Fehlende Einarbeitung und Sprachbarrieren? "Team Wallraff" undercover
Hygienevorschriften trotz mutmaßlich hochinfektiösem Kot missachtet? - Expertin: Kann "tödlich enden"
Es herrscht Personalnot in der Pflege. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, suchen viele Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen nach Fachkräften im Ausland. So auch das Asklepios-Klinikum Nord-Heidberg in Hamburg. Gelernte Pflegekräfte aus dem Ausland werden hier im Klinikalltag ausgebildet – inklusive Sprachunterricht. Am Ende legen die Pflegekräfte eine Anerkennungsprüfung ab. In der Theorie klingt das nach einer guten Lösung für die aktuelle Personalnot. In der Praxis zeigt sich teilweise: Sprachbarrieren und fehlende Einarbeitung können manchmal zu groben Fehlern führen.
Pflegekräfte aus dem Ausland - wie gut funktioniert das Modell im Klinikalltag?
Rund zweimal im Jahr werden im Asklepios-Klinikum Nord-Heidberg etwa 15 Pflegekräfte aus dem Ausland aufgenommen und auf die sogenannte Anerkennungsprüfung vorbereitet. Die Pflegerinnen und Pfleger haben bereits in ihrem Beruf gearbeitet, in der Hamburger Klinik sollen sie unterstützt von examinierten Fachkräften in den Klinikalltag eingebunden und Sprachbarrieren durch entsprechenden Unterricht aufgelöst werden.
Bei ihrem zweiwöchigen Pflegepraktikum in der Klinik hat „Team Wallraff“-Reporterin Michelle den Eindruck, dass die Einarbeitung der Pflegekräfte aus dem Ausland gut funktioniert, wenn das Stammpersonal der Klinik Zeit hat. Doch im Laufe des Praktikums zeigt sich: An Einarbeitungszeit scheint es viel zu oft zu mangeln – sodass Pflegekräfte, die ihre Anerkennungsprüfung noch nicht abgelegt haben und teilweise erst seit wenigen Monaten in Deutschland leben, schon nach kurzer Zeit allein für mehrere Patienten verantwortlich sind.
Strenge Sicherheitsvorkehrungen wegen hochansteckender Durchfallbakterien ?
Dass dies auch erhebliche Folgen haben könnte, zeigt ein Moment, den Undercover-Reporterin Michelle während einer Spätschicht mitbekommen hat. Als Pflegepraktikantin wird Michelle einer Kollegin zugeteilt, die seit sechs Monaten in der Klinik arbeitet und sich wegen knapper Besetzung an diesem Abend um acht Patienten kümmern soll.
Gemeinsam verteilen die beiden das Abendessen – auch an einen Patienten, der wegen hochansteckender Durchfallbakterien in einem Isolationszimmer liegen soll. Weil der Patient einen künstlichen Darmausgang hat, der sich immer wieder löst, kann auch der Bereich um das Bett hochinfektiös sein. Das Zimmer darf darum nur unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen betreten werden: Kittel, Handschuhe, Kopfbedeckung und Maske sind Pflicht, so steht es auch an der Tür zum Isolationszimmer.
Pflegerin trägt mutmaßlich hochinfektiösen Kot aus Isolationszimmer
Trotz des Warnhinweises geht die Pflegerin, die „Team Wallraff“-Reporterin Michelle an diesem Tag begleitet, ohne Schutzkleidung oder Handschuhe in das Zimmer des Patienten. Erst als sie ihn wäscht, zieht sie sich Kittel und Handschuhe an. Kurze Zeit später kommt sie allerdings mit der Bettpfanne mit dem mutmaßlich hochinfektiösem Kot aus dem Zimmer, um diesen zu entsorgen.
Erst Michelles Hinweis, dass sich auch im Isolationszimmer eine Spüle befinde, scheint die Pflegerin davon abzuhalten, mit der Bettpfanne weiter über die Station zu laufen. Offenbar hatte sie zuvor niemand über die Spüle im Zimmer informiert.
