Was wir bisher über die Erkrankung in Indien wissen

Tomatengrippe-Endemie: Kann sie uns gefährlich werden? Medizin-Experte ordnet ein

Mother nursing sick child At Home
Könnte die Tomatengrippe auch zu uns überschwappen? (Foto: Kind mit Windpocken wird gepflegt/Symbolbild)
MilosBataveljic, iStockphoto, iStock

Ein bisher nicht identifizierter Erreger sorgt für eine endemische Erkrankungswelle in Indien. Hauptsächlich Kleinkinder und Kinder zeigen typische Symptome einer Virus-Infektion, haben zudem roten Hautausschlag - weswegen die Ärzte sie Tomatengrippe oder Tomatenfieber nennen. Droht jetzt auch uns eine neue Erkrankungswelle durch ein bisher unbekanntes Virus? Medizinexperte Dr. Christoph Specht ordnet die Meldungen aus Indien ein.

Vor allem Kleinkinder und kleinere Kinder betroffen

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie sind Gesundheitsinstitutionen besonders wachsam, wenn Ausbrüche bisher unbekannter Viren gemeldet werden. Wir wissen: In einer globalen Welt mit hoher Mobilität können sich hoch ansteckende Erreger potenziell schnell weiter verbreiten. Am 17. August berichten Ärzte um Dr. Vivek P. Chavda von Pharmazie-Hochschule im indischen Ahmedabad in der Fachzeitung „Lancet Respiratory Medicine Journal“ von einer Erkrankung unbekannter Herkunft. Sie befällt vorwiegend Kleinkinder und kleinere Kinder bis im Alter von fünf Jahren.

Die Symptome: Dehydrierung, hohes Fieber, Körperschmerzen, Gelenkschwellungen, Müdigkeit, Magenkrämpfe, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall sowie Hautausschläge, Blasen, Hautreizungen, Verfärbung von Händen, Knien und Gesäß – weswegen die Ärzte die Krankheit Tomatengrippe getauft haben. Die Wissenschaftler können ausschließen, dass es sich um eine durch eine Mutation von Sars-CoV-2 ausgelöste Erkrankung handelt.

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Neues Virus, Virus-Reaktivierung oder Nachfolgereaktion?

„Ob es sich überhaupt um ein neues Virus handelt oder um eine Sonderform eines bekannten Erregers, wissen wir noch nicht“, sagt uns Präventionsarzt Dr. Christoph Specht. Die klassischen Symptome wie Fieber, Gelenkschmerzen und Ausschläge sprächen allerdings deutlich dafür. Die Ärzte in Indien nehmen laut Bericht im „Lancet“ an, es könne sich um Nachwirkungen einer Chikungunya- oder Dengue-Fieber-Infektion handeln.

„Sie haben wahrscheinlich nach Langzeit-Anti-Körpern gegen dort grassierenden Viren gesucht, aber eben keine aktive Infektion gefunden“, erklärt Specht, der in Liverpool Tropenmedizin studierte. „Das bedeutet: Entweder der Fund hat nichts damit zu, die Patienten hatten eben irgendwann einmal Chikungunya oder Ähnliches, und jetzt ist es etwas Anderes. Oder: Es handelt sich tatsächlich um eine Nachfolgereaktion, wie man sie auch von anderen Virus-Erkrankungen kennt.“ Bei Corona beispielsweise trat bei Kindern in sehr seltenen Fällen das Entzündungssyndrom PIMS auf.

Denkbar sei auch, dass es sich um die Reaktivierung eines Virus durch eine Hand-Fuß-Mund-Krankheit (HFMK) oder auch um eine neue Variante ebendieser Krankheit handele, wie die Ärzte in Indien annehmen. Aber das seien Spekulationen, so Specht. Denn in der Tat wissen die Ärzte dort noch nicht, was genau die „Tomatengrippe“ auslöst. Dementsprechend gibt es auch keine spezifische Therapie für die Erkrankung, die aber als selbstheilend gilt.

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Erfahrung spricht nicht für pandemisches Potenzial

Dr. Christoph Specht schaut in die Kamera.
Dr. Christoph Specht gibt eine aktuelle Einschätzung ab.
Moritz Jansen, photoMo

Bezüglich einer Gefahrenlage für unsere Breitengrade gibt der Medizin-Experte Entwarnung. Mit Sicherheit könne man es zwar nicht sagen: Aber bisherige Erfahrungen sprächen dafür, dass diese Erscheinung kein pandemisches Potenzial habe. Anders als in Europa müssten in Indien erst Feldstudien durchgeführt werden, um den Auslöser der Krankheit zweifelsfrei zu identifizieren. „Es ist möglich, dass die Sache bis zur Auflösung schon wieder zu einem Ende gekommen ist“, so Specht.

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Gesundheitsministerium: Ausbreitung der Virusinfektion überwachen

In Indien wird die Situation allerdings sehr ernst genommen: Seit die Tomatengrippe dort erstmals am 6. Mai 2022 im Distrikt Kollam in Kerala festgestellt wurde, sind bis zum 26. Juli 2022 mehr als 82 Kinder unter fünf Jahren an ihr erkrankt. Seitdem gilt sie als endemische Viruserkrankung und löste damit einen Alarm in den Nachbarstaaten Tamil Nadu und Karnataka aus. Bislang sind außer Kerala, Tamilnadu und Odisha aber keine weiteren Regionen in Indien von dem Virus betroffen.

Das Gesundheitsministerium von Kerala hat jedoch Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um die Ausbreitung der Virusinfektion zu überwachen und ihre Verbreitung in anderen Teilen Indiens zu verhindern, so der Bericht im Lancet.