Wie man damit umgeht und sich schützt
„Unser Körper empfindet sich selbst im Krieg" - so dramatisch ist verstörendes Bildmaterial auf Social Media

Tod und Gewalt im Netz – wie kann ich mich und mein Kind schützen?
Der Krieg in Israel beschert unsagbares Leid, auf beiden Seiten. Immer wieder landen Fotos von brutalen Szenen im Netz, es werden verletzte Frauen und sterbende Kinder gezeigt, das Material in den Sozialen Netzwerken tausendfach geteilt. Auch Kinder und Jugendliche sehen es. Wie soll man damit umgehen? Und welche Folgen hat es, wenn wir permanent mit dem Krieg konfrontiert sind? Die systemische Familienberaterin Ruht Marquardt gibt Antworten.
Diese Auswirkung hat traumatische Bild- und Videomaterial auf unser Gehirn
Frauen, die schwer verletzt einer jubelnden Menge vorgeführt werden. Junge Menschen, die nach einem Festival panisch vor Terroristen fliehen. Kleine Kinder, die in Lebensgefahr schweben und nicht richtig behandelt werden können, weil Strom und Wasser fehlen. Der Krieg in Israel und Palästina verursacht unsagbar viel Leid – auf beiden Seiten.
Lese-Tipp: Alle aktuellen Informationen rund um den Krieg in Israel finden Sie jederzeit im Live-Ticker.
Seit Wochen finden sich immer wieder Szenen wie diese in den Sozialen Netzwerken und werden in Form von Fotos und Videos geteilt. Die drastischen Szenen sollen Aufmerksamkeit schaffen. Doch sie haben auch ganz konkrete Auswirkung auf unsere psychische Gesundheit.
„Es macht etwas mit unserem Gehirn, wenn wir Krieg in den Nachrichten oder Social Media sehen. Es kann uns sekundär traumatisieren, das bedeutet, selbst das Sehen von Bildern, die weit weg sind, kann uns zutiefst verletzen und verstören, uns vollkommen überfordern. Gerade wenn wir ins als sensible, einfühlsame Menschen erleben“, erklärt die systemische Familienberaterin Ruth Marquardt RTL.
Das Schwierige: Unser Gehirn kann die Bilder nicht richtig verarbeiten. Je mehr wir sie sehen, „desto mehr empfindet unser Körper sich selbst im Krieg“, sagt Marquardt. „Unser Gehirn unterscheidet nicht, ob es eine Situation real erlebt - es wird Stresshormone ausschütten.“ Mit den Hormonen wird dem Körper signalisiert, dass er nun kämpfen oder flüchten soll. Zwar erlebt das jeder anders, „manche bewusst, andere eher unbewusst. Aber ob wir wollen oder nicht, Krieg verändert uns alle, auch als Zuschauer.“
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Das zeigen auch Studien. Demnach verändert sich unsere Gehirnstruktur durch das, was wir jeden Tag sehen oder hören. „Neue neuronale Netzwerke bilden sich aus – gerade bei verstörenden Bildern, da sie uns emotional unter die Haut gehen. Das erzeugt Stress in unserem Körper“, erklärt Marquardt. Stress, vor dem wir vor allem unsere Kinder schützen wollen. Doch ist das überhaupt möglich?
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Wie kann ich dafür sorgen, dass mein Kind keine verstörenden Bilder sieht?
Die schlechte Nachricht zuerst: Wenn Ihr Kind in den Sozialen Netzwerken aktiv ist, ist es quasi unmöglich zu verhindern, dass es auch möglicherweise verstörende Bilder und Videos sieht. Aktiv steuern kann man aber den Umgang mit solchem Material.
Ruth Marquardt empfiehlt: „Was Sie tun können, ist offen mit Ihnen zu besprechen, dass das Schauen von Bildern dazu beiträgt, dass es ihnen selbst schlechter geht. Möglicherweise haben ihre Kinder das bei sich auch schon so bemerkt. Wenn Sie mit ihren Kindern sprechen - erfragen Sie, was sie sich wünschen, was sie von Ihnen an Unterstützung brauchen.“
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Sie empfiehlt, schöne Rituale als Gegengewicht einzuführen oder gemeinsam mit den Kindern zu überlegen, wie es gelingt, freundlich und friedvoller mit anderen zu sein.
Videotagebuch: Krieg in Israel
Wie sollte man generell mit dem Krieg in den Sozialen Netzwerken umgehen?
Ruth Marquardt empfiehlt, Nachrichten solle man bestenfalls nur punktuell konsumieren und zum richtigen Zeitpunkt. „Am besten nicht direkt morgens nach dem Aufwachen - und auch nicht direkt vor dem Schlafengehen“, so Marquardt. Das hat Gründe.
„Wer Social Media zum Beispiel am Abend konsumiert, wird durch einen gesteigerten Melatoninspiegel dazu beitragen, dass die Nachrichten fast ungefiltert in ihr Unterbewusstsein dringen. Wir nehmen Nachrichten unkritischer auf und hinterfragen sie nicht“, erklärt Marquardt. Zudem träume man dann auch häufiger vom Krieg.
Für die systemische Familienberaterin ist es zudem eine Form von wichtigem Selbstschutz, sich so wenig wie möglich verstörende Bilder und Videos anzusehen. Doch hat man nicht auch eine Verantwortung gegenüber den Menschen in Israel und den Zivilisten in Palästina? Muss man nicht dem Leid und Elend zumindest zuhören und versuchen, möglichst jederzeit informiert zu bleiben?
Marquart: „Es bedeutet nicht, dass ich mich aus dem Weltgeschehen heraus ziehe - ich entscheide nur bewusst, dass ich mir nur kleine Dosen des Weltgeschehens genehmige in dem Bewusstsein, dass zu viele schlechte Nachrichten auf mich wirken wie Gift. Das Versöhnliche und Mitmenschliche entsteht nicht, indem wir uns ständig mental in Kriegsgeschehen trainieren.“