Lohnverstöße, Kollektivstrafen und DrohungenAusgebeutet für 4,75 Euro pro Zimmer? „Team Wallraff“ undercover in Vier-Sterne-Hotel
Werden fleißige Zimmermädchen in diesem Hotel für ihre Arbeit eingeschüchtert, statt fair belohnt?
Als „Team Wallraff“-Reporterin Jana anfängt, im Rahmen ihrer Recherche bei der Hamburger Reinigungsfirma Astrein Exzellent zu arbeiten, ahnt sie noch nicht, welche Abgründe sich auftun werden.
„Team Wallraff“-Reporterin Jana arbeitet als Putzkraft im Vier-Sterne-Hotel in Hamburg
Im Rahmen der „Team Wallraff“-Recherche putzt Jana in einem schicken Hotel in Hamburg. Schon beim Bewerbungsgespräch zeigt sich die Verantwortliche erstaunt darüber, dass die Reporterin als Putzkraft anfangen will: „Sie werden die Einzige sein, die deutsch ist“, sagt sie.
13 Euro pro Stunde sollte es eigentlich geben. Das ist zum Zeitpunkt von Janas Einsatz der branchenübliche Mindestlohn. Doch der ist offenbar an eine Bedingung gekoppelt: „Man muss dreieinhalb Zimmer pro Stunde schaffen“, so die Verantwortliche.
Für einen Branchenmindestlohn eine bestimmte Bedingung erfüllen – das wirkt auf die Reporterin dubios. Zudem kommen ihr dreieinhalb Zimmer pro Stunde arg viel vor. Eine Aufgabe der Unmöglichkeit? Wenn es nach der Verantwortlichen geht, ist die Sache klar: „Das heißt: schnell arbeiten, ordentlich arbeiten und am besten perfekt arbeiten. Schafft man natürlich gerade als Frischling schon mal gar nicht.“
Keine guten Voraussetzungen für Janas Einsatz im Jufa Hotel in der Hafencity. Es sei ein „schwieriges Hotel“, Jana muss schnell arbeiten und hat schon enormen Druck, bevor ihr Arbeitstag überhaupt anfängt.
Die Reinigungsfirma, Astrein Exzellent, präsentiert sich im Internet als Vorzeigeunternehmen: Man habe über 1.400 zufriedene Kunden und sei in 16 Bundesländern aktiv. „Herzstück“ der Firma sei die Hotelreinigung, so wie eben das Jufa Hotel, ein Vier-Sterne-Haus mit 220 Zimmern.
Ein Hotelzimmer soll in 20 Minuten gereinigt werden - ein Ding der Unmöglichkeit?
Janas Probe-Arbeitstag beginnt um acht Uhr morgens. Sie lernt ihren Vorarbeiter Dragos* kennen: Er ist von tiefen Augenringen gezeichnet und wirkt nicht gerade begeistert, eine Anfängerin zu sehen. Er sagt, er habe in zwei Wochen bereits 20 Leute ausgetauscht: „(...) Ist schwer hier.“ Astrein Exzellent schreibt uns, dass das branchenüblich sei.
Im Keller des Hotels warten 20 bis 50 von Janas neuen Kollegen. Es sind sowohl männliche als auch weibliche Mitarbeiter, sie kommen vor allem aus der Ukraine, aus Rumänien, Russland oder Afghanistan.
Tinka* soll Jana einarbeiten. Sie kommt aus Rumänien und hat zwei Töchter, die sie seit zwei Jahren nicht gesehen hat. Obwohl sie kaum Deutsch spricht, verständigen sich die beiden Frauen aus einem Mix aus Englisch, Deutsch, Händen und Füßen.
Beim Reinigen des ersten Hotelzimmers stoßen die beiden Frauen jedoch schnell an ihre Grenzen: Vor allem die störrischen Bettlaken kosten Zeit. Zeit, die Tinka und Jana nicht haben. Immer wieder betont Tinka: „Du musst schneller sein, weil du brauchst Zimmer!“
Die beiden müssen Gas geben, denn ihre To-do-Liste ist lang und die Reinigung des Badezimmers steht ihnen noch bevor – sowie etliche andere Kleinigkeiten. „All das soll eine Person in knapp unter 20 Minuten schaffen. Für mich scheint das unmöglich!“, lautet das erste Zwischenfazit der Reporterin.
