Dominant wie die größten Sünder

Tour de France: Pogacar, das Phänomen-Problem

 SAINT-EMILION, FRANCE - JULY 17 : POGACAR Tadej SLO of UAE TEAM EMIRATES during stage 20 of the 108th edition of the 2021 Tour de France cycling race, an individual time trial stage of 30,8 kms between Libourne and Saint-Emilion. on July 17, 2021 in Saint-Emilion, France, 17/07/2021 CYCLISME : Tour de France 2021 - Etape 20 - Libourne to Saint-Emilion - 17/07/2021 PHOTONEWS/PANORAMIC PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY
Tadej Pogacar.
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Von Tobias Nordmann
Die Tour de France hat einen neuen Dominator: Tadej Pogacar. Der 22 Jahre alte Slowene gewinnt zum zweiten Mal in Folge die Frankreich-Rundfahrt. Die Art seiner Dominanz ist phänomenal. Aber das ist im Radsport leider nichts, worüber man sich freuen sollte.

Er ist der beste Radprofi der Welt

Wenn Tadej Pogacar auf seiner Rennmaschine sitzt, dann sieht Radfahren so elegant aus, so leicht, so kraftvoll, spektakulär. So verdächtig. Tadej Pogacar wird an diesem Sonntag zum zweiten Mal in Folge die Tour de France gewinnen. Er nimmt indes nicht nur das Gelbe Trikot (der textile Beleg des Triumphs) mit in seine Heimat, der junge Slowene packt auch noch das Weiße Trikot (bester Jungprofi) und das rot-weiß gepunktete Leibchen mit. Es weist ihn als besten Mann am Berg aus. Der 22-Jährige erhielt all diese Ehrungen völlig zurecht. Er ist wieder der stärkste Radprofi der Welt. Er hat die Frankreich-Rundfahrt dominiert. Und wie er das tat, das ist durchaus ein Problem. Denn Dominatoren sind oft Sünder beim wichtigsten und legendärsten Etappenrennen der Welt, das zeitweise so dopingverseucht war, dass es zwischen 1999 und 2005 keinen offiziellen Sieger mehr führt.

Doping-Verdacht hält sich hartnäckig

Pogacar kennt die ganzen Geschichten. Natürlich kennt er sie. Jeder kennt sie. Nicht nur Radsport-Fans. Wilde Ritte durch die Berge, gnadenloses Bolzen im Einzelzeitfahren, die großen Geschichten waren stets mit übergroßen Leistungen verbunden. Allzu oft musste über die Legenden aber gerichtet werden. Doping! Und wenn nun einer wie dieses Super-Talent Pogacar alle vorführt, mit seinen Gegnern am Berg scheinbar spielt, im knallharten Duell am Limit sogar ganz leicht lächelt (manche Beobachter schreiben ihm diese Emotion zu), dann fährt der Verdacht eben mit. Nicht als flüchtiger Schatten. Sondern als omnipräsenter Begleiter. So begnadet dieser Mann auch sein mag. So gut, so optimal seine Physis mit seinen 1,76 Metern und 66 Kilogramm auch sein mag.

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"Ich verstehe die Fragen"

 SAINT-EMILION, FRANCE - JULY 17 : POGACAR Tadej SLO of UAE TEAM EMIRATES during stage 20 of the 108th edition of the 2021 Tour de France cycling race, an individual time trial stage of 30,8 kms between Libourne and Saint-Emilion. on July 17, 2021 in Saint-Emilion, France, 17/07/2021 CYCLISME : Tour de France 2021 - Etape 20 - Libourne to Saint-Emilion - 17/07/2021 PHOTONEWS/PANORAMIC PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY
Pogacar ist derzeit der schnellste Rad-Profi der Welt.
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Pogacar geht mit dem schwellenden Verdacht bislang offensiv und höflich um. In der vergangenen, der letzten Tour-Woche hatte er noch gesagt: "Ich bin nicht verärgert oder angepisst. Es sind unbequeme Fragen, weil die Geschichte unseres Sports sehr schlecht ist. Ich verstehe die Fragen. Ich habe dafür keine Antworten vorbereitet, weil ich es einfach liebe, auf meinem Fahrrad zu fahren." Er könne nur "aus ganzem Herzen" sagen, "dass ich aus einer guten Familie komme." Als allgemeingültige Entlastung für Betrugsvorwürfe geht das selbstverständlich nicht durch. Allerdings gilt auch bei Pogacar das Grundrecht: Jeder ist unschuldig, solange nicht das Gegenteil bewiesen wurde.

Viele Kontrollen bei Pogacar

Und eben das sieht der Slowene eigentlich längst als bewiesen an. "Ich werde sehr viel kontrolliert. Gestern zum Beispiel wurde ich dreimal kontrolliert - zweimal vor dem Rennen und einmal danach. Ich denke, wir haben genug Kontrollen, um den Leuten zu zeigen, dass ihre Zweifel falsch sind. Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Ich könnte meine Wattdaten offenlegen, aber die könnten meine Konkurrenten gegen mich verwenden", sagte der Titelverteidiger während dieser "Großen Schleife". Der Chefmediziner seines UAE-Teams, Jeroen Swart, sprang ihm auch bei: "Man versucht, ein Negativ zu beweisen und das ist nicht möglich. Was soll Tadej anderes sagen?", ärgerte er sich im Interview mit "Cyclingnews".

"Der Manager ist ein Mann von schlechtem Ruf."

Die nicht auszuräumenden Zweifel an den phänomenalen, an den brutal dominanten Leistungen des Slowenen sind dabei auch selbst verantwortet. In seinem engeren Umfeld arbeiten Leute, die sich einen zweifelhaften Ruf erworben haben. Etwa sein Sportdirektor Andrej Hauptman. Der war 2000 wegen verdächtiger Blutwerte von der Tour ausgeschlossen worden. Oder aber Teammanager Mauro Gianetti, der sowohl als Aktiver wie auch als Manager äußerst umstritten war. Als Fahrer wurde ihm 1998 vorgeworfen das Dopingmittel Perfluorocarbon verwendet zu haben.

Er kämpfte nach einem Zusammenbruch im Rennen im Krankenhaus mehrere Tage um sein Leben. Zehn Jahre später war das von ihm gemanagte Team Saunier Duval-Prodir um Riccardo Riccò in mehrere Dopingskandale verwickelt. Tour-de-France-Direktor Christian Prudhomme sagte über Gianetti: "Der Manager ist ein Mann von schlechtem Ruf." Der Schweizer galt eine Zeit lang als unerwünschte Person bei der Tour. Und dann ist da ja noch Pogacars Arzt und Trainingsplaner Inigo San Millan, der für seine eher experimentellen Methoden, Mittel und Ansätze bekannt ist. Das Umfeld Pogacars, so viel ist unstrittig, hat nicht die besten Lebensläufe.

Besondere Trainingsmethoden sollen es sein

Tatsächlich beruft sich das Umfeld des Ausnahmeathleten auf besondere Trainingsmethoden. So etwas macht man ja oft, um Außergewöhnliches, um Unbegreifliches begreiflich zu machen. Beim Slowenen werde viel Wert auf die bessere Ausnutzung von Mitochondrien gelegt. Die Kraftwerke der menschlichen Zellen produzieren ATP. Das Molekül ist der große Energieträger in unserem Körper. Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt dazu, dass sich Experten wie der Sportwissenschaftler Perikles Simon über solch besondere Methoden prächtig amüsieren.

Für sie ist das seit 100 Jahren bekanntes Basiswissen (sogar für jeden Rad-Amateur) und überhaupt nicht geeignet, irgendwelche Wunderdinge herzuleiten. Schon eher taugt da die Behauptung des Einsatzes von sogenanntem Motordoping. Drei namentlich nicht genannte Tour-Starter berichten in der Schweizer Zeitung "Le Temps" über akustische Auffälligkeiten an den Rädern von vier Teams, darunter auch UAE Emirates, die Equipe von Pogacar. "Da ist so ein seltsames Geräusch, wie eine schlecht eingestellte Kette. Das habe ich noch nie gehört", sagte ein Fahrer. Nun, Pogacar sagt: Er höre nichts.

Pogacar fährt anders als Froome zuvor

 British Chris Froome of Israel Start-Up Nation pictured during the first rest day during the 108th edition of the Tour de France cycling race, 144,9km from Cluses to Tignes, France, Monday 05 July 2021. This year s Tour de France takes place from 26 June to 18 July 2021. DAVIDxSTOCKMAN PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY x3027506x
Chris Froome konnte die Tour vier Mal gewinnen.
www.imago-images.de, imago images/Belga, DAVID STOCKMAN via www.imago-images.de

Pogacars Wunderdinge haben bei dieser Tour absolut beängstigende Züge angenommen. Wie er seine letzten Herausforderer, den Dänen Jonas Vingegaard und den Ecuadorianer Richard Carapaz, auf den wilden Jagden durch die Pyrenäen an den Schlussanstiegen dominiert hatte, wie er in der letzten Tour-Woche doch noch zwei Etappensiege in den Bergen (einen hatte er sich bereits im Zeitfahren auf der 5. Etappe gesichert) einfuhr, das war schon absurd. Das war leicht. Das war spielerisch. Ehe seine Verfolger überhaupt ausholen konnten, setzte Pogacar die Attacken einfach selbst.

Er ist nicht der Typ Chris Froome, der einmal zum großen Schlag ausholte und seinen Vorsprung dann mit perfekter Strategie ins Ziel brachte. Er ist ein offensiver, ein aggressiver Fahrer. Auch in seinen selbstbewussten Ansagen. Während der zehrenden Zeit in den Pyrenäen sagte er etwa: "Ich fühle mich gut, das ist Pech für die anderen."

Zweiter Sieg der Tour de France

Diese unersättliche Art haben Pogacar vor der letzten Etappe nach Paris, dort wird das Gelbe Trikot traditionell nicht mehr attackiert, einen Vorsprung von 5.20 Minuten auf Vingegaard eingebracht und sogar 7.03 Minute auf Richard Carapaz. Einen Großteil davon fuhr der 22-Jährige auf der völlig verregneten 8. Etappe raus, als sich seine Mannschaft am Berg im höchsten Tempo komplett geopfert hatte und er die Gruppe der Favoriten 30 Kilometer vor dem Ziel mit einem monströsen Antritt düpierte. Den Sieg auf dem Teilstück verpasste er zwar, den machten die Ausreißer unter sich aus (am Ende siegte Dylan Teuns), ohnehin waren ihm die drei Minuten Vorsprung auf die Konkurrenz wichtiger. Und das Übernehmen der Gesamtführung.

Es ist müßig darüber zu spekulieren, was passiert wäre, wenn sein Landsmann Primoz Roglic die Tour nicht hätte frühzeitig aufgeben müssen. Schwere Sturzverletzungen zwangen ihn zum Rückzug. Roglic galt als der große Konkurrent. Angesichts von Pogacars Gier und Kraft ist indes kaum vorstellbar, dass es in diesem Jahr erneut einen so dramatischen Kampf wie im vergangenen gegeben hätte, als das Gelbe Trikot vom alten Slowenen Roglic (31) auf den jungen Slowenen Pogacar im Bergzeitfahren gewechselt war.

Er erinnert an Armstrong

Der Spitzname "Pogacarmstrong" war dem Dominator nach seinen bemerkenswerten Leistungen bei der Regenschlacht in den Alpen (8. Etappe) und am Mont Ventoux - wo er nach einem Antritt von Vingegaard geschwächelt, sich aber mit einer mutigen Abfahrt wieder herangekämpft hatte - verhängt worden. Es ist alles andere als ein schmeichelnder Name. Armstrong, an den Pogacar wegen seiner Explosivität erinnert, steht für den immer noch größten Doping-Betrug der Tour-Geschichte. "Seit ich in die Tour gestartet bin, ist es ein Spiel für mich. Ich genieße es, zu spielen", sagt Pogacar. Es ist auch ein Spiel mit den Zweifeln und Zweiflern. Viele haben dieses Spiel in der Vergangenheit verloren.