Italien streitet über 400 Euro Fahrtkosten
Jeden Tag 1.600 Kilometer zur Arbeit - ist die Geschichte der Extrem-Pendlerin ein Fake?
Jeden Tag von Neapel bis Mailand und zurück, fast stolze 1600 km Pendeln jeden Tag! Das behauptete eine 29-jährige Italienerin Mitte Januar in einer italienischen Zeitung. Seitdem tobt in Italien ein Krieg in den (sozialen) Medien: Alles Fake – oder stimmt die Geschichte am Ende doch?
Sechs Tage die Woche 770 Kilometer hin und wieder zurück
„Jeden Tag stehe ich um 3.30 Uhr auf, frühstücke kurz und mache mich dann für die Arbeit fertig. Um 5.09 Uhr fahre ich mit dem Pendlerzug von Neapel nach Mailand zur Arbeit – und das sechs Tage die Woche!“ Das erzählte die 29-jährige Giuseppina Giugliano Mitte Januar der Mailänder Tageszeitung „Il Giorno“. Giusy, so ihr Spitzname, würde demnach täglich unglaubliche 1.520 Kilometer hin und zurück zur Arbeit fahren. Und das seit September 2022.
Italienische Online-Zeitungen fangen schnell an, die Geschichte zu hinterfragen
Das sei billiger als die immens hohen Wohnkosten in Mailand, sagt sie. Die könne sie mit ihrem kargen Gehalt als Hausmeisterin, das sie mit 1.165 Euro beziffert, gar nicht bezahlen. Da seien die Kosten von 400 Euro pro Monat für das extreme Pendeln mit der Bahn schon eher drin. Und überhaupt würde sie sich zu Hause bei ihrer Familie wohler fühlen. Schnell berichteten auch andere italienische Medien über die unglaubliche Pendlergeschichte - und so fand sie ihren Weg nach Deutschland.
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Einige italienische Online-Zeitungen fangen schnell an, die Geschichte zu hinterfragen - denn wie kann man ernsthaft mit 400 Euro im Monat jeden Tag von Neapel nach Mailand pendeln? Ein heftiger Streit darüber, ob diese Geschichte wirklich wahr sein kann, entbrennt auch in den sozialen Medien. Die Sendung "La Iene" des TV-Senders "Italia 1", der zu Berlusconis Mediaset-Gruppe gehört, geht der Sache auf den Grund.
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Journalistin hat die Fahrpreise nie überprüft
Tagelang stehen Redakteure frühmorgens an den Bahngleisen in Neapel. Doch sie treffen sie nie an. Zeugen berichten in der Reportage, dass sie nur zwei Tage gependelt sei und sich dann erst krankgemeldet habe - und später auf eigenen Wunsch beurlaubt worden sei. Freigestellt ist sie nach Recherchen des "La Iene"-Journalisten Francesco Oggiano seit dem 19. Januar noch bis August 2023, weil sie Angehörige pflegt.
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Auch die Schule, in der sie als Hausmeisterin arbeitet, wird besucht. Verschiedene Schüler werden befragt. Sie hätten sie nur ein paar Mal zum Schulbeginn im September gesehen, erzählen sie. Auch ihre Kolleginnen und Kollegen erwähnen vor laufender Kamera, dass sie nur im September vor Ort gewesen sein soll. Die Journalistin Violetta Fortunati, die den ursprünglichen Artikel für "Il Giorno" geschrieben hat, meldet sich daraufhin in der TV-Redaktion. Sie bleibt bei ihrer Aussage: Giusy sei immer von September bis Dezember bei der Arbeit gewesen. Die Fahrpreise habe sie allerdings nicht überprüft, gibt sie zu.
„Il Giorno“ rechnet vor: Doch, das geht!
Die Redaktion von „Le Iene“ hat dazu zwei Verkehrsgesellschaften kontaktiert. Dabei wurde ihnen von der einen bestätigt, dass die Preise deutlich über 400 Euro liegen würden. Allein die tägliche Hinfahrt würde um die 600 Euro kosten. Die andere Verkehrsgesellschaft sagt: Der günstigste Tarif beträgt 650 für zehn Fahrten. Also würde sie auch hier im Monat über 1.200 Euro zahlen müssen.
Die Redaktion von „Il Giorno“ selbst rechnet am 19. Januar in einem weiteren Artikel vor, dass der Preis von 400 Euro fürs Pendeln über Vielfahrer-Rabatte und Coupons durchaus erreichbar sei. In den sozialen Medien fordern viele, Giusy solle doch einfach die Tickets offenlegen. Doch die hat sich mittlerweile zurückgezogen, will keine Anfragen beantworten. Sie sei schockiert über das Medieninteresse, gab sie zu Protokoll. Auch Fortunati fordert, sie in Ruhe zu lassen, um sie nicht weiter zu belasten.
Und so streitet Italien weiter darüber, ob diese Geschichte nun wahr ist oder nicht und darüber, ob die Geschwindigkeit, die Medien heutzutage an den Tag legen, nicht zwangsläufig dazu führt, dass notwendige Recherchen erst im Nachhinein stattfinden. (ija/Davide Spiga)