Astrein Exzellent stellt klar: „Mit Dienstantritt und Anziehen der Arbeitskleidung beginnt die tariflich bezahlte Arbeitszeit. Es ist realistisch, dass die aufgezählten Reinigungsvorgaben im Zimmer in knapp unter 20 Minuten zu schaffen sind und somit auch die 3,5 Zimmer pro Stunde. Astrein Exzellent ist nicht bekannt, dass die Erwartungen nicht zu schaffen sind.“
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Ist die Auszahlung des Mindestlohns an eine Bedingung geknüpft?
Schnell wird klar: Die vorgegebene Zeit gibt es nicht nur, damit Hotelgäste pünktlich einchecken können. Genau wie die Verantwortliche beim Bewerbungsgespräch erklärt auch Tinka, dass man drei Zimmer in einer Stunde schaffen müsse.
Von wegen Stundenlohn auf branchenüblicher Mindestlohnbasis? Laut unseren Berechnungen bekommt Jana 4,75 Euro pro Stunde. Knapp drei Zimmer müsste die Reporterin putzen, um im Branchenmindestlohn zu bleiben.
Nach gereinigten Räumen bezahlt zu werden – das kann doch nicht legal sein?
Dr. Sven Jürgens, Fachanwalt für Arbeitsrecht, sagt, dass das nicht zulässig sei: „(...) Der Hintergrund ist, der Arbeitnehmer schuldet die Erbringung von Dienstleistung und keinen Erfolg. Er muss sich bemühen, aber er schuldet keinen Erfolg.“
Wir haben Astrein Exzellent mit den Rechercheergebnissen konfrontiert. Über eine Anwaltskanzlei teilen sie mit, dass der Mindestlohn nicht unterschritten werde und dass sie nicht 4,75 Euro pro Zimmer bezahlen: „Die Zimmermädchen werden tariflich bezahlt. (...) Die Einhaltung bzw. Nichteinhaltung haben keine Auswirkungen auf den vertraglich geregelten Stundensatz.”
Für Reporterin Jana ist klar: Hier wird offenbar viel mit Einschüchterung gearbeitet
Vorarbeiter Dragos kontrolliert hier offenbar die Arbeit der Putzkräfte und weist dabei ziemlich direkt auf Fehler hin: „Machen wir etwas falsch, zitiert er uns zurück ins Zimmer“, so die Reporterin.
Jana wird zu einer WhatsApp-Gruppe hinzugefügt. Dort werden die Reinigungskräfte informiert, wenn sie Fehler begangen haben. Auch eine Verantwortliche von Astrein Exzellent ist Teil dieser Gruppe. „Trotz der Sprachbarriere verstehe ich wenig. (...) Doch was ich erst abends anhand einer Übersetzungsapp verstehen werde: Die Gruppe wird nicht nur zur Kommunikation genutzt, sondern hier gezielt als Tool eingesetzt, mit dem meine Kollegen und ich permanent befeuert werden.“
Das Prinzip sei dabei für Jana offensichtlich: Einschüchterung. Entdeckt Dragos einen schmutzigen Wasserhahn oder Staub im Flur, gibt es Ärger.
So viel Ärger, dass sogar mit Kollektivstrafen gearbeitet wird: Weil eine Pfandflasche sowie eine Klopapierrolle aus Versehen im falschen Sack gelandet sind, heißt es seitens Dragos: „Drei Zimmer werden für alle abgezogen für so etwas.“ Drei Zimmer bedeuten ca. 15 Euro Abzug – für alle.
Fachanwalt Jürgens beschreibt eine solche Situation im Gespräch mit Günter Wallraff als „im höchsten Maße unzulässig“. Und: „Die ganze Bandbreite des Arbeitsrechts wird da mit Füßen getreten. (...) Das ist eine ganz katastrophale Situation für den betroffenen Mitarbeiter und es vergiftet das Betriebsklima auf lange Sicht.“
Astrein Exzellent schreibt in ihrer Stellungnahme: „Es gibt bei der Mandantin kein Bestrafungssystem. Auch keines in Form einer Kollektivstrafe (...). Die Zimmermädchen werden tariflich bezahlt. Drohungen – noch dazu öffentliche – verurteilt unsere Mandantin. (...) Unsere Mandantin bewertet das Arbeitsklima vor Ort als sehr gut.“
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Im Video: Werden Mitarbeiter unter Druck gesetzt?
