Angst bei Tour de France-Stars

"Es wird irgendwann Tote geben"

Massencrash bei der Tour de France 2021
Massencrash bei der Tour de France 2021
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Tag vier bei der Tour de France – und schon so mancher kommt an seine Grenzen. Das Fahrerfeld wirkt wie ein Sanatorium auf Ausflug. Mitfavorit Primoz Roglic rollte dick bandagiert zum Start in Redon, Ex-Champion Geraint Thomas mühte sich mit aus- und wieder eingekugelter Schulter aufs Rad, auch Bora-Star Peter Sagan trug deutliche Male der Sturzorgie vom Vortag am Körper. Ein Wahnsinn auf zwei Rädern. Deshalb ist eins nur völlig verständlich: Die Fahrer fordern lautstark neue Sicherheitsmaßnahmen.

Deutscher Tour-Star fordert mehr Entscheidungen aus Sicht der Fahrer

Die völlig aus dem Ruder gelaufene Sprint-Etappe von Pontivy ließ harsche Forderungen nach mehr Sicherheit für die Profis aufkommen. "Wenn wir nichts ändern, wird es irgendwann Tote geben", sagte der französische FDJ-Teamchef Marc Madiot. Und hatte das Fahrerfeld auf seiner Seite.

"Wer auch immer dieses Finale entworfen hat, sollte mal mit 180 Fahrern um den Etappensieg fahren", schimpfte Sprint-Routinier Andre Greipel: "Man muss sich fragen, wo diese Sicherheitskommissäre sind."

 PONTIVY, FRANCE - JUNE 28 : GREIPEL Andre GER of ISRAEL START-UP NATION during stage 3 of the 108th edition of the 2021 Tour de France cycling race, a stage of 183,5 kms between Lorient and Pontivy on June 28, 2021 in Pontivy, France, 28/06/2021 CYCLISME : 108e edition Tour de France 2021 Etape 3 - Lorient to Pontivy - 28/06/2021 PhotoNews/Panoramic PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY
Andre Greipel
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Stürze wäre zu verhindern gewesen

Der Zorn entzündete sich an der Streckenführung der letzten 20 Kilometer. In der ohnehin hektischen Vorbereitung auf den Sprint ging es in rasender Fahrt über schmale, schlechte Straßen, durch heikle Kurven und scharfe Abfahrten. Der Grundtenor: Anders als der schlimme von einem Zuschauer verursachte Massensturz der ersten Etappe wäre dies zu verhindern gewesen.

"Komisch, dass Supertuck-Abfahrtshaltung und Auflehnen auf dem Lenker aus Sicherheitsgründen verboten wurden, während wir bei der Tour solche Finals wie heute haben", meinte der Berliner Profi Simon Geschke

Sport Bilder des Tages Australian Caleb Ewan of Lotto Soudal crashes during the sprint at the third stage of the 108th edition of the Tour de France cycling race, 182,9km from Lorient to Pontivy, France, Monday 28 June 2021. This year s Tour de France takes place from 26 June to 18 July 2021. DAVIDxSTOCKMAN PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY x3022146x
Caleb Ewan
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Zunächst flog Roglic zehn Kilometer vor dem Ziel auf einer schottrigen Piste ab und verlor wertvolle Zeit, sechs Kilometer weiter krachte es in einer Linkskurve massenhaft, danach musste der australische Gesamtsechste Jack Haig aufgeben. Und schließlich rutschte 150 m vor dem Ziel Topsprinter Caleb Ewan in einem leichten Rechtsknick weg und riss Sagan mit - für Ewan war die Tour mit Schlüsselbeinbruch beendet.

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Fan-Plakat löste Massensturz aus

„Möchte nicht, dass mein Kind Radprofi wird“

"Wenn ich so etwas sehe, möchte ich nicht, dass mein Kind Radprofi wird. Ich möchte nicht die Familie eines meiner Fahrer anrufen müssen, um ihnen zu sagen, was passiert ist", sagte Madiot völlig aufgelöst, nachdem auch sein Topsprinter Arnaud Demare zu Fall gekommen war: "So kann es nicht weitergehen, wir müssen Lösungen finden."

Die lagen allerdings auf der Hand. Für die Streckenführung ist Tour-Veranstalter A.S.O. verantwortlich, für das Regelwerk der Weltverband UCI. Und bei diesem blitzten vor der Pontivy-Etappe Profis ab, die das Unheil hatten kommen sehen.

"Ich weiß von Fahrern, die gefordert haben, dass die Zeit acht Kilometer vor dem Ziel genommen wird, damit es auf der engen Straße und der Abfahrt weniger Positionskämpfe gibt", sagte der Belgier Tim Declercq: "Der Antrag ist nicht einmal beantwortet worden."

Wird jetzt die Sturz-Regel geändert?

Derzeit sieht die Regel vor, dass innerhalb der letzten drei Kilometer gestürzte Fahrer keine Zeit verlieren. Wenn sich allerdings ohne Sturz eine Lücke im Feld auftut, werden Zeitabstände gemessen - die Fahrer mit Blick auf das Gesamtklassement mischen sich daher unter die Sprinter, es wird es eng. "Die Drei-Kilometer-Regel sollte auf zehn Kilometer geändert werden", sagte Geschke: "Das würde allen helfen."

Die UCI verwehrt sich diesem Thema aber standhaft - trotz ihrer notorischen Reglementier-Wut. "Ich habe mir das Finale gestern in der Wiederholung angeschaut", meinte der französische Profi Julien Bernard: "Alle Socken hatten die richtige Höhe, alles war gut." Laut UCI-Regelwerk gilt seit 2019 nämlich: Socken haben auf halber Höhe zwischen Knöchel-Mitte und halber Wadenhöhe zu enden. (sid/ana)