Immer mehr Mütter leiden am „Overtouched Syndrom“

Elena (39): „Darum wollte ich nicht mehr, dass mich mein Mann berührt“

Dauerhafter Kontakt mit dem Kind und daher keine Lust mehr auf den Partner? Das passiert einigen Frauen, wenn sie Mutter werden.
Dauerhafter Kontakt mit dem Kind und daher keine Lust mehr auf den Partner? Das passiert einigen Frauen, wenn sie Mutter werden.
picture alliance / Shotshop | Monkey Business 2
von Larissa Königs

Wenn Mama keine Nähe mehr zulassen kann – weil jede Berührung schmerzt!
Weniger Sex nach der Geburt: Das ist etwas, das in vielen Partnerschaften eintritt. In extremen Fällen aber können Mütter zeitweise gar keine Nähe mehr zulassen. Experten sprechen dann vom „Overtouched Syndrom“. Eine betroffene Mutter hat uns geschildert, wie es sich anfühlt – und was Eltern dagegen tun können.
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„Wenn mich jemand berührt hat, fühlte es sich wie Schmerzen an"

Elena* kann nicht mehr. Sie erträgt es nicht, wenn ihr Ehemann ihre Nippel berührt. Die ganzen Brüste sind für ihn tabu. „Am besten gar nicht anfassen“, sagt sie im RTL-Interview. Sex? Bitte so wenig und schnell wie möglich. „Und am besten von hinten, damit man möglichst wenig Berührungspunkte hat.“

Lust empfindet sie in diesen Momenten nicht. Im Gegenteil: „Wenn mich jemand berührt hat, auch wenn es ganz sanft war, fühlte es sich wie Schmerzen an. Ich habe immer öfter zu meinem Mann gesagt: Ich kann jetzt nicht.“ Ihr einziger Wunsch: Ihren Körper einfach mal nur für sich zu haben.

Die Situation belastet ihren Ehemann und sie selbst. Sie sucht im Internet nach Antworten und stößt in einem Forum auf das „Overtouched Syndrom“. „Daran leiden Frauen, die durch die Berührungen des Kindes ein „Zuviel“ an Körperkontakt empfinden“, erklärt Psychotherapeut Dr. Wolfgang Krüger RTL. „Vor allem in der Stillphase entsteht eine symbiotische Beziehung zwischen Mutter und Kind, die zu dem Gefühl der Mutter führen kann, dass das Kind ständig an ihnen klebt.“

Diese Problematik könne durch den Ehepartner verstärkt werden. Und zwar dann, wenn er ebenfalls eine „große Bedürftigkeit signalisiert“.

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Wenn Kinder sich nur durch Körperkontakt beruhigen

Auch in den sozialen Netzwerken findet sich das „Overtouched Syndrom“. So spricht etwa die Influencerin Kathrin Şahin offen mit ihren fast 90.000 Followern darüber, ihr Post bekommt fast 1.500 Likes. Auch Elena fühlt sich angesprochen – obwohl sie ihre Kinder über alles liebt und gerade in den ersten Monaten nach der Geburt auf Wolke sieben schwebt.

Problematisch wird es beim Abstillen ihres ersten Sohns. „Er war es gewohnt, immer die Brust zum Einschlafen zu bekommen. Ohne ließ er sich nicht beruhigen. Jeder Abend war ein Kampf“, erinnert sich Elena. Schließlich findet sie eine Lösung, die zunächst gut erscheint. Sie legt sich zu ihrem Sohn, und er darf zwar nicht mehr an die Brust, diese aber noch beim Einschlafen festhalten. Ein Fehler, wie sich herausstellt.

„Es tat oft weh, wenn er an den Brustwarzen gespielt hat, aber es war das Einzige, was ihn beruhigt hat. Ich hatte die Wahl: Entweder ich habe jetzt zwei Stunden ein schreiendes Kind oder ich halte einfach eine Viertelstunde durch.“ Sie entscheidet sich für Letzteres. Doch der intime Körperkontakt wird für die junge Mutter zunehmend zur Belastung. Ihr graut vor der Einschlafbegleitung. Ihr Mann darf ihre Brust nicht mehr anfassen.

