Vorwurf der Vertuschung
Missbrauchsskandal: Gutachten belastet Papst Benedikt
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Papst Benedikt XVI im Fadenkreuz
Die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche ziehen weiter Kreise. Und erreichen höchste Würdenträger. Ein Missbrauchsgutachten des Erzbistums München und Freising belastet den emeritierten Papst Benedikt XVI. schwer. Darin wird dem 94-jährigen Joseph Ratzinger Vertuschung vorgeworfen. Die Juristen sprechen von einer „Bilanz des Schreckens“. Der Vatikan will die Details des Gutachtens in den nächsten Tagen prüfen und spricht von einem „Gefühl der Schande und Reue“.
Benedikt streitet Vorwürfe ab
Benedikt habe als damaliger Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger in vier Fällen nichts gegen des Missbrauchs beschuldigte Kleriker unternommen, teilten die Gutachter am Donnerstag in München mit. In einer Stellungnahme bestritt Benedikt demnach seine Verantwortung „strikt“, die Gutachter halten dies aber nicht für glaubwürdig. Der emeritierte Papst war von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising.
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Kritiker werfen Ratzinger schon seit geraumer Zeit Fehlverhalten vor – wie beim Umgang mit einem Priester aus Nordrhein-Westfalen. Der Mann soll vielfach Jungen missbraucht haben und wurde zur Amtszeit Ratzingers aus NRW nach Bayern versetzt, wo er rechtskräftig wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde und immer wieder rückfällig geworden sein soll.
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Allein dieser Fall macht 370 Seiten des insgesamt mehr als 1700 Seiten starken, vom heutigen Erzbischof Kardinal Reinhard Marx in Auftrag gegebenen Gutachtens aus. Marx selbst halten die Anwälte Fehlverhalten im Umgang mit zwei Verdachtsfällen von sexuellem Missbrauch vor. Es gehe dabei um Meldungen an die Glaubenskongregation in Rom. Marx war bei der Vorstellung nicht anwesend.
Mindestens 497 Opfer
Auch Ratzingers direktem Nachfolger als Münchner Erzbischof, Kardinal Friedrich Wetter, wirft das Gutachten, das den Zeitraum zwischen 1945 und 2019 untersucht hat, Fehlverhalten in 21 Fällen vor. Wetter habe die Fälle zwar nicht bestritten, ein Fehlverhalten seinerseits aber schon, sagte Jurist Martin Pusch.
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Die Studie listet mindestens 497 Opfer auf. Dabei handele es sich überwiegend um männliche Kinder und Jugendliche, die in den Jahrzehnten des Untersuchungszeitraums zu Opfern wurden, teilte die Kanzlei mit. Mindestens 235 mutmaßliche Täter gab es laut der Studie – darunter 173 Priester und 9 Diakone. Allerdings sei dies nur das sogenannte Hellfeld. Es sei von einer deutlich größeren Dunkelziffer auszugehen.
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Marx: „Ich bin erschüttert und beschämt“
Der Vatikan will in den kommenden Tagen detailliert auf das Missbrauchsgutachten blicken. Man werde es einsehen und könne dann angemessen die Details prüfen, erklärte der Sprecher des Heiligen Stuhls, Matteo Bruni. „Im Bekräftigen des Gefühls der Schande und der Reue für den von Geistlichen begangenen Missbrauch an Minderjährigen, sichert der Heilige Stuhl allen Opfern seine Nähe zu und bestätigt den eingeschlagenen Weg für den Schutz der Kleinsten, indem ihnen ein sicheres Umfeld garantiert wird“, hieß es weiter.
Kardinal Reinhard Marx, der heutige Erzbischof von München und Freising, hat sich für Missbrauchsfälle in seinem Bistum entschuldigt. „Ich bin erschüttert und beschämt“, sagte er am Donnerstag in München nach der Vorstellung eines Aufsehen erregenden Gutachtens zu sexuellem Missbrauch in der Diözese in den vergangenen Jahrzehnten. Er bat im Namen der Erzdiözese um Entschuldigung für „das Leid, das Menschen im Raum der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten zugefügt wurde“.
Kein Wandel in der Kirche
Das neue Gutachten stellt der katholischen Diözese ein schlechtes Zeugnis aus. Auch in jüngster Zeit habe kein „Paradigmenwechsel“ mit dem Fokus auf die Betroffenen stattgefunden, sagte Pusch: „Bis in die jüngste Vergangenheit und teils auch heute noch begegnen Geschädigte Hürden.“ Ein aktives Zugehen auf die Opfer gebe es nicht. Pusch sieht ein „generelles Geheimhaltungsinteresse“ und den „Wunsch, die Institution Kirche zu schützen“. (dpa/tme/agr)