"Das ist kein Kavaliersdelikt"
Für Dr. Sara Aytac, Oberärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie, ist im Gespräch mit Günter Wallraff klar: „Das ist kein Kavaliersdelikt. Wir reden über eine Infektion, die, wenn sie nicht kontrollierbar werden kann, auch tödlich enden kann.“ Sicherlich passiere dies nicht aus Boshaftigkeit, doch offenbar könne der Tätigkeit hier nicht so nachgegangen werden, dass zum einen Patienten geholfen werde, aber auch andere nicht gefährdet werden, so die Medizinerin weiter.
Asklepios schreibt dazu, dass die Clostridien-Infektion nach einer erfolgreichen Behandlung nicht mehr bestand. Die Schutzmaßnahmen im Zimmer seien bereits aufgehoben gewesen.
„Lediglich die Entfernung des Warnhinweises an der Tür war bedauerlicherweise schlichtweg vergessen worden.“
Mangelt es hier teilweise an Betreuung der Pflegekräfte in Ausbildung?
Für Undercover-Reporterin Michelle entsteht während ihres Praktikums immer wieder der Eindruck, dass das Konzept, Pflegekräfte aus dem Ausland zu integrieren, in der Theorie sehr sinnvoll ist, es aber während ihres Einsatzes teilweise an der unmittelbaren Betreuung und Anleitung durch examinierte Fachkräfte mangelt – und Fehler sich darum nicht nur auf die Sprachbarriere zurückführen lassen.
Asklepios schreibt:
„In dem (…) Zeitraum kam es in lediglich in zwei von 42 Schichten vor, dass wir aufgrund von kurzfristigen Krankheitsausfällen von unserer Zielbesetzung für diese Station, die im Durchschnitt 20 Prozent über der Pflegepersonaluntergrenzenverordnung (…) liegt, abweichen mussten. In diesen beiden Schichten wurden die Anleitungen für die Internationalen Pflegekräfte durch unsere hauptamtlichen Praxisanleiter:innen durchgeführt, wodurch die anderen Mitarbeitenden der Station entlastet wurden.“
Werden hier Hygienevorschriften missachtet?
Auch bei einer weiteren Pflegerin in Ausbildung bekommt Michelle den Eindruck, dass hier mehr Unterstützung und Anleitung helfen könne. Die Pflegerin ist erst seit drei Monaten in Deutschland, hat in ihrem Heimatland in einem anderen medizinischen Bereich gearbeitet und soll dennoch Patienten allein betreuen.
Während des Blutzuckermessens fällt der „Team Wallraff“-Reporterin auf: Die Pflegerin wechselt nicht wie vorgeschrieben nach jedem Patienten die Handschuhe – obwohl sie mit deren Blut in Berührung kommt. Zudem zieht sie bei einem Patienten, der mit multiresistenten Bakterien infiziert sein soll, keinen Kittel an.
Medizinerin: "So lapidar damit umzugehen, ist fahrlässig"
Günter Wallraff fragt bei Dr. Sara Aytac nach, wie wichtig der grundsätzliche Handschuhwechsel ist – insbesondere bei einem hochinfektiösen Krankheitsbild. „Es gibt ganz klare Vorgaben“, erklärt die Medizinerin. Vor und nach jedem Patientenkontakt müssen die Hände desinfiziert werden.
„Wenn ich Handschuhe anziehe zur Arbeit am Patienten, dann ist es selbstredend, dass ich diese Handschuhe wechsele.“ Die Händedesinfektion gehöre unabhängig davon noch mal dazu. „Letztendlich sind im Krankenhaus Patienten Schutzbefohlene. Und ich muss alles von ihnen abwenden, was ihnen Schlimmes passieren konnte“, so Aytac weiter.
Multiresistente Bakterien seien zudem bekanntermaßen für viele Tote in Krankenhäusern verantwortlich. „Dann so lapidar damit umzugehen, ist fahrlässig.“
Das sagt Asklepios:
Asklepios schreibt uns, vor Ausbildungsbeginn finde ein zweitägiger Hygieneworkshop statt, Fehler würden darüber hinaus regelmäßig zweimal pro Monat aufgearbeitet.
„Mit Hilfe unseres Qualitätsmanagements, das in all unseren Kliniken einen sehr hohen Stellenwert hat, sind wir in der Lage, Fehler weitestgehend zu vermeiden.“ (akr)