DFB-Team in der EinzelkritikBei vogelwilden Remis: DFB-Team stets bemüht - mehr aber auch nicht

Es sollte die Wiedergutmachung für die peinliche Pleite gegen Ungarn werden, am Ende bleiben aber viele Zweifel. In gut elf Minuten verspielt Deutschland eine 2:0-Führung in der Nations League gegen England. Immerhin rettet Doppel-Torschütze Kai Havertz noch das Remis. Unsere Einzelkritk!

Der Torwart

Marc-André ter Stegen: Ist die Nummer zwei. Bleibt die Nummer zwei. Und das nicht, weil er zwingend der schlechtere Mann zwischen den Pfosten wäre. Aber Manuel Neuer ist unter Flick gesetzt. Das war beim FC Bayern so, was Alexander Nübel extrem frustrierte und ist im DFB-Team so, was ter Stegen schon frustriert hat. Der aber nimmt seine Rolle mittlerweile bemerkenswert gut an und ist das perfekte Fangnetz, sollte Neuer mal für längere Zeit nicht titanisieren. Hielt in der 25. Minute sensationell gegen Raheem Sterling, der die deutsche Abwehrmitte herrlich ins Stolpern gebracht hatte. Hatte noch ein paar schöne Flugeinlagen dabei, wurde aber auch dreimal bezwungen. Dreimal ist ihm kein Vorwurf zu machen, vor allem nicht gegen die Weltklasse-Abschlüsse von Kane und Mount. Kann sich nun im Training beim FC Barcelona in allerbester Form halten, schließlich hat er anders als Neuer treffsichere Stürmer im Team (kleiner Scherz).

Kimmich: Hatten alles im Griff

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Die Abwehr (I)

Thilo Kehrer: Der 26-Jährige ist ein Außenverteidiger. Gut, das ist jetzt nun wirklich kein knalliger Satz, um das Spiel von Kehrer zu beschreiben. Aber vermutlich ist es der beste Satz, um das Spiel von Kehrer zu beschreiben. Denn der Mann, der mittlerweile bei West Ham United agiert, macht seine Sache auf der Seite meist ordentlich. Zumindest in der eigenen Hälfte. Als gewinnbringender Antreiber taugt er dagegen nicht. Wenn sich Flick für die WM einen Spieler wünscht, der die Offensive nachhaltig und effizient unterstützt, dann muss er weiter casten. Sollte Flick die sichere Lösung bevorzugen, dann hat er seine Stammkraft für Katar womöglich gefunden. Zwar gewann Kehrer in Wembley nicht jeden Zweikampf gegen den verdammt schnellen Sterling, aber er hatte den Flügelstürmer insgesamt gut unter Kontrolle. Peinlich war indes der Versuch, einen Elfmeter zu schinden. Zwar wurde er am Trikot gezupft, aber sein Sturz war doch arg plump.

Niklas Süle: Wenn Antonio Rüdiger nicht spielt (er war gelbgesperrt), dann ist der Dortmunder der Abwehrchef. Er strahlt das auch aus. Spielte lange Zeit sehr überzeugend. Machte es den Engländern um Superstürmer Kane mit seinem starken Stellungsspieler sehr schwer. Mischte sich zudem mit wuchtigen Vorstößen immer wieder durchs Zentrum ein und lebte sein "Zehner"-Gen aus. Allerdings lief er bei der ersten Großchance der "Three Lions" hinterher. Seine Grätsche beim 1:2 kam um Zentimeter zu spät, der Ball war bei der Klärungsaktion schon über die Torlinie getrudelt. Verlor danach die Souveränität.

Gibt's doch nicht! England dreht das Spiel

Die Abwehr (II)

Nico Schlotterbeck: Der Dortmunder erzählt schon eine seltsame Geschichte. Fünf Mal hat der 22-Jährige für Deutschland gespielt, dabei nun drei Elfmeter verursacht. Kam gegen seinen Teamkollegen Jude Bellingham deutlich zu spät und traf den Engländer schmerzhaft am Bein. Das hatte Folgen. Wie schon sein Ausrutscher beim Dribbling von Bukayo Saka vor dem 2:2. Weniger folgenreich waren seine Wackler in der ersten Halbzeit, etwa als er gegen Sterling ausgerutscht war. Dieser Abend war keine Bewerbung für das Wüsten-Team.

David Raum: Gegen Ungarn war er nicht gut. Und das ist noch die Wahrheit in schön. Denn eigentlich war er richtig schlecht. Wie so viele aus dem deutschen Team. Aber Flick vertraut dem Leipziger und darf sich vorerst bestätigt fühlen. Der Linksverteidiger agierte gegen die Engländer deutlich verbessert. Aber seine Hereingaben sind noch nicht wieder die Waffe, die sie sein können. Bedeutet: Es mangelt an Präzision (I): Woran es aber auch mangelt: an formstarken Alternativen für diese Position. Bedeutet (II): Er ist und bleibt gesetzt. Ab der 68. Minute Robin Gosens: Er kam 28 Minuten, um sich für Katar zu bewerben. Fazit: defensiv zu anfällig, offensiv unauffällig. Da muss mehr kommen.

England-Keeper vergrapscht sich - Havertz staubt ab

Mittelfeld und Sturm (I)

Joshua Kimmich: Nein, es ist keine Scheindebatte, zahlreiche Spieler des FC Bayern sind in diesen Tagen und Wochen nicht in Form. Kimmich ist einer von ihnen. Möchte gerne Chef sein, bekommt seinen Anspruch aber derzeit nicht auf den Fuß. Kann das Spiel nicht strukturieren. Kann dem Spiel in heiklen Phasen keine Stabilität geben. Spielt nach wie vor tolle Chip-Bälle. Das Problem: Sie finden derzeit keinen Abnehmer. Hatte unmittelbar vor der Pause eine nennenswerte Offensivaktion, sein Schuss aus gut 20 Metern strich knapp vorbei.

Ilkay Gündogan: Er war deutlich präsenter als Kimmich. Eine bemerkenswerte Auszeichnung war das an diesem Abend aber nicht. Der Kapitän lief viel, versuchte viel und hatte gute Momente im Gegenpressing. Was er aber nicht hatte: clevere Einfälle, um die deutschen Offensivkräfte mal überraschend in Szene zu setzen. Zu oft passte er den Ball nur kurz weiter. Das war im Zentrum leicht zu verteidigen für England. Er bleibt allerdings ein absolut sicherer Schütze vom Punkt: Sechster Elfer, sechstes Tor.

Jamal Musiala: Er sollte das Spiel aus dem Zentrum anleiten. Das gelang nicht. Declan Rice stand ihm auf den Füßen. Was eine kluge englische Entscheidung war. In der zweiten Halbzeit fand er sich auf der rechten Seite wieder und das wiederum war eine kluge deutsche Entscheidung. Musiala, der für Thomas Müller spielte, brach nun häufiger durch. Brachte Tempo und Tiefe ins Spiel. Er holte den Elfmeter zum 1:0 heraus - was aus diesem zähen Spiel eine vogelwilde Partie machte. Das 2:0 bereitete er mit vor, weil er den Ball gegen den schwachen Harry Maguire im Mittelfeld gewann. Ab der 79. Minute Thomas Müller: Nun, die Frage, ob Thomas Müller noch stark genug für die Nationalmannschaft ist, hatte Flick vor den Anpfiff abmoderiert. Die Thomas-Müller-Frage stellt sich nicht. Damit ist an diesem Abend alles Relevante über den Münchner berichtet.

Ausgleich! England schockt DFB-Elf

Mittelfeld und Sturm (II)

Jonas Hofmann: Der polyvalente Mann von Borussia Mönchengladbach hat sich in der Startelf einen festen Platz erspielt, diesmal indes rechts eine Position weiter vorn. Spielte in Wembley allerdings sehr, sehr unauffällig und wurde zur Pause ausgewechselt. Mehr muss man nicht wissen. Ab 46. Minute Timo Werner: Ach herrje..., der arme Timo Werner. Gegen Ungarn unsichtbar, gegen England wäre er das besser geblieben. Vor allem in der 60. Minute, als er freistehend den Abschluss verweigerte und einen katastrophalen Pass ins Zentrum spielte. Hatte immerhin ein paar Minuten später eine gute Gelegenheit, die knapp am Tor vorbeisauste. Darf sich dennoch als belebendes Element betiteln lassen. Ob das für einen Stammplatz reicht? Eher nicht…

Leroy Sané: Dieses Mal musste keine Wasserflasche die Wut des Flügelstürmers aushalten. Grund genug für Frust hätte der Münchner aber erneut gehabt. Sein Engagement stand in keinem guten Verhältnis zum Ertrag seines Spiels. War also bemüht aber glücklos. Hatte keine nennenswerte Offensivaktion. Wer nicht weiß, dass Sané schnell und torgefährlich ist, der hätte an diesem Abend gedacht, dass Sané nicht schnell und torgefährlich ist. In der 60. Minute wartete mutterseelenallein auf einen Querpass von Werner. Der blieb aus. Ab 68. Minute Serge Gnabry: Gegen Ungarn war er als schwächster deutscher Spieler ausgemacht worden. Es hagelte Sechsen von den Bewertungbeauftragten der hiesigen Medienwelt. Darf nun für sich verbuchen, dass sein Einsatz zu kurz war, um eine Note zu bekommen. Aber: Seinen Schuss ließ Torwart Pope kläglich abprallen, was Havertz das 3:3 ermöglichte (87.).

Kai Havertz: Der Londoner kam dem Ball als Mann in vorderster Front weit entgegen. Allerdings war er immer gut abgeschirmt und entsprechend schwach, nach dem Wiederanpfiff zog er sich zurück, zentral hinter den eingewechselten Werner. Diese Rolle behagte ihm sichtlich besser. Beendete eine Szene, die er selbst eingeleitet hatte, mit einem traumhaften Schlenzer zum 2:0 und sicherte mit seinem zweiten Treffer immerhin das Remis. Ab der 90. Minute Armel Bella-Kotchap: Der ganze Stolz von Bochum ist nun Nationalspieler. Glückwunsch.