Umstrittener Sponsor bringt Schalke in Bedrängnis
Schalke, Russland, Gazprom - und ein großes Dilemma
Der eskalierende Ukraine-Konflikt lässt ein Schalker Dauerthema wieder hochkochen: die umstrittene Partnerschaft mit dem russischen Staatskonzern und Gasriesen Gazprom. Für den Verein bedeutet das ein Dilemma auf gleich zwei Ebenen. Ein Schalke-Fan und Marketing-Experte fordert den Club mit einem Appell auf, den Deal zu beenden.
Die brisante Frage: Wie damit umgehen?
Das aktuelle Dilemma des FC Schalke 04 ist schnell umrissen: Finanziell ist der Traditionsverein aus Gelsenkirchen, der in der 2. Fußball-Bundesliga um den direkten Wiederaufstieg kämpft, abhängig von seinem Hauptsponsor Gazprom, einem russischen Staatsunternehmen. Nun hat der russische Staat den Konflikt mit der Ukraine eskalieren lassen. Präsident Wladimir Putin hat die Separatisten-Gebiete im Osten der ehemaligen Sowjet-Republik offiziell anerkannt und seine Soldaten für eine Friedensmission auf das immer noch offizielle Staatsterritorium der Ukraine entsandt. Ein Akt, der international als offene Kriegserklärung gewertet wird.
Die brisante Frage, die nun über all jenen Vereinen und Verbänden steht, die sich in die finanzielle Abhängigkeit begeben haben: Lässt sich das Sponsoring von der weltpolitischen Lage trennen? Erst recht vor dem Hintergrund eines drohenden Kriegs? Es ist eine Frage, die nur ins Dilemma führen kann. Denn sie wird auf zwei Ebenen verhandelt, die mutmaßlich gänzlich andere Antworten herbeiführen. Einmal wird diese Frage moralisch diskutiert, aber eben auch wirtschaftlich. Und damit für einen Verein wie den FC Schalke 04 in einer existenziellen Dimension. In der 2. Liga erhält der Klub zehn Millionen Euro pro Saison. Beim Aufstieg würde sich die Summe laut "Kicker" mehr als verdoppeln.
Das Geld kommt von Gazprom Germania, der deutschen Tochter des russischen Gasgiganten. Ohne diese Zuwendung und ohne die Einnahmen aus einer vollen Arena (Stichwort Coronabeschränkungen) wäre der Klub kaum noch lebensfähig. Aktuell plagen den Verein Finanzverbindlichkeiten von rund 200 Millionen Euro. Im ersten Halbjahr 2021 wies der Verein einen Fehlbetrag von 21 Millionen Euro aus.
Schalke im Dialog mit Gazprom
Wie schwer sich der Verein damit tut, einen schnellen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, belegt eine erste Stellungnahme, die auch ntv.de angefragte hatte: "Mit großer Sorge verfolgt auch der FC Schalke 04 die jüngsten Entwicklungen in Osteuropa. Der Verein ist sich in diesem Kontext seiner besonderen Rolle unter den deutschen Sportvereinen bewusst […]. Die Verantwortlichen des Vereins stehen im ständigen Dialog mit dem langjährigen Hauptsponsor. Für den FC Schalke 04 steht außer Frage, dass sich der Verein für Frieden und ein friedliches Miteinander einsetzt, die Mitglieder haben die Gewaltfreiheit im Leitbild (§8) festgeschrieben: 'Von uns Schalkern geht keine Diskriminierung oder Gewalt aus.' S04 hat diese Haltung auch in Gesprächen mit Gazprom Germania geäußert. Der FC Schalke 04 wird die weitere Entwicklung beobachten, bewerten und nachdrücklich zum Frieden appellieren - zum Schutz der von der Krise betroffenen Menschen."
In der Fanszene wird das nun schon 15 Jahre andauernde Sponsoring durch den Gasgiganten immer wieder kritisch bewertet. Am vergangenen Freitag wurde der Deal mit Gazprom mal wieder zum Thema, weil während des Spiels gegen den SC Paderborn wie immer Werbebanden mit dem umstrittenen Pipeline-Projekt Nord Stream 2 gezeigt wurden. Mit dem Zusatz "sichere Energie für Europa". Vor dem Hintergrund der drohenden Eskalation von russischer Seite wirkte das durchaus verstörend.
Aber wie handeln? Der Marketing-Experte und bekennende Schalke-Fan Raphael Brinkert brachte am Dienstagvormittag, Stunden nach Wladimir Putins Angriffsrede an seine russische Nation, bei Twitter einen Appell auf. Er forderte, den Deal unmittelbar zu beenden. "Spätestens seit heute Nacht ist klar: Die Zusammenarbeit mit dem russischen Staatsunternehmen Gazprom war, ist und bleibt ein Fehler, der dem FC Schalke 04 seit 2007 singulär Mehreinnahmen beim Hauptsponsoring, aber ganzheitlich Mindereinnahmen in fast jedem anderen Bereich (Merch, Hospitality, Sponsoring, PR) gebracht hat", heißt es in dem Statement.
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"Partnerschaft ist und bleibt Fehler"
Brinkert, der auch die Kampagne der SPD für die Bundestagswahl 2021 verantwortete, galt im vergangenen Jahr auf Schalke als einer der Kandidaten für den Vorstandsvorsitz. Zudem war er Mitinitiator der "Zukunftself", einem Zusammenschluss von dem Verein nahestehenden Personen, die ihn beim Neustart nach dem Abstieg unterstützen wollten. Mit seiner Agentur betreut er insbesondere Kunden aus den Bereichen Sport, Gesellschaft und Politik. Eine Trennung von Gazprom wäre "ein PR-Coup für alle Seiten", erklärte der 44-Jährige. "Auch ein kurzfristiger Support von Land oder Bund ist denkbar, um den temporären Ausfall zeitlich limitiert zu kompensieren."
Im Gespräch mit unserer ntv.de-Redaktion wiederholt er seinen Appell zum sofortigen Ende der Zusammenarbeit: "Jeder weitere Spieltag mit dem russischen Staatsunternehmen auf der Brust ist hochproblematisch hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Vereins und seinem selbstauferlegtem Leitbild nebst Wertekanon." Das Problem sei in den vergangenen Monaten ein größeres geworden, welches sich seit Wochen zuspitze. "Ich bin fest überzeugt davon, dass der Verein Alternativszenerien prüft. Fest steht, dass die Situation untragbar geworden ist", sagt Brinkert und macht konkrete Vorschläge: "Sponsoren könnten einen Pool bilden, um den finanziellen Ausfall gemeinsam zu kompensieren, es könnte Fan-Initiativen und Merchandise-Kollektionen geben und auch Bund und Länder könnten mit einem Überbrückungskredit helfen oder aber zeitlich limitiert mit der nationalen Impfkampagne auf der Trikotbrust werben."
Der gebürtige Westfale findet: "Haltung und Mut zu Haltung wird belohnt, das sieht man auch beim FC St. Pauli. Wirtschaftlich wäre es kurzfristig für Schalke eine Herausforderung, aber langfristig bietet sich dem Verein ohne Gazprom eine große Chance für einen kommunikativen Neustart." (sue/tno)