Insel am Kipppunkt

Massentourismus lässt Mallorcas Traumstrände zum Albtraum werden

von Fabian Huber

Die Cala Llombards und die Caló des Moro galten einst auf Mallorca als absolute Geheimtipps. Nun ist die eine Bucht giftgrün, und die andere verliert mit jedem Instagram-Post mehr von ihrem paradiesischen Charakter. Was ist passiert?

Schlange stehen für den Strand - Schuld ist Instagram

Vor gut 20 Jahren kamen die Mallorquiner noch selbst an die Caló des Moro, um ihren Geburtstag zu feiern. Die Bucht zwischen den schroffen Klippen im Südosten der Insel war halbwegs unentdeckt und die Welt in Ordnung, eine, in der das Prädikat Geheimtipp noch wirklich stimmte. Dann kam Instagram.

Heute, Mitte Juli 2023, patrouillieren Polizeistreifen durch die Straßen vor der Calò des Moro. Besucher dürfen ihre Wagen hier nicht mehr abstellen, für sie gibt es jetzt einen staubigen Parkplatz im Nirgendwo, die Entfernung zum Strand: in etwa Sonnenmilcheinwirkzeit. Jetzt also schieben sich Touristen im Gänsemarsch und mit aufblasbaren Delfinen unterm Arm durch Ferienhausviertel und einen Trampelpfad entlang zu einer Bucht. Die inzwischen so voll ist, dass man für den Abstieg zum Wasser Schlange steht. In der Wartezeit schießen sie ein bis zwölf Selfies, die vermutlich bald auf irgendeiner digitalen Pinnwand landen. Hashtag #nofilter, das Wasser hier ist ja karibisch genug.

Mallorcas Einwohner meiden die Touristenstrände

Engländer sind da, Franzosen, Deutsche, Schwaben. Mallorquiner aber trifft man kaum mehr. Nur Tomeu, 16, aus dem Nachbardorf Santanyi, steht unter einem Sonnenschirm auf dem Plateau über der Bucht und verkauft Wasser und Limo. „Es ist verrückt“, erzählt der Junge mit dem Wuschelpony. „Die Leute gehen nicht mal ins Wasser, sie schießen ein Foto, stellen es auf Instagram, und dafür kommen dann jedes Mal wieder 20 Leute mehr.“

Mit jedem #paradise wird die Calò des Moro ein klein wenig unparadiesischer. Der touristische Teufelskreis im Zeitalter sozialer Medien.

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Mallorca hält für jede und jeden etwas bereit: Im Norden die windige Küste für die Windsurfer, im Westen das wilde Tramontana-Gebirge für die Wanderer, im Süden der Ballermann für die Trinksportler, und im Südosten die traumhaften Buchten für so ziemlich jeden. Doch gerade dort leidet die Insel unter den Folgen von Überfüllung und Klimawandel. Das Idyll bekommt tiefe Kratzer. Nicht nur an der Calò des Moro.

Ein paar Inselbiegungen weiter, die Cala Llombards, sonst eigentlich der türkise Traum eines jeden Tui-Reisekatalog-Layouters. Dieser Tage: eine Brühe, so grün wie der Reagenzglasinhalt in Zeichentrickfilmen. Hätte ein Pool diese Farbe, kaum einer würde auch nur einen großen Zeh ins Wasser tunken. Doch die Urlauber schnorcheln, paddeln und kraulen. Ein junges Pärchen küsst sich. Ein Stück weiter draußen hechtet eine Jungsgruppe vom Klippenrand, mitten hinein in eine Spur hellbrauner Kötteln, die eine Yacht hinter sich herzieht.

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Überfüllte Strände und Buchten auf Mallorca. Wie wirkt sich der Massentourismus auf die Natur aus?
www.imago-images.de, imago images/Chris Emil Janßen, Chris Emil Janssen via www.imago-images.de

Am Aussichtsturm der Strandwacht flattert eine grüne Flagge. Rettungsschwimmerin Macarena hat sie nicht gehisst, um den Farbton ihrer Bucht zu treffen, sondern um den Gästen zu signalisieren: Wasser marsch, bedenkenfreier Badespaß. Ihr Ernst? „Es ist absurd“, gesteht sie, und beginnt dann, eine unfassbare Geschichte zu erzählen: Vor einer Woche noch habe die zuständige Gemeinde Santanyi den Strand für drei Tage sperren lassen. Macarena rollte Flatterband auf, die Fahne über ihrem Turm war tiefrot. Dann, am vierten Tag, sei die Anweisung gekommen wieder zu öffnen. „Aber die Farbe des Meeres blieb gleich. Das Wasser kann doch nicht in drei Tagen heilen?“

Oscar kommt hinzu, ein Mitarbeiter der Strandbar hier. Er gibt offen zu: „Wenn wir hier schließen, verlieren wir Geld. Für uns war es gut, als wieder geöffnet wurde.“ Die Bar wird von einem Subunternehmen im Auftrag der Gemeinde betrieben. Macarena und Oscar vermuten einen Zusammenhang. Der Stadtrat von Santanyi lässt eine Anfrage des stern unbeantwortet.

Abwasser wird ins Meer geleitet: Wasser färbt sich langsam grün

Ein Anruf beim sehr viel auskunftsfreudigeren Damià Gomis, der an der Universität von Palma physische Ozeanografie lehrt. Das grüne Wasser sei nicht giftig, sagt er, aber doch ein Zeichen für den Zustand dieser Insel. Die Farbe stammt vom Plankton. Und das gedeihe in der Cala Llombards vor allem aus zwei Gründen.

Einerseits wegen der hohen Wassertemperaturen. Schon vorigen Sommer überschritten die Gewässer um Mallorca die 30-Grad-Schwelle. „Das waren die höchsten je gemessenen Temperaturen“, sagt Gomis. Mitte Juli 2023 haben sich die Badestrände der Balearen schon auf bis zu 29 Grad aufgeheizt. Und die traditionell heißesten Tage Mitte August stehen erst noch bevor.

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Andererseits wegen Nährstoffen im Wasser, man könnte auch sagen: wegen der Verschmutzung durch den Menschen. Um die Bucht herum führen Abflussrohre ins Meer. „Die Abwässer müssen zwar gereinigt werden, bevor sie ins Meer fließen. Aber ganz sauber sind sie nie“, erklärt Gomis. „Auch Boote entleeren ihr Dreckwasser hier, obwohl sie das eigentlich am Hafen tun müssten. Aber wegen der Gebühren umgehen das die Besitzer häufig.“

„Scheiße ist doch gut für die Haut!“ - Touristen lassen sich nicht abschrecken

Die Veralgung des Wassers sei kein neues Phänomen, sagt der Wissenschaftler. „Aber durch den Klimawandel und die verstärkte menschliche Präsenz an der Küste häuft sich das. Studien zeigen: Die Wasserqualität hat zuletzt spürbar abgenommen.“

Der stern hat das Phänomen an weiteren Buchten entdeckt, in Palmanova etwa. Oder an der Cala Portals Vells.

An der Cala Llombards geht Rettungsschwimmerin Macarena inzwischen nur noch ins Wasser, wenn sie wirklich muss. Zuletzt habe ein US-amerikanischer Urlauber ihr gesagt: „Scheiße ist doch gut für die Haut!“ Dann sei er reingesprungen. Eine Insel am Kipppunkt – und ihre Besucher baden es aus. Buchstäblich.

Strände schrumpfen durch Massentourismus - bis zu 70 Kilo täglich

Strand von Cala Llombarts, Mallorca, Balearen, Spanien, Europa
Bunte Schirme, Luftmatratzen und Schwimmreifen bedecken beinahe jeden Zentimeter des Strandes. Dank Instagram wurde der einstige Geheimtipp zum Touristen-Hotspot.
picture alliance

Der Instagramstrand Calò des Moro bleibt wegen einer unterirdischen Süßwasserquelle garantiert algenfrei. Getränkeverkäufer Tomeu hat mit anderen Dingen zu kämpfen: Manche Touristen würden ihn allen Ernstes fragen, ob man hier mit Kreditkarte zahlen könne. Abends, wenn er auf Entmüllungstour geht, findet er schon mal Heroinspritzen und Koksdosen.

Was er täglich mit seinen Wasser- und Colaflaschen einnimmt, geht an eine Stiftung namens Amics d’Es Caló des Moro – S‘Almonia. Sie setzt sich für die Renaturierung und Wiederaufforstung der Bucht ein, für den Erhalt eines der – wie es auf einem Flyer heißt – „letzten Paradiese auf Mallorca“. Neben Tomeu steht eine Holzkiste. In sie sollen die Besucher den Sand von ihrem Körper streifen. Kein Korn soll verschwendet werden, der Strand nicht noch mehr schrumpfen als ohnehin schon durch den Massentourismus. Nach Stiftungsangaben kommen so 70 Kilo Sand täglich zusammen, die dann wieder auf die Cala Llombards gekippt werden.

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Hinter der Stiftung steckt ein deutsches Auswanderer-Ehepaar. Seine Frau und er hätten das anliegende Grundstück vor 25 Jahren gekauft, um einen Hotelkomplex vor der Bucht zu verhindern, erzählt Hans-Peter Oehm am Telefon. „Wir können die Zeit nicht zurückdrehen“, sagt er. „Wir müssen jetzt einen Weg finden, wie wir mit diesen Leuten klarkommen.“ Vor 20 Jahren, da seien vielleicht 100 Menschen täglich zur Cala Llombards gekommen. Und heute? „Gut das Fünfunddreißigfache.“ #wanderlust #paradise #nofilter

Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst bei stern.de