Jetzt steht der Mediziner vor Gericht„Tun Sie doch was!“ Baby Lönne wird von Notarzt behandelt - kurz darauf ist es tot

Der Notarzt machte womöglich zwei tödliche Fehler!
Es ist das Schlimmste, was Eltern sich vorstellen können: das eigene Kind zu verlieren. Genau diese Tragödie mussten Martje und Niklas R. aus Klein Zecher in Schleswig-Holstein durchleben. Im Januar 2021 bekommt ihr sechs Monate alter Sohn Lönne einen Krampfanfall. Die Eltern rufen den Notarzt – doch ausgerechnet der Mann, der ihr Kind retten sollte, steht jetzt wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht Ratzeburg – denn die Behandlung überlebte Lönne nicht.
Kosteten die Fehler des Notarzt Lönne das Leben?
„Er hört auf zu atmen, er stirbt! Jetzt tun Sie doch was!“ Mit diesen Worten hat Martje R. den Notarzt Dr. H. angefleht, ihr Baby zu retten. Das erzählt die trauernde Mutter am Montag (13.11.) vor dem Ratzeburger Amtsgericht. Der Mediziner, der schon seit etwa 30 Jahren als Notarzt Menschenleben rettet, muss sich hier wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Denn: Ihm sollen bei der Behandlung des kleinen Jungen gleich zwei fatale Fehler unterlaufen sein. Er soll dem sechs Monate alten Lönne eine zu hohe Dosis an Medikamenten verabreicht und nicht erkannt haben, dass der Tubus, der Lönnes kleinen Körper mit dem überlebenswichtigen Sauerstoff versorgen sollte, nicht richtig lag.
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Nachdem er keinen Zugang legen konnte: „Dann bohren wir halt!“
Es ist der Abend des 18. Januar 2021, der das Leben von Familie R. für immer verändert. Am Morgen hatte Baby Lönne eine Impfung bekommen, laut Ärztin soll er gesund gewesen sein – nur etwas zu leicht. Bis zum Abend sei alles wie immer gewesen. Am Abend dann der Krampfanfall, der kleine Junge bekommt Fieber. Seine besorgten Eltern wählen den Notruf. Der eintreffende Rettungsdienst verabreicht ein krampflösendes Medikament. Kurz darauf trifft der Notarzt Dr. H. ein.
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Laut Lönnes Eltern habe Dr. H. sich seltsam verhalten, habe mit niemandem geredet, habe gefragt: „Wie heißt sie denn?“, obwohl ersichtlich gewesen sei, dass ihr Lönne ein kleiner Junge war. Denn: Er soll ohne Windel auf dem Tisch gelegen haben. Über seine Anwältin lässt der Notarzt vor Gericht erklären, dass Lönne zu instabil für einen Helikopter-Transport in die Kinderklinik Lübeck gewesen sei. Für den Bodentransport habe der Arzt ihm nach dem ersten Krampf einen Zugang legen wollen. Versuche an Ellenbogen und Handrücken scheitern. Der Notarzt soll ihm zur Betäubung Lidocain ins Bein gespritzt haben. Denn: Lönne erhält das Betäubungsmittel Lidocain nun direkt in den Knochen seines Schienbeins – durch ein Loch, das der Arzt mithilfe eines Mini-Akkubohrers bohrt. Ein Vorgehen, das Lönnes Eltern irritiert. Laut Mutter Martje soll Dr. H. gesagt haben: „Dann bohren wir halt!“ Nach der erneuten Gabe von Lidocain verschlechtert sich der Zustand des Babys weiter. Dann krampft Lönne wieder.
Verrutschte der Tubus auf dem Weg zum Krankenwagen?

Das sechs Monate alte Baby bekommt ein weiteres Medikament zur Krampflösung. Der kleine Junge hört auf zu atmen. Ein Herz-Kreislauf-Stillstand, verursacht durch die Überdosierung der Medikamente, heißt es jetzt von der Staatsanwaltschaft. Meike Böckenhauer von der Staatsanwaltschaft Lübeck zu RTL: „Das toxikologische Gutachten hat ergeben, dass Lidocain im toxischen Bereich festgestellt wurde. Und auch nach den Angaben des Notarztes selber ist mindestens das 2,6-Fache dessen verabreicht worden an Lidocain, was in den Leitlinien vorgeschrieben war.“ Der Notarzt schickt die besorgten Eltern aus dem Raum, beginnt mit einer Herz-Druck-Massage, gibt ihm Adrenalin, intubiert Lönne. Er habe die Lage des Tubus mehrfach kontrolliert, erklärt der 60-Jährige durch seine Anwältin. Er sei davon ausgegangen, dass dieser richtig liege. Auch die Gabe der Medikamente sei aus seiner Sicht gerechtfertigt gewesen.
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Rund 40 Minuten wissen die Eltern nicht, was mit ihrem Kind passiert
Die Eltern wissen in dieser Zeit nicht, wie es ihrem Kind geht. Rund 40 Minuten später die Schreckensnachricht: Der Notarzt macht ihnen keine Hoffnungen mehr. Lönne wird trotzdem noch mit dem Krankenwagen in ein Krankenhaus gebracht – auf Wunsch der Eltern. Vor Gericht räumt Dr. H. ein: Er könne nicht ausschließen, dass der Tubus auf dem Weg zum Krankenwagen verrutscht sei. Laut Staatsanwaltschaft seien lückenhafte CO2-Außstoß-Werte festgestellt worden, die nahelegen, dass der Tubus nicht richtig gelegen hat, bzw. dieser nicht angemessen kontrolliert worden sei. Knapp drei Stunden nach seinem ersten Krampfanfall stirbt der kleine Junge.
Seit dem Verlust ihres kleinen Sohnes ist Familie R. in therapeutischer Behandlung. Auch Notarzt Dr. H. trifft sich regelmäßig mit einem Seelsorger. Er hätte sich gerne mit der Familie über die tragischen Geschehnisse des Abends ausgetauscht, „weil ich selbst die Erfahrung gemacht habe, ein Kind zu verlieren“, wie er vor Gericht erklärt. Dies sei ihm ohne Mediator jedoch nicht möglich erschienen.
Im Falle einer Verurteilung muss der 60-jährige Notarzt mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren.