Über 1.800 Verdächtsfälle wurden untersucht
Hunderte Babys im Krankenhaus von Shrewsbury tot: "Kate starb in meinen Armen"

Noch zwei Tage, dann wird ein Untersuchungsbericht zu einer Klinik im britischen Shrewsbury veröffentlicht, der es in sich haben dürfte. Schon jetzt zeichnet sich ein Skandal historischen Ausmaßes ab, denn auf der Entbindungsstation des Krankenhauses sollen Hunderte Babys massive Hirnschäden erlitten, unter oder kurz nach der Geburt gestorben sein, weil das Personal eklatante Fehler machte. Insgesamt 1.862 Verdachtsfälle zwischen 2000 und 2019 wurden untersucht. Einer von ihnen ist der Fall der kleinen Kate Stanton Davies. Sie wurde nur sechs Stunden alt. Ihr Tod wäre vermeidbar gewesen, sind sich ihre Eltern sicher.
Hinterbliebene Mutter: "Ich sehe mir mein wunderschönes Mädchen an und vermisse sie"
Vor dreizehn Jahren kam das Mädchen im „The Shrewsbury and Telford Hospital NHS Trust“ zur Welt. Sie war schwerkrank, das Personal habe dies jedoch nicht erkannt, bis es zu spät war. „Als Kate sechs Stunden alt war, starb sie in meinen Armen“, erinnert sich ihr Vater Richard Staton im Interview mit „Sky News“. „Meine prägendste Erinnerung ist die, wie Rhiannon auf der Neugeborenenstation ankam und ich ihre Schreie hörte. In ihrem Herzen wusste sie bereits, das Kate gestorben ist.“
Mutter Rhiannon Davies ist sich sicher: "Es wurden so viele Fehler während meiner Schwangerschaft, während der Wehen und in den ersten Stunden ihres Lebens gemacht, so viele Fehler. Kates Tod war vermeidbar.“ Noch immer betrachte sie Tag für Tag ein Foto von sich und ihrer Tochter, die sie nur so kurz im Arm halten durfte. "Ich sehe mir mein wunderschönes Mädchen an und vermisse sie.“
Mitarbeitende sollen Angst gehabt haben, auf Missstände aufmerksam zu machen

In der Klinik habe „eine Kultur der Angst“ geherrscht, wie ein Whistleblower „Sky News“ sagte. Bernie Bentick, der fast dreißig Jahren beratender Geburtshelfer in dem Krankenhaus gewesen ist, sprach von einer "institutionalisierten Mobbing- und Schuldzuweisungskultur". Mitarbeitende hätten sich „nicht getraut, ihre Meinung zu äußern, weil sie Gefahr liefen, schikaniert zu werden". Seit 2009 habe er selbst Bedenken bei den Verantwortlichen geäußert. Seiner Meinung nach habe die Leitung die Sicherheit aktiv gefährdet, etwa weil es zu viele Patientinnen und zu wenig Personal gegeben habe.
Darüber hinaus soll die Klinik dem vorläufigen Untersuchungsbericht vom Dezember 2020 zufolge Babys nach der Geburt nicht richtig überwacht und von Familien geäußerte Bedenken ignoriert haben. Grundsätzlich habe es an Freundlichkeit und Mitgefühl gemangelt. Die Kaiserschnitt-Rate soll extra niedrig gehalten, Frauen sogar ein Eingriff verweigert worden sein - selbst, wenn ein solcher medizinisch induziert gewesen wäre. Wie "Sky News" schreibt, hätte diese restriktive Politik Leben gekostet.
Frau wollte Kaiserschnitt, Arzt verweigerte den Eingriff - das Baby starb
Manpreet Uppal wäre heute 19 Jahre alt. Er starb nur zwei Stunden nach seiner Geburt. Seine Mutter Kamaljit Uppal bewahrt noch immer die ungetragene Babykleidung auf, die sie für ihn gekauft hatte. Sie erinnert sich genau an den Tag, an dem sie mit Wehen ins Krankenhaus von Shrewsbury kam. "Das Erste, was ich an der Tür sagte, war, dass ich einen Kaiserschnitt haben möchte", sagte sie „Sky News“. Denn das Baby habe sich in Steißlage befunden. Doch der Arzt habe nur gemeint: „Nein, Sie sind in Ordnung. Machen Sie einfach mit der Entbindung weiter.“
Dann blieb ihr Sohn im Geburtskanal stecken. „Ein Arzt drückte ihn, während der andere Arzt ihn zog. Schließlich holten sie ihn per Kaiserschnitt. Aber es war zu spät. Er war ganz schlaff. Das war's. Mir wurde nie etwas Genaueres gesagt, bis ich meine Unterlagen einsah." Monate später habe es ein niederschmetterndes Treffen mit einem Facharzt gegeben. "Er sagte, dass man die falsche Entbindungsmethode gewählt habe", sagte Uppal. "Wenn das Baby bereits in den frühen Morgenstunden, also um Viertel vor vier, entbunden worden wäre“, hätte es ein normales Leben führen können. Das Krankenhaus habe sich weder entschuldigt, noch die Verantwortung für den Tod des kleinen Manpreet übernommen. Stattdessen habe man Kamalijit gesagt: „Wenn du über diese Schwangerschaft hinwegkommen willst, dann werde wieder schwanger.“
Krankenhaus übernimmt volle Verantwortung für "Mängel in der Betreuung"
2017 wurde die unabhängige Hebamme Donna Ockenden vom damaligen Gesundheitsminister Jeremy Hunt gebeten, 23 besorgniserregende Fälle im Trust zu untersuchen. Seither haben sich Hunderte weitere Familien gemeldet, die Zahl der untersuchten Fälle stieg auf 1.862. Am Mittwoch nun soll der lang erwartete Bericht veröffentlicht werden.
Rhiannon Davies, Richard Stanton und Kamaljit Uppal hoffen wie so viele andere hinterbliebene Mütter und Väter, dass die unabhängige Untersuchung ein wenig Klarheit bringt, einen Funken Gerechtigkeit. Und dass sie zu einer Verbesserung der Qualität von Entbindungsstationen im ganzen Land führt. Dafür haben sich die Eltern von Kate seit ihrem Tod eingesetzt. Nun müssten endlich die politisch Verantwortlichen sicherstellen, dass so etwas nie wieder passiere – und auch, dass es nicht länger „die trauernden Eltern sein müssen, die eine solche Tragödie aufdecken", so Richard Stanton.
Eine Sprecherin des Krankenhauses sagte, man übernehme „die volle Verantwortung für die Mängel in der Betreuung unserer Entbindungsstation und entschuldigen uns aufrichtig für all das Leid und den Schmerz, den dies verursacht hat“. Es seien große Fortschritte bei der Verbesserung der Qualität und der Sicherheit gemacht worden. „Dazu gehört auch die Förderung einer offenen und ehrlichen Kultur im Trust, mit erweiterten und verstärkten Möglichkeiten für Kollegen, Bedenken zu äußern, die dann umfassend untersucht und behandelt werden können.“ (cwa)