Zehntausende Fälle gar nicht erfasst
Im Blindflug durch die Corona-Pandemie: Intensivmediziner beklagt Daten-Debakel

Die Omikron-Welle fegt in diesen Wochen gnadenlos durch Deutschland. Täglich meldet das Robert-Koch-Institut (RKI) neue Rekordwerte: So hat am Donnerstag die bundesweite 7-Tage-Inzidenz erstmals die 1.000 überschritten, die Teststellen meldeten 200.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden. Die Krankenhäuser stellen sich auf großen Andrang auf die Normalstationen ein. Und als wären die offiziellen Zahlen noch nicht schlimm genug, sind Klinikärzte überzeugt: die tatsächlichen Werte sind in Wirklichkeit noch viel höher – doch es fehlt schlicht der Überblick.
Intensivmediziner Karagiannidis: „Wir haben keinen blassen Schimmer"
Zuerst die gute Nachricht: Mit der Omikron-Variante gelten im Unterschied zu den bisherigen Wellen weniger die Intensivstationen als das über Leben und Tod entscheidende Nadelöhr. Denn so hochansteckend die Mutante auch ist, führt sie in der Tat zu weniger schweren Krankheitsverläufen als ihr Delta-Vorgänger.
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Dafür warnt die Deutsche Krankenhausgesellschaft vor einer unberechenbaren Belastung der Normalstationen: Bei der extrem hohen Anzahl an Neuinfektionen werden mit einigen Tagen Verzug automatisch auch die Klinikeinweisungen steigen. Gleichzeitig beklagt der Intensiv-Mediziner Christian Karagiannidis eine starke Untererfassung der Neuinfektionen sowie das Fehlen einer Übersicht zu den verfügbaren Krankenhausbetten in Deutschland. Beides erschwere den Kliniken die Planung für den wohl noch bevorstehenden Höhepunkt der fünften Welle.
„Wir haben keinen blassen Schimmer, wie viele betreibbare Krankenhausbetten wir tagesaktuell in Deutschland haben, wie viele davon belegt sind und wie viele Pflegekräfte wirklich zur Verfügung stehen“, sagte Karagiannidis, der auch Mitglied im Corona-Expertenrat der Bundesregierung ist, der „Augsburger Allgemeinen“.
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Vor Monaten noch undenkbare Höchstwerte sind an der Tagesordnung, und dass, obwohl die Meldedaten auch noch zunehmend unvollständig sind – das gibt das RKI selbst zu. Immer mehr Infizierte tauchen in den Statistiken gar nicht erst auf, etwa weil die dafür maßgeblichen PCR-Tests knapp und die Gesundheitsämter vielerorts am Limit sind.
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Beispiel Berlin, dem mit einer 7-Tage-Inzidenz von 1.800 derzeitigen Corona-Hotpsot in Deutschland: Laut der Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) seien allein vergangenen Mittwoch 29.000 neue Fälle noch gar nicht ins System eingetragen worden. Wie kann das sein? Laut Karagiannidis ist die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen schlichtweg eine Katastrophe, weit abgeschlagen hinter anderen Industrienationen. Der Datenschutz sei ein häufiger Vorwand für die Misere.
Doch welche Lehren folgen nun daraus? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat auf die Vorwürfe von Karagiannidis umgehend per Tweet geantwortet: eine bessere Datenübertragung zwischen RKI, Krankenhäusern und Teststationen sei bereits in Arbeit. (Linda Csapo, mit dpa)