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„Wir hätten nie gedacht, dass wir jahrelang Probleme mit Intimität haben“

Irgendwann unterbindet sie die Einschlafroutine und nimmt sich bei ihrem zweiten Kind vor, konsequenter zu sein. Das klappt allerdings nur bedingt. Ihr jüngerer Sohn möchte nämlich zur Beruhigung beim Einschlafen statt ihrer Brüste ihr Gesicht anfassen. „Irgendwie habe ich nicht verstanden, dass mich auch das irgendwann nerven würde. Und mittlerweile ist das sein Anker, er macht das jeden Tag“, gibt Elena zu.

Die Situation spitzt sich zu. Annäherungsversuche ihres Ehemanns blockt Elena immer mehr ab. „Man gibt so viel, man ist so ausgelaugt – und dann kommt der Mann und will AUCH noch was. Das geht dann einfach nicht mehr“, sagt sie.

Ein weiteres Problem: Ihre Kinder sind deutlich mehr auf sie als auf ihren Ehemann fixiert. Das macht ihm wiederum zu schaffen. „Er hat immer gesagt, dass ich jetzt ja mit den Kindern kuschel. Aber er hatte niemanden mehr zum Kuscheln“, erinnert sich Elena. Schlafmangel und Stress tun ihr Übriges. „Dabei hatten wir uns vorher gesagt: Nein, die Kinder werden unser Sexleben nicht beeinflussen. Wir hätten nie gedacht, dass wir jahrelang Probleme mit Intimität haben“, sagt Elena.

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Eure Meinung zählt

Psychotherapeut rät: Kinder häufiger von Vater und Großeltern betreuen lassen

Das ist laut Psychotherapeut Dr. Krüger nicht unüblich: „Meist war die Sexualität vor der Geburt des Kindes durchaus gut.“ Doch durch die veränderte Situation mit den Kindern reagiere man häufig empfindlicher.

Was also tun? „Man sollte dem Partner vermitteln, dass man auftanken muss“, betont Krüger. „Man möchte auch einmal umsorgt werden, ohne dass sofort Sex in der Luft liegt.“ Lösungen könnten etwa Massagen sein, die nur auf Wohlbefinden und nicht auf Geschlechtsverkehr abzielen.

„Wichtig ist aber auch, dass das Kind auch vom Vater und den Großeltern versorgt wird, sodass die Mutter immer wieder Zeiten hat, wo sie sich um sich selbst kümmern kann“, erklärt Krüger.

Elenas Botschaft an andere Mütter: „Ihr seid nicht allein!“

Das hilft auch bei Elena schlussendlich. Die Kinder kommen in den Kindergarten und werden häufiger fremdbetreut, von Großeltern, Onkel oder der Tante. Elena hat wieder mehr Zeit für sich. Der Ehe, die sie schon fast abgeschrieben hatte, geht es wieder besser. Und sie hat wieder Lust auf Berührungen – auch von ihrem Mann.

Heute sagt Elena, sie habe vorher schlicht nicht gewusst, wie drastisch sich ihr Leben durch die Kinder verändern würde. Körperlich, aber auch psychisch. Ihr wichtigster Tipp: „Redet mit eurem Partner, auch, wenn es unangenehm ist!“

Rückblickend denkt sie, sie hätte sich eher Hilfe holen sollen. Deswegen spricht sie nun auch über ihre Erfahrung. „Man glaubt, man ist die einzige, der es so geht. Aber das stimmt nicht. Es gibt so viele Frauen. Ihr seid nicht allein!

*Wir haben auf Wunsch der Protagonistin zum Schutz der Privatsphäre ihrer Familie ihren Namen geändert.