Kieferchirurg klärt auf
Teenager hat 82 (!) überflüssige Zähne: Wie entsteht ein komplexes Odontom?
82 Zähne zu viel! Nitish konnte seinen Mund kaum noch schließen
Nitish Kumar hat in den vergangenen fünf Jahren viel durchgemacht. Lange Zeit konnte er seinen Mund kaum noch schließen. Sein Kiefer war bis unterhalb der Ohren geschwollen, das Gesicht des 17-Jährigen aus Indien stark verformt. In einem Spezialkrankenhaus stellen die Ärzte fest: Nitish leidet an einem komplexen Odontom. Statt wie gewöhnlich 32 Zähnen befinden sich in seinem Mund noch 82 weitere. In einer mehrstündigen OP ziehen die Ärzte ihm die überflüssigen Beißer –und geben Nitish damit ein ganzen Stück Lebensqualität zurück. Doch wodurch entsteht ein komplexes Odontom überhaupt und wie häufig kommt so etwas vor? Dr. med. Dr. med. dent. Philipp Scherer, Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in der Klinik am Ring in Köln, klärt auf.
Wodurch entstehen die zusätzlichen Zähne?
Das komplexe Odontom wird den gutartigen Tumoren zugeordnet. Dabei entsteht durch genetische Veranlagung eine Gewebevermehrung im unteren Kiefer, die sich erst im Laufe des Lebens herausbildet. „Es gibt die Zahnleiste, auf der sich Zähne entwickeln. Und hier gibt es insofern eine Fehlsteuerung, als dass sich nicht nur die normalen 32 Zähne gebildet haben, sondern an ungewöhnlichen Stellen noch ganz viele andere kleine Zahnformationen", erklärt uns Dr. Scherer den Fall von Nitish Kumar.
Von unseren normalen Zähnen grenzen sich die Zahnformationen, die durch das komplexe Odontom entstehen, jedoch klar ab. Denn der Tumor bestehe lediglich aus Gewebestücken, die zahnähnlich sind, erläutert Kieferchirurg Dr. Scherer weiter. Ein normaler Zahn bestehe aus drei Zellformen: Zahnschmelz, Dentin und Zahnzement. Diese drei finde man zwar auch im komplexen Odontom, aber: „Nichts davon hat wirklich die Form oder Funktion eines Zahnes“, so Dr. Scherer.
Symptome und Behandlung
Oft fällt ein komplexes Odontom erst durch einen Zufall auf, denn es entsteht in der Regel schmerz- und symptomfrei. „Es kann vielleicht mal sein, dass ein Zahn nicht so wächst, wie man sich das vorstellt. Dann macht man ein Röntgenbild und sieht, dass so ein Tumor den Durchbruch des Zahnes verhindert“, sagt Dr. Scherer. Zudem sei eine Schwellung am Unterkiefer möglich, durch die ein Betroffener stutzig werden und sich an einen Facharzt wenden kann. Generell falle ein komplexes Odontom durch die engmaschige medizinische Versorgung falle in Deutschland meist so frühzeitig auf, dass es nicht zu so schweren Fällen wie dem von Nitish Kumar komme, so Dr. Scherer weiter.
Auf die Diagnose folgt dann, wie bei Nitish, eine Operation, in der der Tumor entfernt wird. Werde das komplexe Odontom dabei restlos entfernt, so sei im Nachhinein in der Regel nicht mehr damit zu rechnen, dass der Tumor nochmals nachwachse, erklärt der Mund- und Kieferchirurg.
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Das komplexe Odontom ist keine absolute Seltenheit
Auch Dr. Scherer ist einem solchen Tumor in seinem Job bereits begegnet – und zwar nicht nur einmal. „Es ist der häufigste odotogene Tumor, also der häufigste Tumor, der Zahnstrukturen ausbildet“, sagt der Mediziner. „Das haben wir in unserer Praxis schon ganz häufig gesehen.“ Dabei seien die Fälle in der Regel allerdings weit weniger komplex als der des indischen Teenagers und meist gut behandelbar. (dhe)