Krim fest in russischer Hand - Westen tief besorgt

Mit der Androhung eines Kampfeinsatzes auf der Krim hat Russland die schwerste Krise im Verhältnis zum Westen seit Ende des Kalten Krieges heraufbeschworen. US-Präsident Barack Obama drohte, Kremlchef Wladimir Putin werde eine Invasion der Ukraine "teuer zu stehen kommen". Der G8-Gipfel im Juni im russischen Sotschi steht auf der Kippe. US-Außenminister John Kerry warnte, Russland könne sogar aus dem Kreis der G8-Industriestaaten ausgeschlossen werden.

Military vehicles, believed to be property of Russian army, are seen near the territory of a Ukrainian military unit in the village of Perevalnoye outside Simferopol March 2, 2014. Ukraine mobilised for war on Sunday and Washington threatened to isolate Russia economically, after President Vladimir Putin declared he had the right to invade his neighbour, creating Moscow's biggest confrontation with the West since the Cold War. Russian forces have already bloodlessly seized Crimea - an isolated Black Sea peninsula where Moscow has a naval base. On Sunday they surrounded several small Ukrainian military outposts there and demanded the Ukrainian troops disarm. Some refused, leading to standoffs, although no shots were fired. REUTERS/Vasily Fedosenko (UKRAINE - Tags: POLITICS MILITARY CIVIL UNREST)
Spezialeinheiten, mit großer Wahrscheinlichkeit Angehörige der russischen Armee, haben auf der Krim vor ukrainischen Militärstützpunkten Stellung bezogen.
REUTERS, VASILY FEDOSENKO

In einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte Putin den möglichen russischen Militäreinsatz in der Ukraine. Der Präsident habe Merkel erklärt, dass die Ereignisse auf der Halbinsel Krim und in der Ukraine insgesamt eine Gefahr für das Leben russischer Bürger und der russischsprachigen Bevölkerung seien, teilte der Kreml mit. Auf Merkels Besorgnis habe Putin geantwortet, dass die Gefahr von Gewalt nicht gebannt sei. Die von Russland bisher eingeleiteten Schritte seien angemessen, zitierte der Kreml Putin. Ziel sei es, die Lage weiter auf friedlichem Weg zu stabilisieren.

Merkel warf Putin daraufhin vor, mit der "unakzeptablen russischen Intervention auf der Krim gegen das Völkerrecht verstoßen zu haben". Dies teilte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter mit. Der russische Präsident habe den Vorschlag der Kanzlerin akzeptiert, umgehend eine sogenannte 'Fact finding mission' sowie eine Kontaktgruppe, möglicherweise unter der Leitung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), einzurichten, um einen politischen Dialog zu beginnen.

Die Kanzlerin erinnerte nach Angaben ihres Sprechers an das Budapester Memorandum aus dem Jahre 1994, in dem sich Russland zur Respektierung der Unabhängigkeit und Souveränität der Ukraine und ihrer bestehenden Grenzen verpflichtet habe. Auch gegen den Vertrag über die Schwarzmeerflotte von 1997 habe Putin verstoßen. Merkel forderte den russischen Präsidenten erneut auf, die territoriale Integrität der Ukraine zu respektieren.

Russland will nach Angaben des Außenministeriums in Moskau keinen Krieg mit der Ukraine. "Wir sind dagegen, dass jemand diese Terminologie verwendet im Verhältnis mit der uns nahen Ukraine", sagte Vizeaußenminister Grigori Karassin. Russland werde alles tun, um die bilateralen Beziehungen zu festigen - "zumal davon die Stabilität in Europa" abhänge. "Das sollten auch die westlichen Politiker verstehen, die uns mit den letzten Worten beschimpfen", sagte der Diplomat. Russland hatte zuletzt mit einem Militäreinsatz gegen die Ukraine gedroht, um so die Lage auf der Halbinsel Krim zu stabilisieren. Einen offiziellen Marschbefehl gebe es aber noch nicht.

Auf der Krim haben unterdessen russisch sprechende Milizen die Kontrolle übernommen. An allen strategisch wichtigen Punkten auf der Halbinsel, unter anderem auch vor ukrainischen Militärstützpunkten, brachten sich Truppen ohne Abzeichen in Stellung. Das Parlament in Moskau hatte am Samstag einstimmig den Weg für einen Militäreinsatz in der Ukraine bereitet und dies mit dem Schutz der russischen Bevölkerung nach den jüngsten Ausschreitungen in der Ukraine begründet.

Die prowestliche Regierung in der Ukraine wertete das Vorgehen Russlands als "militärische Aggression" und warf dem Kreml vor, die Krim besetzen zu wollen. Der Befehlshaber der ukrainischen Marine, Denis Beresowski, lief zu den prorussischen Kräften auf der Krim über. Die Übergangsregierung in Kiew sprach von "Hochverrat".

