Mobbing, Personalmangel und fehlende Aufsicht auf Geburtsstationen

Untersuchungsbericht zu Shrewsbury-Geburtsskandal: 201 Babys und 9 Mütter könnten noch leben

Das Ergebnis des Untersuchungsberichts ist verheerend: 201 Babys und neun Mütter hätten überleben können, wenn in Krankenhäusern der Region Shrewsbury und Telford nahe Birmingham nicht so viele Fehler gemacht worden wären. Über Jahre sollen auf der Geburtsstation massive Fehler passiert sein – mit katastrophalen Folgen. Es dauerte Jahre, bis der Skandal ans Licht kam, offenbar auch, weil die Verantwortlichen in vielen Fällen den Müttern die Schuld gaben, wenn etwas nicht nach Plan lief – in einigen Fällen wurden die Frauen sogar für den eigenen Tod verantwortlich gemacht. Dabei waren es wohl Personalmangel und das Fehlen von Aufsicht und Fortbildungen, durch die Mütter und Kinder unnötig leiden mussten.

Mobbing auf Geburtsstationen: Mitarbeiter trauen sich nicht, Fehler zu melden

Chefhebamme Donna Ockenden, die mit der Untersuchung beauftragt wurde, hat sich mit ihrem Team rund 1.600 Zwischenfälle in Kliniken des Betreibers „Shrewsbury and Telford Hospital NHS Trust“ innerhalb der letzten 20 Jahre noch einmal genauer angeschaut. Sie ist sich sicher, dass viele Kinder hätten gerettet werden können, wenn sie vor, während und nach der Geburt besser versorgt worden wären.

„Es gab nicht genug Personal, es gab einen Mangel an Fortbildungen, es fehlte an effektiven Untersuchungen und Führung beim Klinikbetreiber“, kritisiert die Gutachterin. Auf den Geburtsstationen habe außerdem ein Klima der Angst geherrscht. Mobbing innerhalb des Personals sei bis heute an der Tagesordnung. Mitarbeiter hätten darum Angst, Fehler zu melden.

Shrewsbury: Betroffene Familien kämpfen seit Jahren für Gerechtigkeit

Außerdem sei den betroffenen Familien nicht richtig zugehört worden. Ockenden berichtet von der Mutter der kleinen Olivia. Nach dem Tod des Babys habe sie immer wieder versucht, auf die Fehler aufmerksam zu machen, die während der Geburt passiert waren. Aber niemand habe sich verantwortlich gefühlt und nichts sei passiert. „Sie hat sich gefühlt, wie eine einsame Stimme im Wind“, so die Vorsitzende des Untersuchungskomitees auf einer Pressekonferenz. So wie ihr sei es vielen Eltern ergangen.

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Geburtsskandal in England: Müttern soll Kaiserschnitt verweigert worden sein

Das habe dazu geführt, dass Fehler immer wieder passiert seien, ohne dass jemand etwas an den Abläufen auf den Geburtsstationen verändert hätte. Ockenden erklärte, dass es bei 40 Prozent der Totgeburten zwischen 2011 und 2019 keine Untersuchung gegeben habe. Auch 43 Prozent der Fälle, in denen Neugeborene kurz nach der Geburt gestorben waren, seien anschließend nicht überprüft worden. „Ohne Untersuchung, können wir auch nicht verstehen, was schief gelaufen ist, und wir können daraus auch nicht lernen“, erklärte die Hebamme.

Doch genau das war offenbar System in den betroffenen Kliniken: Mütter berichten, sie seien gezwungen worden, natürlich zu gebären – offenbar weil das Krankenhaus die Kaiserschnittrate niedrig halten wollte. Risikoschwangerschaften seien nicht richtig erkannt worden und auch die Herzfrequenz sei bei vielen Kindern vor der Geburt nicht richtig überwacht worden. Babys erlitten massiven Sauerstoffmangel, andere kamen mit schweren Schädelverletzungen oder Knochenbrüchen zur Welt – all das wäre durch eine bessere Versorgung nicht sein müssen.

94 Babys erlitten vermeidbare Hirnschäden

Die Untersuchungskommission entdeckte nicht nur die 201 Todesfälle bei Babys, die hätten verhindert werden können. 94 weitere Kinder hätten vermeidbare Hirnverletzungen erlitten – ausgelöst durch Kunstfehler des Klinikpersonals, so der Bericht. Darin enthalten ist auch eine Liste mit 60 Vorschlägen, wie die Gesundheitsversorgung von werdenden Müttern und Neugeborenen in England verbessert werden kann. Denn die Gutachter glauben, dass es auch in anderen Kliniken ähnliche Missstände geben könnte. (jgr)