Stadt Tecklenburg streicht autistischen Zwillingen das Taxigeld

Mutter Carina fassungslos: Meine Jungs wollen doch nur zur Schule fahren!

Die autistischen Zwillinge Kiano und Pepe lieben es zur Schule zu gehen.
Die autistischen Zwillinge Kiano und Pepe lieben es, zur Schule zu gehen.
privat

Zwei Jahre lang fuhren die Brüder mit dem Taxi zur Schule – bis jetzt!
Pepe und Kiano sind eineige Zwillinge. Sie teilen aber nicht nur ihr Erscheindungsbild. Beide haben ADHS, beide sind Autisten, beide sind hochbegabt in Mathemathik. Deshalb gehen sie auf ein Gymnasium im nordrhein-westfälischen Tecklenburg – etwa 15 Kilometer von ihrem Heimatort entfernt. Doch jetzt streicht die Stadt das Geld für die Taxifahrt zur Schule und stürzt die Familie in eine finanzielle Krise.

Bus statt Taxi für die autistischen Jungs

Mitten in den Sommerferien trudelt die niederschmetternde Nachricht ins Haus der Familie Severin-Frank in Westerkappeln (NRW) ein. Zwei Jahre lang konnten Kiano und Pepe mit dem Taxi zu ihrem Gymnasium nach Tecklenburg fahren – die Stadt zahlte. Mit Beginn der 7. Klasse sollte sich das aber ändern, obwohl Gewohntes so wichtig für die beiden Autisten ist. Der Antrag für den Fahrtkostenzuschuss wurde abgelehnt. Die Begründung: Familie Severin-Falk und ihre Zwillige würden die „rechtlichen Voraussetzungen“ für eine Übernahme der Taxikosten nicht erfüllen und hätten sie auch nie erfüllt. „Aus diesem Grund war die Stadt Tecklenburg gehalten, eine entsprechende Kostenübernahme im Schuljahr 2023/2024 nicht mehr zu gewähren“, erklärt die Stadt Tecklenburg RTL in einem schriftlichen Statement. Aufgefallen sei dies aber erst bei der Bearbeitung des letzten Antrags.

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„Dass die Eltern die Erstattung von ‘Taxikosten’ verlangen können, ist nach den gesetzlichen Regelungen der absolute Ausnahmefall“, heißt es in dem Statement, das RTL vorliegt, weiter. Deshalb sollen Pepe und Kiano statt mit dem Taxi jetzt mit dem Bus zur Schule fahren – obwohl fünf Bescheinigungen vorliegen, dass die Brüder genau das nicht alleine können.

„Da werde ich lieber nicht heizen diesen Winter!“

„Die beiden sind in der Schule immer sehr angespannt und wenn sie jetzt noch eine dreiviertel Stunde im Bus sitzen müssten, kann ich nicht dafür garantieren, was passiert“, sagt Mutter Carina. Während einer Fahrt seien ihre Jungs wie in einem Tunnel. Einmal wäre einer ihrer Söhne beinahe aus dem fahrenden Familienwagen ausgestiegen, erzählt sie. Deshalb sitzen die beiden im Familienauto immer hinten – mit eingeschalteter Kindersicherung. „Dieser Umstand wird selbstverständlich akzeptiert und respektiert“, heißt es im Statement der Stadt, das RTL vorliegt. Daher würde der Schulträger auch die Kosten der Fahrkarte für eine Begleitperson übernehmen.

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Doch auch so bliebe das Grundproblem: der Bus. Natürlich hätten die Eltern die Fahrt damit mit ihren Söhnen immer wieder geübt. Jedoch ohne Erfolg. „Pepe hat gesagt: ‘Mama, ich kann das mit dem Bus nicht. Ich kann das nicht!’ Und das muss ich auch mal ganz klar sagen: Ich werde sie da nicht reinzwingen!“ „Da werde ich lieber nicht heizen diesen Winter“, sagt die Mutter voller Galgenhumor.

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Eltern zahlen 80 Euro Taxikosten aktuell selbst

„Alternativ hat die Stadt Tecklenburg den Eltern von Kiano und Pepe auch die Möglichkeit der Erstattung von Fahrkosten im Rahmen einer Wegstreckenentschädigung für die Benutzung eines Privatfahrzeugs (...) angeboten“, heißt es in dem RTL vorliegenden Statement weiter. Carina Severin-Falk versucht aktuell schon, ihre Zwillinge zwei Mal in der Woche selbst zur Schule zu fahren. Das ergebe jedoch insgesamt eine Fahrtzeit von knapp zwei Stunden für die Mutter von vier Kindern. An den anderen Tagen bezahlen die Eltern die Taxifahrt aus eigener Tasche: Für 80 Euro am Tag. „Ich weiß nicht, wie lange wir das noch machen können. Wir freuen uns immer, wenn das Kindergeld kommt.“

Auch das Jugendamt ist mittlerweile involviert. Sein Vorschlag: Pepe und Kiano hätten eine Schulbegleitung bekommen können, die die Zwillinge sowohl bei der Busfahrt, als auch in der Schule begleitet hätte. Doch auch hier gibt es ein Problem: Pepe hätte dadurch seine aktuelle Schulbegleitung verloren, erzählt seine Mutter. „Das ist quasi Pepes zweite Mutter bzw. Pepes Freundin. Er hat sonst keine Freunde. Die hätte ich ihm nicht wegnehmen können“, erklärt Carina Severin-Falk den Entschluss, das Angebot abzulehnen.

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Auf der Suche nach einer Lösung hat die Familie mittlerweile gegen die Stadt geklagt, Mutter Carina hat Kontakt zu verschiedenen Politikern aufgenommen, das Schulamt kontaktiert. „Kiano und Pepe haben gesagt, dass sie froh sind, eine Mutter wie mich zu haben. Dass ich kämpfe.“

Mitmenschen sammeln Geld für Kiano und Pepe

Und auch Menschen aus ihrer Umgebung setzen sich für die Familie ein. An einem Wochenende im Oktober veranstaltet ein Sportverein ein Benefiz-Turnier, um Geld für Kianos und Pepes Taxifahrten zu sammeln. „Ich musste immer mal wieder zum Weinen weggehen, weil das einfach so emotional war“, erinnert sich Carina Severin-Falk an die Veranstaltung. Sie sei so dankbar gewesen. Dank des Engagements ihrer Mitmenschen sei der Schultransfer für ihre beiden Zwillinge immerhin bis Weihnachten vorerst gesichert.