Als Reaktion auf den russischen Parlamentsbeschluss versetzte die Ukraine ihre Streitkräfte in volle Kampfbereitschaft. Interimspräsident Alexander Turtschinow unterzeichnete eine entsprechende Anordnung. Russland habe für einen "Akt der Aggression" keine Grundlage. "Alle Erklärungen über Gefahren für russische Staatsbürger oder russischsprachige Ukrainer sind erdacht", sagte Turtschinow.

Es handelte sich bei der Anordnung nicht um eine Generalmobilmachung. Ministerpräsident Arseni Jazenjuk sagte, sein Land werde einen russischen Militäreinsatz nicht hinnehmen. "Eine Intervention wird der Beginn eines Krieges und das Ende aller Beziehungen sein." Nach einem Telefonat mit seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew betonte Jazenjuk, seine Regierung werde alle nötigen Maßnahmen zur Wahrung von Ruhe und Ordnung ergreifen.

"Militärisches Vorgehen gegen die Ukraine ist ein Bruch des internationalen Rechts"

Russlands Griff nach der Krim sorgte international für große Besorgnis. Die USA, Kanada, Großbritannien und Frankreich setzten ihre Teilnahme an Konferenzen zur Vorbereitung des G-8-Treffens im russischen Sotschi aus. Das teilte das Weiße Haus nach einem 90-minütigen Telefonat zwischen Obama und Putin mit.

Außenminister Steinmeier zeigte sich skeptisch. "Ich bin eher bei denen, die sagen, das G8-Format ist das einzige Format, in dem wir aus dem Westen noch mit Russland unmittelbar sprechen", sagte der SPD-Politiker in der ARD. "Und sollten wir wirklich dieses einzige Format opfern? Ich denke, wir sollten sehen, dass wir zur Deeskalation in der Ukraine beitragen und nicht jedmögliche Verschärfung herbeireden. Das wird im Zweifel nicht helfen."

Steinmeier betonte, es gebe Interessen Moskaus, die durchaus nachvollziehbar seien. Wichtig sei, Russland und die neue Führung in der Ukraine ins Gespräch zu bringen. Wenn das nicht gelinge, könne man etwa die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bitten, eine sogenannte Factfinding-Mission zu starten, um die Vorgänge auf der Krim und in der Ostukraine zu überprüfen. Eine weitere Möglichkeit wäre die Bildung einer internationalen Kontaktgruppe, in der die Europäer, die Vereinten Nationen, aber auch Russland und die Ukraine vertreten sein könnten.

Der deutsche Außenminister forderte Russland zudem "in aller Eindringlichkeit auf, jeden Verstoß gegen die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine zu unterlassen". Russland habe kein Recht, Militär jenseits der Regeln des Pachtvertrages über die russische Schwarzmeerflotte auf ukrainischem Hoheitsgebiet einzusetzen.

Auch die Nato-Regierungen verurteilten das militärische Vorgehen Russlands auf der Krim und eine mögliche Militäraktion in der Ukraine scharf. "Ein militärisches Vorgehen der Streitkräfte Russlands gegen die Ukraine ist ein Bruch des internationalen Rechts", sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen nach einer Krisensitzung des Nato-Rates in Brüssel. "Wir fordern Russland auf, die Spannungen zu verringen." In einer Erklärung des Nato-Rates heißt es, die Nato stehe auf Seiten der Ukraine als "einem geschätzten Partner".

Präsident Putin will nach Kremlangaben seinen Befehl zum Militäreinsatz von der weiteren Lage auf der Krim abhängig machen. Dort blieb die Lage am Sonntag angespannt, aber ruhig. Die russischen Streitkräfte brachten nach ukrainischen Angaben mehrere tausend Soldaten auf die Krim, wo Moskau seit über 200 Jahren die Schwarzmeerflotte in Sewastopol unterhält. Das Abkommen über die Schwarzmeerflotte erlaubt Russland die Stationierung von Marineeinheiten auf der Krim.

Die Krim-Regierung hatte Russland um Schutz vor gewaltbereiten ukrainischen Nationalisten und Extremisten angerufen. In mehreren Städten der Schwarzmeer-Halbinsel demonstrierten Menschen gegen die Regierung in Kiew. Auch außerhalb der Krim gab es Proteste: So wurden in Charkow bei Zusammenstößen nach russischen Medienberichten mehr als 100 Menschen verletzt.

Die Krim soll nach Vorstellung der neuen prorussischen Führung künftig als eigener Staat existieren. Das teilte Krim-Parlamentschef Wladimir Konstantinow in Simferopol mit. Bei einem für den 30. März geplanten Referendum sollen die mehrheitlich russischsprachigen Krim-Bewohner demnach über eine Abspaltung von der Ukraine entscheiden.