Was sich jetzt ändern soll
„Beginn einer Revolution“: Karl Lauterbach kündigt riesige Krankenhausreform an
Gesundheitsminister Karl Lauterbach kündigt Großes an, spricht sogar vom „Beginn einer Revolution“ bei der Klinikvergütung. Ein wichtiger Faktor: Die Fallpauschalen sollen abgeschafft, die Versorgung in den Krankenhäusern stärker vom finanziellen Druck gelöst werden. Lauterbachs Hoffnung: Durch den geringeren finanziellen Druck verlassen weniger Ärzte und Pflegekräfte die Kliniken.
Karagiannidis: "Wir haben alle Fehler gemacht"
Seit über einem halben Jahr habe nun eine Experten-Kommission der Bundesregierung getagt und die Vorschläge erarbeitet. „Die ersten Reformen waren Notfallreformen, aber die große Reform muss jetzt kommen“, sagte Lauterbach zu Beginn der Pressekonferenz am Dienstag. Intensiv-Mediziner Christian Karagiannidis ergänzte: „Wir haben alle Fehler gemacht, ich wünsche mir sehr, dass das heute eine Zäsur wird.“
Patientinnen und Patienten in deutschen Krankenhäusern sollen nach den Plänen in Zukunft weniger nach wirtschaftlichen und stärker nach medizinischen Gesichtspunkten behandelt werden. „Die Medizin wird wieder in den Vordergrund der Therapie gestellt und folgt nicht der Ökonomie“, versprach Lauterbach.
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"Krankenhäuser haben gravierende Probleme"
„Die Krankenhäuser haben gravierende Probleme“, sagte Lauterbach. Das Hauptproblem sei die Bezahlung der Kliniken über sogenannte Fallpauschalen. Das sind pauschale Sätze für vergleichbare Behandlungen – „egal wie aufwendig der Fall behandelt wird, egal, wo er behandelt wird, ob er gut behandelt wird oder nicht so gut behandelt wird“. Unterm Strich lohne es sich für Kliniken, möglichst viele Behandlungen auf möglichst billige Weise durchzuführen. „Somit hat man mit diesem System eine Tendenz zu billiger Medizin.“
Nach den Vorschlägen der Regierungskommission sollen die Kliniken stattdessen in Zukunft nach drei neuen Kriterien honoriert werden:
- Vorhalteleistungen
- Versorgungsstufen
- Leistungsgruppen
Die geplante Reform solle in den kommenden Jahren einen Schwerpunkt seiner Arbeit bilden und stelle „eine Revolution im System“ dar, sagte Lauterbach.
Angespannte Lage in den Kinderkliniken: "Hoffe, dass wir einfach gesund bleiben"
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Krankenhäuser werden in drei Level unterteilt
Anders als heute sollen Krankenhäuser zudem in drei konkrete Level eingeordnet und entsprechend gefördert werden.
- So soll es Kliniken zur Grundversorgung geben - zum Beispiel für grundlegende chirurgische Eingriffe und Notfälle.
- Andere Häuser sollen sich um die „Regel- und Schwerpunktversorgung“ kümmern. Hier sollen weiteren Leistungen angeboten werden.
- Unikliniken sollen einer dritten Gruppe zugeordnet werden, den Kliniken für die „Maximalversorgung“.
„Die Menschen können sich darauf verlassen, dass die Krankenhäuser, die wirklich gebraucht werden, zum Beispiel auch in ländlichen Gebieten und in den Stadtteilen, wo es wenig Versorgung gibt, dass diese Krankenhäuser auch überleben können, ohne dass sie immer mehr Fälle behandeln müssen“, sagte Lauterbach. Wenn ein Patient künftig behandelt werde, „kann er sicher sein, dass ökonomische Aspekte keine dominierende Rolle spielen.“
Der Koordinator der Regierungskommission, der langjährige Chefarzt einer Berliner Klinik, Tom Bschor, warnte, „dass die Krankenhausversorgung kollabieren wird mit katastrophalen Konsequenzen, wenn wir jetzt nicht grundlegend reformieren“. So müsse die „Überversorgung“ in bestimmten Bereichen und die „Unterversorgung“ beispielsweise aktuell in der Kinderheilkunde gestoppt werden. Lauterbach nannte die angespannte Situation in den Kinderkliniken „nur exemplarisch für das, was das Krankenhaussystem aktuell insgesamt erleidet“.
Bschor mahnte, es gebe „schlicht nicht mehr die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um Behandlungen mit fragwürdiger Indikation durchzuführen“. Lauterbach sagte: „Viele Pflegekräfte, aber auch viele Ärztinnen und Ärzte, sie verlassen die Krankenhäuser, weil sie diesen ökonomischen Druck nicht ertragen wollen.“ Bschor sagte: „So kann es nicht weitergehen.“ Er verwies darauf, dass viele Babyboomer vor der Rente stünden. Der Personalbedarf in Kliniken mit ihrem 24-Stunden-Betrieb sei hoch. Mit dem Älterwerden der Gesellschaft seien mehr Patientinnen und Patienten zu erwarten.
Ist das jetzt der große Wurf?
„Man darf natürlich nicht vergessen, diese Ideen, die gab es ja schon früher. Und das war ja gerade der Grund damals, 2003, als man übrigens, beraten durch Herrn Lauterbach, genau diese Fallpauschalen einführte. Man wollte nicht mehr haben, dass die Krankenhäuser einfach durch Belegung der Betten ihre Geld verdienen, sondern bezogen auf den Fall“, sagt Arzt und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht im RTL/ntv-Interview. Interessant sei nur, dass 2003 exakt die gleiche Begründung galt für die Einführung der Fallpauschalen. „Das heißt, man muss da genau sehen, was jetzt geplant ist und wie es umgesetzt werden kann.“
Die Kliniken haben sich laut Dr. Specht in den letzten Jahren häufig auf die lukrativen Fälle konzentriert. „Wobei man jetzt nicht denken darf, das geht hier bloß um unerlaubte riesige Gewinne, sondern es ging darum, andere Abteilungen, die wesentlich weniger Geld einbrachten, also defizitär waren, wiederum zu unterstützen. Da muss man ran.“ Ob das mit dem neuen Wurf jetzt gelinge, bleibe abzuwarten. (dpa/eku)
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