweigern. Auch käme es immer wieder vor, dass auf Linienflügen mitreisende Passagiere die Abschiebung verhindern wollen, weil sie Mitleid mit der abzuschiebenden Person hätten. „Wir erklären dann den Menschen, dass man „nicht einfach so“ abgeschoben wird: in allen Fällen hat es zuvor eine oder mehrere Aufforderungen gegeben, Deutschland freiwillig zu verlassen“, so die junge Polizistin. Davor hat eine Behörde die Entscheidung getroffen. Meist ein Gericht diese noch überprüft. Wenn Freiwilligkeit jedoch nicht fruchtet, ist die Rückführung durch die Bundespolizei der allerletzte mögliche Schritt. „Erst dann wird die Ausreisepflicht durch Begleitung umgesetzt, da ist von unserer Seite keine Willkür im Spiel. Das wissen viele Bürgerinnen und Bürger nicht.“
Rückführungsprozedere wurde vollständig überarbeitet
Im Jahr 1999 kam es zum bislang einzigen Todesfall während einer Rückführung. Der Sudanese Aamir Ageeb hatte während des Flugs starken Widerstand geleistet und wurde von den begleitenden Polizisten mit seinem Kopf zwischen die Knie gedrückt, wobei seine Atemwege blockiert wurden und er erstickte. „Dieser schreckliche Vorfall gab den Anlass für eine komplette Überarbeitung des Rückführungsprozederes und die Entwicklung neuer Techniken“, so Ausbildungsleiter Jochen. „Wir bringen den Beamtinnen und Beamten bei, mit Techniken zu arbeiten, die die Gliedmaßen des Rückzuführenden kontrollieren, so dass das Gegenüber keine Möglichkeit hat, seine eigene Muskelkraft gegen unsere Beamten anzuwenden.“ In der Regel bilden zwei bis vier Beamte ein so genanntes „Escort-Team“, welches einen Rückzuführenden begleitet. „Zwei Kollegen sichern jeweils eine Seite der Person, der Dritte ist in erster Linie für die Kommunikation mit der Person zuständig und sichert die Person von hinten“, erklärt Bundespolizist Cedric. Wenn der Widerstand besonders groß sei, käme noch ein vierter Kollege hinzu.
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„Wir versuchen, so lange es geht, alles kommunikativ zu lösen“
„Wenn wir eine begleitete Ausreise durchführen, sind wir in zivil unterwegs“, erzählt Leonie. „Unsere Dienstwaffen haben wir im Ausland nicht dabei und auch sonst nur wenige Führungs- und Einsatzmittel.“ Neben der eigenen Körperkraft kommen zum Beispiel eine Spuckschutzhaube, Plastikhandfesseln oder ein speziell entwickelter „Festhaltegurt“ zum Einsatz. Letzterer wird auf der Rückseite mit Hilfe eines robusten Schlosses verschlossen, die Hände des Rückzuführenden werden an flexibel einstellbaren Schlaufen fixiert und können bis zu einer Länge von rund 50 cm „freigegeben” werden. Auf diese Weise sind Toilettengänge möglich, aber auch selbstständiges Essen und Trinken. Um das Verletzungsrisiko so gering wie möglich zu halten, versuche man, eine möglichst umfangreiche Sicherung zu betreiben. „Aus fast allem kann man, wenn der Wille da ist, eine Waffe machen und diese gegen sich selbst oder andere einsetzen: Toilettenspiegel, WC-Bürsten, Handyhüllen oder Panzerglasfolien vom Handy. Auch eingenähte Rasierklingen haben wir schon gefunden.“ Auf dem Trainingsgelände befindet sich daher eine nachgebaute Hafteinrichtung, inklusive Zelle, Empfangsbereich und Vernehmungsraum. Ausbilder verstecken Nadeln und andere potentiell gefährliche Gegenstände, die die angehenden Personenbegleiter Luft finden und entfernen müssen. „Ein Telefonhörer mit Kabel kann lebensgefährlich und am Ende der Grund für eine abgebrochene Rückführung sein.“ Auch der Nachbau einer Flugzeugkabine und einer Schleuse im Sicherheitsbereich sind vorhanden. „Beim Einsteigen ins Flugzeug sind die Escort-Teams angehalten, den Kopf des Rückzuführenden besonders zu schützen“, so Jochen. Die beengten Verhältnisse im Inneren des Flugzeugs böten die Gefahr, sich beispielsweise beim Hinsetzen an den Gepäckablagen selbst zu verletzten. Auch hierfür werden die Personenbegleiter Luft sensibilisiert. Die Vorstellung, dass Rückführungen brachial und voller Gewalt seien, stimme nicht. „Wir versuchen, so lange es geht, alles kommunikativ zu lösen.“