Hohe Belastung durch gestiegene Kosten

Kinderreiche Familien leben am Limit: „Das ist gravierend, das ist Armut"

PRODUKTION - 09.02.2023, Nordrhein-Westfalen, Mülheim an der Ruhr: Großfamilie Nagel: Kai, Vater Mario, Mutter Marion, Marco, Lilly, Timo, Lars und Nico, steht in ihrer Küche auf deren Arbeitsplatte ihre Vorräte liegen. In etwa jeder achten Familie in Deutschland werden drei oder mehr Kinder groß. Wie lebt es sich mit sechs oder sogar neun Sprösslingen? Und wie kommen XL-Familien über die Runden, seit die Preise für Lebensmittel und Energie so stark klettern? (zu dpa "Weniger Ausflüge, Joghurt als Luxus? Kinderreiche Familien am Limit") Foto: Bernd Thissen/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung über Großfamilie Nagel +++ dpa-Bildfunk +++
Mario und Marion Nagel haben sechs Kinder und sparen, wo immer sie können
bt sab, dpa, Bernd Thissen

Mutter, Vater, sechs Kinder - geht es zum Einkaufen, ist der Wagen immer bis oben hin randvoll. Der Familie Nagel reichten im Jahr 2021 monatlich noch 1.150 Euro für Hygieneartikel und Lebensmittel, 2022 brauchte die Familie dafür 1.400 bis 1.500 Euro. Die seit Monaten anhaltende Inflation trifft Haushalte mit vielen Kindern überproportional stark. In etwa jeder achten Familie in Deutschland werden drei oder mehr Kinder groß.

"Vielen sind keine gemeinsamen Aktivitäten mehr möglich"

Mario Nagel arbeitet bei einer Landesbehörde, seine Frau Marion ist Grundschullehrerin. „Es geht noch relativ gut mit unseren zwei Vollzeiteinkommen. Aber wir merken, dass alles teurer wird“, schildert der Familienvater. Die Schule, in der Marion Nagel tätig ist, liegt in einem sozial benachteiligten Viertel. Dort stellt sie fest: „Die Kinder haben kein Obst und Gemüse mehr dabei. Die Familien haben kein Geld dafür. Und vielen sind auch keine gemeinsamen Aktivitäten mehr möglich“, erzählt die 44-Jährige. „Das ist gravierend, das ist Armut. Zumindest bei gesunden Lebensmitteln müssten die Preise dringend gesenkt werden, zum Beispiel über die Mehrwertsteuer.“

Aber auch die Familie Nagel selbst spart. Die Temperatur im Haus ist um zwei Grad heruntergeregelt. Auch die Waschmaschine läuft bei gesenkter Gradzahl. Die enorm gestiegenen Spritkosten belasten die Familie nicht so sehr, denn alle sind in dem Ballungszentrum möglichst mit Bus, Bahn und Fahrrad unterwegs.

"Wir müssen sehr die Zähne zusammenbeißen"

ARCHIV - 31.01.2017, Nordrhein-Westfalen, Paderborn: ILLUSTRATION - Münzen im Wert von fünf Euro liegen in einer Hand über einem Portemonnaie. Ab dieser Woche können rund 150 Millionen Euro für Menschen in sozialen Notlagen an die Kommunen in Nordrhein-Westfalen fließen. Das Geld solle helfen, Auswege aus Notlagen zu finden, sagte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf. (zu dpa: «150 Millionen jetzt abrufbereit zur Armutsbekämpfung in NRW») Foto: Friso Gentsch/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Viele Deutsche müssen aktuell "jeden Cent zweimal umdrehen"
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Auf dem Land läuft hingegen fast nichts ohne Auto. Der Familie Vockeroth, die ländlich in der Nähe der bayerischen Grenze wohnt, tun die hohen Spritkosten weh, wie Dachdecker- und Zimmermeister David Vockeroth erzählt. Seine Frau Nicole ist Polizeibeamtin. Bisher reichten die zwei Gehälter so gerade. Nun ist es für die Vockeroths - drei Mädchen, sechs Jungen zwischen zwei und 22 Jahren - wirklich eng.

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Bei einem sparsamen Einkauf für eine Woche kamen sie früher mit 120 bis 150 Euro für das Allernotwendigste aus. „Jetzt liegen wir weit über 200 Euro.“ Urlaub machen die Acht schon seit Jahren auf dem Bauernhof oder sie gehen Wandern - nicht kostenintensiv. Marion Nagel betont: „Schade, dass viele sagen, dass sie keine Kinder wollen.“ Ohne Kinder werde es künftig keine Leistungen mehr aus den Sozialsystemen - Krankenversicherung oder Rente - geben. Das Paar fände es fair, das bei aktuellen Berechnungen zu berücksichtigen, etwa mit einem Renteneintrittsalter gestaffelt nach Kinderzahl.

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1,3 Millionen Mehrkindfamilien bundesweit

Fakt ist: Neben Kindern in alleinerziehenden Familien sind in Deutschland vor allem Jungen und Mädchen in Mehrkindfamilien armutsgefährdet. Das zeigen Studien immer wieder. Auch zu den Tafeln kommen viele Eltern mit mehreren Kindern, weiß der NRW-Landesverband. Dabei sind Mehrkindfamilien Leistungsträger der Gesellschaft und tragen erheblich dazu bei, dass der Generationenvertrag der solidarisch organisierten Sozialversicherungssysteme funktioniert, wie auch der Verband kinderreicher Familien Deutschland (VKFD) unterstreicht. Es gebe rund 1,3 Millionen Mehrkindfamilien bundesweit - Familien mit drei oder mehr Kindern. Das entspreche etwa jeder achten Familie. Die Politik müsse mehr für sie tun, mahnt VKFD-Chefin Elisabeth Müller. (dpa/mmü)

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