Erschütternder Bericht einer Aussteigerin
Gefangen im QAnon-Wahn – „Ich hätte beinahe alles verloren“
Von Tara Bohan und Daniel Spliethoff
„Ich hätte beinahe alles verloren. Mein Geschäft, mein Leben, meine Ehe. Alles, was mir wichtig war, war weg. (…) Alles wegen QAnon.“
Total-Absturz einer Frau, die ihr Bilderbuch-Leben weggeworfen hat, als sie immer tiefer im Verschwörungsglauben* QAnon versank. Nach einem Ausraster im Supermarkt landet Melissa Rein Lively in der Psychiatrie. Das ist der Wendepunkt in ihrem Leben. Mit uns spricht sie exklusiv, wie QAnon wirklich denkt und funktioniert. Protokoll eines Absturzes.
Verschwörungstheorien im Netz: Wie Google und YouTube Melissa weiter in den Wahn trieben
Mit Beginn der Corona-Pandemie bekommt Melissa große geschäftliche Probleme. Sie betreibt in Scotsdale (USA) ein Hotel und ein Restaurant, dazu kommen viele Veranstaltungen in der PR-Branche. All das bricht weg. "Ich habe irgendwann angefangen, meine eigenen Corona-Recherchen zu machen, erst Google, dann YouTube. Ich hab mit einem Video angefangen und dann hat der Algorithmus mir mehr von solchen Sachen vorgeschlagen“, sagt sie. Die Amerikaner nennen das Doom-Scrolling: So lange durch Videos scrollen und klicken, bis man wortwörtlich beim Weltuntergang, also dem Doom angekommen ist. Plötzlich glaubt Melissa an den Untergang.
Wegen QAnon-Wahn: Ehemann stellt Melissa vor Entscheidung

Melissa isst kaum noch, schläft nicht länger als 20 Minuten. „Mein Ehemann hat dann irgendwann gesagt: Du musst dich jetzt entscheiden. Entweder du lässt dir wegen QAnon jetzt helfen, weil dich das zerstört oder du gehst. Und ich habe gesagt, okay, dann gehe ich, das ist die größte Sache, an der ich je beteiligt war. Also hab ich in einem Hotel eingecheckt, recherchiert und was Tage später geschah, haben die Leute bei Target dann ja gesehen…“
Melissa rastet im Supermarkt aus - und landet in der Psychiatrie

Target, ein Supermarkt in Scotsdale. Sie nennt es selbst heute die Target-Katastrophe. Melissa will Wasser kaufen. „Ich war so wütend und überwältigt von der Situation und traurig, ich hatte die ganze Nacht geweint, ging in den Laden und in den Gang, wo das Mineralwasser stand. Und hab die Masken gesehen. Das hat mich getriggert – und irgendwas in mir riss – ich bin ausgerastet.“
Sie reißt alle Masken aus den Regalen, wirft sie auf den Boden und filmt sich dabei live auf Instagram. Wenig später will sie zum Haus, in dem nur noch ihr Mann wohnt, um Anziehsachen zu holen. Sie ist aufgelöst, er holt die Polizei, weiß sich nicht mehr anders zu helfen. Auch diese Szenen filmt sie live. Wenig später lässt ihr Mann sie in eine psychiatrische Klinik einweisen.
Raus aus der Verschwörungs-Misere: Wie Melissa den Weg zurück ins richtige Leben fand
„Ich habe mit einem Arzt gesprochen und aus meinem Mund kam all dieses QAnon-Zeugs. Ich kann ihnen sagen, wenn sie einem Arzt in einer Psychiatrie alles von QAnon erzählen, dann werden die ihnen sagen, dass Sie verrückt sind. Verrückt. Und sie werden Sie dort behalten.“
QAnon habe sie krank gemacht, das kann Melissa heute ganz offen sagen. Langsam aber sicher hat Melissa sich im Krankenhaus erholt, ist wieder zu Sinnen bekommen. Inzwischen ist sie auch wieder mit ihrem Mann zusammen.
Melissa erzählt uns ihre Geschichte und schreibt über ihren Absturz jetzt auch ein Buch. Ihre Botschaft: QAnon zerstört euch!
*Lesen Sie hier: Was ist QAnon genau?
Lesen Sie hier: Wie sprechen Sie mit Angehörigen oder Freunden, die an QAnon glauben?