Trotz größer Bemühungen schafft es Reporterin Jana nicht, die Zimmer in der vorgegebenen Zeit zu reinigen
Am nächsten Tag ist Reporterin Jana auf sich allein gestellt und bekommt selbst als unerfahrene Mitarbeiterin zehn Zimmer zugeteilt, die sie innerhalb von sieben Stunden reinigen soll. Bis 15 Uhr, denn dann können die Gäste einchecken.
Sie putzt im Akkord, immer wieder vibriert Janas Handy, weil Kollegen zurück in Zimmer zitiert werden. Immer wieder wird gedroht. „Ich fühle mich unter Druck gesetzt. (...) Und obwohl ich mich extrem beeile – auch für das nächste Zimmer brauche ich eine knappe Stunde.“
Wenn einige Zimmer von Dragos zur Strafe abgezogen werden, war die ganze Arbeit fast umsonst.
Der Anwalt von Astrein Exzellent schreibt dazu: „Die Mandantin setzt einen Mitarbeiter ein, der die Qualität der Reinigung der fertigen Zimmer kontrolliert. (...) Es gibt weder einen Lohnabzug noch die Nichtbezahlung für die Reinigung des konkreten Hotelzimmers, wenn dieser Mitarbeiter entscheidet, dass Hotelzimmer nicht richtig oder mangelhaft gereinigt wurden.“
Am Ende schafft Jana die zehn Zimmer nur, weil ihr zwei Kolleginnen unter die Arme greifen. So kommt unsere Reporterin nach acht Stunden Arbeit auf einen Tagesverdienst von gerade mal 47,50 Euro – also einen Stundenlohn von 5,94 Euro. Wie die Erfahrungen der Reporterin zeigen, scheint es unter diesen Arbeitsbedingungen kaum möglich zu sein, den branchenüblichen Mindestlohn zu erreichen.
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Persönliche Erfahrungen und Rechercheergebnisse zeigen Zeitdruck, Einschüchterungen und willkürlichen Lohnabzug
Nach drei Tagen beendet Jana ihren Arbeitstag im Jufa Hotel „mit einem dicken Kloß im Hals. Ich bin erschrocken, wie hier ausländische Arbeitskräfte ausgebeutet werden.“
Fünf Tage hält sie insgesamt durch. Ihre persönlichen Erfahrungen bisher: immenser Zeitdruck, Einschüchterungen und willkürlicher Lohnabzug.
„Team Wallraff“ ist bei seiner Recherche mit weiteren Betroffenen und Insidern in Kontakt gekommen: Alle berichten von Löhnen deutlich unter dem Mindestlohn und Akkordarbeit. Es scheint ein System zu sein, bei dem vor allem einer verliert: die Reinigungskraft, die am Ende der Bezahl-Kette steht.
Das Jufa Hotel wurde mit den Vorwürfen konfrontiert. Sie schreiben, dass sie aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen sowie nach Rücksprache mit der Firma Astrein Exzellent keine Verfehlungen erkennen können.
Astrein Exzellent: „Es ist der Mandantin bekannt, dass der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland nicht unterschritten werden darf, selbst wenn die von ihr gestellten Anforderungen durch das Personal nicht erreicht werden. (...) Es ist (...) nicht richtig, dass bei der Reinigung (...) eines Standard-Doppelzimmers tatsächlich nur 4,75 Euro an das Personal gezahlt werden.“
„Team Wallraff – Der Podcast“ bei „RTL+ Musik“
Begleitend zur TV-Ausstrahlung erscheint zudem eine neue Folge von „Team Wallraff – Der Podcast“ bei „RTL+ Musik“ und überall sonst, wo es Podcasts gibt. Darin sprechen die Undercover-Reporter Jana, Michelle und Alex über ihre Erfahrungen in der Reinigungsbranche und über die Dinge, die im TV nicht zu sehen waren.
Video-Playlist zu „Team Wallraff"
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„Das ist keine Pflege – es geht ums Herz und die Seele!“
„Team Wallraff – Reporter undercover“ auf RTL+
Exklusiv bei RTL+ seht ihr außerdem den Undercover-Einsatz von „Team Wallraff“-Reporterin Michelle. Wie Reinigungskräfte in Schulen ausgebeutet werden, wieso darunter die Schul-Hygiene leidet und welche Folgen dies auch für Schüler haben kann. (vdü)
*Namen von der Redaktion geändert